In der CDU ist wieder da. Nach dem Wahldebakel von 2021 erholt sich die Union nicht nur in den bundesweiten Umfragen. Nun gewinnt sie auch wieder Wahlen. Nach Schleswig-Holstein ist nun ich die NRW-Wahl – gerne auch „kleine Bundestagswahl“ genannt – zum Triumph für die der CDU geworden. Offenbar gelingt es dem neuen Vorsitzenden Friedrich Merz entgegen aller Unkenrufe die Union wieder zu einer schlagkräftigen Truppe zu formieren.
Die Fehler der Ampelregierung in Berlin tragen gewiss ihren Teil zum Comeback der CDU bei.
Und doch wäre es vor einem halben Jahr noch vollkommen unwahrscheinlich gewesen, was nun passiert ist. Im Oktober 2021 lagen die Umfragewerte für die CDU in Nordrhein-Westfalen bei schmalen 20 bis 22 Prozent, der gescheiterte Armin Laschet suchte einen Nachfolger und die beiden CDU-Favoriten Innenminister Herbert Reul sowie Bauministerin Ina Scharrenbach hatten kein Landtagsmandat, konnten also laut NRW-Verfassung nicht gewählt werden. Die CDU entschied sich für eine vermeintliche Notlösung namens Hendrik Wüst. Der hölzerne Verkehrsminister musste das Scherbenerbe Laschets antreten und hatte nur winzige Chancen, die Wahl zu gewinnen. Doch genau die scheint er nun zu nutzen.
Die Situation erinnert an die Lage der CDU in Schleswig-Holstein, als im Jahr 2016 ein gewisser Daniel Günther die angeschlagene Nord-Union als ebenso hölzerner Notkandidat retten sollte, und ihm dies 2017 knapp und schließlich 2022 spektakulär gelang.
Daniel Günther und Hendrik Wüst sind sich nicht nur wegen dieser Geschichte auf verblüffende Weise ähnlich. Beide verkörpern als Mittvierziger die gleiche Generation von neuen, schlanken CDU-Politikern, die so pragmatisch-freundlich und mittig-moderat daher kommen, dass herkömmliche Anti-CDU-Aversionen an ihnen abperlen wie ideologischer Regen am frisch gewachsten Autolack. Günther wie Wüst sind liberale Katholiken, Familienväter, ehemalige Handballspieler, deren aufregende Freizeitbeschäftigung aus Spazierengehen, Laufen und Fahrradfahren besteht. Wüst wie Günther kommen aus Mehrkindfamilien, haben beide Mitte Juli Geburtstag und die gleiche modulierte Laufstärke beim Sprechen.
Beide tragen ihre Brillen im Gestus von Pastoralreferenten, beide sind Heimatmenschen, die genau dort, wo sie aufgewachsen sind auch studiert, geheiratet und sich beruflich niedergelassen haben – kurzum einfach geblieben sind. Sie verkörpern beide gleichermaßen die gute deutsche Provinz, Eckernförde und Rhede statt Berlin oder Frankfurt. Ihre Lebensläufe zieren keine Orte wie New York oder Shanghai, keine Adressen wie Harvard oder die London School of Economics. Sie haben keine Doktortitel, keine schillernden Freunde, exotische Reiseziele oder Chalets in St. Moritz. Beide haben ihr Bundesland nie länger verlassen. Sie sind so eskapadenfrei wie norddeutsche Bauern. Typus Schützenvereinsmitglied.
Wüst wie Günther eint auch der Karriereweg, der die gesamte Ochsentour durch die Volkspartei klassisch umfasst vom Stadtverordneten bis zum Ministerpräsidenten.
Beide sind noch vor dem Abitur in die Kohl-CDU eingetreten, beide kennen ihre Landespartei so genau wie die eigene Familie, sie agieren daher zuweilen wie erfahrene Patenonkel des Politischen. Als solche wissen sie, dass eine flexible Koalitionsoffenheit entscheidend ist, um Regierungen zu führen. Günther strebt, obwohl er das gar nicht müsste, eine weitere Jamaika-Regierung an. Wüst will nach Schwarz-gelb nun Schwarz-grün. Offensichtlich kommt es heute weniger auf programmatische Festlegungen an, weniger um das richtungs-richtige Mischungsverhältnis von liberal-sozial-konserativ gehe, sondern um das Habituelle. Stil, Haltung und Persönlichkeit entscheide. Und da verkörpern beide tatsächlich eine gefühlte deutsche Mitte wie wenige andere – bis hin zum deutschen Umlaut ihrer Nachnamen – das doppelte „Ü“ aus der bescheidenen Provinz. Das kann auch ein Erfolgsgeheimnis sein.