Am Wochenende haben in meiner Skatrunde wieder alle die Köpfe geschüttelt, dass man meinte, wir würden Synchrondoppel im Tennis gucken. Es reizte sich so dahin und zwischendurch ging’s erst um Bettina Wulff („Das Foto!“, „Die Würde!“, „Sylt!“) und dann um „Das Video!“. Da sagte keiner mehr was. Nur noch Kopfschütteln. Also, „dieser Film“. Wer’s guckt, fragt sich als Erstes: Wie kann man das bloß ernst nehmen? Kein Wunder, dass die (übrigens nahezu unbesuchte) Premiere ein Reinfall war. Der Film ist Trash. Dummerweise entwickelt sich auch der größte Scheiß – einmal ins Netz geladen – mitunter zu einem globalen Scheiß. Mit krassen Folgen.
Provokation als Mittel zur Macht
Eine herkömmliche Tageszeitung hätte über einen Schrottfilm, der vor leeren Bänken in einem abgeranzten Kino in Hollywood gelaufen ist, kein Wort verloren. So aber bietet YouTube dem Film eine Bühne, der es extremen Akteuren erlaubt, mit einer kalkulierten Provokation Gesinnungsbrüder zu Gewalt oder weiterer Provokation zu verführen. Diese Akteure sind: eine Randgruppe koptischer Christen, militante Strömungen radikaler Islamisten und in Deutschland die rechte Gruppe „pro Deutschland“. Jedem von denen geht es vor allem um Macht. Sie hantieren mit Provokation. Sie emotionalisieren die Öffentlichkeit, wo Gelassenheit angesagt wäre. Schwer nachzuvollziehen, warum jetzt Botschaften brennen müssen, nur weil – tja, dieser Film halt. Man kann in diesem Zusammenhang mit einiger Erleichterung konstatieren, dass jüngst nicht gleich Zehntausende Katholiken mit erhobenen Mistgabeln die Chefredaktion der „Titanic“ gestürmt haben, nur weil das Magazin mit angeblich päpstlichem Pipi versuchte, die Auflage zu pimpen.
Musikvideos nein – Bin Laden ja
Ich glaube, wir sollten die Grundrechtedebatte um Meinungs- und Religionsfreiheit an Problemen diskutieren, die es uns auch wert sind, sich für sie einzusetzen. Gehört dieser Film dazu? Vielleicht ist die Geschichte ein guter Zeitpunkt, um zur Abwechslung über die Verantwortung jener zu reden, die „das Netz“ offenbar für einen Freifahrtschein renditesteigernder Aktivitäten halten – ohne Rücksicht auf Verluste. Möge die Firma Google mit ihrem Videoportal YouTube doch mal erklären, weshalb eigentlich GEMA-Videos sofort gesperrt sind – aber Bin Laden immer noch aus dem Nichts auf YouTube vor sich hinpalavert und dieser koptische Film von der anderen Seite aus zurückschießt. Während Google mit der chinesischen Regierung zähneknirschend und teilweise bei der Zensur kooperiert – beruft es sich hier auf die Meinungsfreiheit. Welche Verantwortung möchte das Portal übernehmen für die Inhalte, die es verbreitet? Oder sind sie als reine Dienstleister von dieser Verantwortung befreit? Fragen, die sich Medien stellen müssen.
Ruhe bewahren!
Während die Firma nach Antworten auf diese „Herausforderung“ (YouTube) sucht, rufen Muslime in Ägypten zur Ruhe auf. “Genauso im Netz.”:http://blog.zdf.de/hyperland/2012/09/arabische-netzgemeinde-solidarisch-mit-den-usa/ Gebracht hat’s nur wenig. Zu jedem Provokateur gehört einer, der sich gern provozieren lässt. Wir sollten deshalb gelassen bleiben. Trotz der verstörenden Bilder von brennenden Fahnen. Uns hilft eher eine ruhige aber konzentrierte Diskussion darüber, wie wir uns unsere Gesellschaft vorstellen, als uns in einen unseligen Konflikt hineinziehen zu lassen. _log in fragt am Mittwoch um 22.20 Uhr “„Streit über Schmähvideo: Meinungsfreiheit über alles?“ im Livestream unter login.zdf.de”:http://blog.zdf.de/zdflogin/ und im Fernsehen auf ZDFinfo. Leserbriefe von The European können in der Sendung aufgegriffen und diskutiert werden._