Mit dem Telegrafen-Fräulein gegen Corona
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Was die öffentliche Verwaltung anbelangt, sind wir immer noch im analogen Zeitalter des Fernsprechers. Und das Fräulein vom Amt soll das Corona-Virus jagen.

In den letzten Wochen, ja mittlerweile Monaten, sind wir ja so einiges an Überraschungen und unerwarteten Wendungen und Meldungen gewohnt. Täglich neue Meldungen, die uns zum Staunen bringen oder nahe an die Verzweiflung. Dann gibt es auch noch Meldungen und Erkenntnisse, bei denen man in diesen Zeiten den Glauben verliert. Zum Beispiel den Glauben daran, dass Deutschland wirklich ein High-Tech-Standort sein soll. Davon müssen wir uns verabschieden. Denn zumindest was die öffentliche Verwaltung anbelangt, sind wir immer noch im analogen Zeitalter des Fernsprechers. Und das Fräulein vom Amt soll das Corona-Virus jagen.
Die Meldung lautet: Auch nach knapp zwei Monaten Vorbereitungszeit gelingt es den Gesundheitsämtern nicht, das notwendige Personal aufzubieten, um Corona-Infektionen nachzuvollziehen. Hier sollen nämlich Teams aus fünf Personen pro 20.000 Einwohnern Corona Fälle identifizieren und dann die Kontakte der Betroffenen nachvollziehen. Alle Menschen, die mehr als 15 Minuten Kontakt zu Infizierten hatten, sollen identifiziert und dann unter Quarantäne zu Hause gesetzt werden. Das ganze per Telefon! Und Notizblock und Kugelschreiber daneben natürlich. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass ziemlich genau ebenfalls seit zwei Monaten über die „Corona-App“ schwadroniert und diskutiert wird. Aber geben tut´s sie immer noch nicht. Wann es vielleicht mal soweit sein wird - das kann keiner sagen.
Wie Bitte? Ist das wirklich die Realität in Deutschland, wo die Bundesregierung eine „Nationale KI Strategie“ mit großem Pomp vor mehr als einem Jahr angekündigt hat (… und dann die Mittel dafür bis heute regelmäßig auf ein mittlerweile lächerliches Niveau heruntergekürzt hat) und wo sich die Ministerpräsidenten der Länder und Bürgermeister von Metropolen verbal gegenseitig überbieten, der schnellste, größte und beste High Tech und Digitalstandort zu sein? In Zeiten von Big Data Analytics, Global Tracking, Machine Learning und Predictive Analytics werden in Deutschland die Bleistifte gespitzt, das Faxgerät wieder angeschlossen und zur Sicherheit schonmal nachgeschaut, ob vielleicht noch eine Postkutsche irgendwo einer alten Scheune bereit stünde. Oder vielleicht doch Brieftauben? Das wäre schneller. Man weiß ja nie in diesen Zeiten…
Der Digitalstandort Deutschland wird ad absurdum geführt. Nicht vom Corona Virus. Das ist nur der schnonungslose Auslöser und Augenöffner. Sondern von der Denke, die ganz offensichtlich immer noch in Behörden und Ämtern herrscht. Herausforderung? Wir brauchen mehr Geld und mehr Leute! Veränderung, Neuerung und Technologie kommt hier nicht vor. Dabei ist das, was die (nicht vorhandenen) „Corona-Jäger-Teams“ machen sollen nichts anderes als Datenerfassung, Datenanalyse, Datenauswertung und das zielgerichtete Informieren von Adressaten. Das dumme ist nur, dass Menschen hier viel zu langsam und ungenau und im Vergleich zu Maschinen und Systemen in ihrer Leistungsfähigkeit komplett unterlegen sind, von der psychischen Belastung gar nicht zu reden. Im E-Commerce sind die oben genannten Stufen der Arbeit mit und aus Daten Standard, ebenso im digitalen Marketing, auf allen Social Media Anwendungen genauso wie bei Streamingdiensten. Jede noch so platte und bescheuerte Gaming- oder Dating-App arbeitet so, die von irgendeinem Nerd in irgendeinem Kinder- oder Studentenzimmer zusammengebaut worden ist. Für „Deutschland 4.0“ aber ganz offenbar ein zu großer „Hack“.
Ein geflügeltes Wort dieser Zeiten lautet, dass die Krise auch eine Chance sei, wir viel lernen könnten und die richtigen Schlüsse für die Zukunft ziehen müssten. Meistens ist das bezogen auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Das ist auch richtig. Eine genauso große Aufgabe und Modernisierung liegt aber auch bei der Digitalisierung vor uns. In Infrastruktur, Forschung und Entwicklung - und ebenso in den Köpfen. Auch wenn wir uns in den letzten Jahren die Dinge schöngeredet haben. Aus Corona lernen? Ja, unbedingt. Und bitte auch schneller als in Postkutschen- oder Brieftaubengeschwindigkeit.