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„Wir leben in einer Fax-Verwaltung“

Der Standort Deutschland ist in Gefahr. Wir stecken in einer Rezession – und bewegen uns nicht. Was wir jetzt tun müssen, um den Wohlstand von morgen zu sichern? Vier Punkte listet Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger in seinem Gastbeitrag auf.Rainer Dulger

Rainer Dulger ist seit zwei Jahren Arbeitgeberpräsident.
Rainer Dulger ist seit zwei Jahren Arbeitgeberpräsident.

Voraussetzung für einen handlungsfähigen Staat ist eine starke Wirtschaft. Teile der Politik vergessen diesen simplen Zusammenhang gern: Geld ist nicht im Überfluss vorhanden, es muss erst erwirtschaftet werden. Nur dann fließen Steuern in den Staatshaushalt. Nur dann kann sich Deutschland einen funktionierenden Sozialstaat leisten. Nur dann schafft Deutschland den Sprung zu mehr Nachhaltigkeit. Nur dann ist Deutschland ein starker Partner – in Europa und in der NATO, für die Ukraine und Israel. Umso rätselhafter: Die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft stimmen nicht mehr. Als einziges Industrieland steckt Deutschland in einer Rezession. Unser Land erlebt einen wirtschaftspolitischen Stillstand in der Zeitenwende. Ich sage: Wir müssen jetzt handeln, um den Wohlstand von morgen zu sichern.

Der Standort Deutschland verfügt immer noch über ein starkes Fundament – weil wir viele leistungsstarke Unternehmen und kreative Mitarbeiter haben. Aber der Standort ist in Gefahr. Laut einer Forsa-Umfrage sind 82 Prozent der Unternehmer unzufrieden mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Wir brauchen eine Standortpolitik, die einen wachstums- und investitionsfreundlichen Rahmen schafft. Ich skizziere vier Punkte, die jetzt sofort angepackt werden können.

Erstens: Weniger Bürokratie – ein kostenloser Konjunktur-Booster. 

Zu viel Bürokratie lähmt. Wir leben zum Teil noch in einer Fax-Verwaltung. Alle reden von Digitalisierung – aber kaum ein Amt setzt sie um. Der Papierkram bindet in den Betrieben immer mehr Mitarbeiter. Vor allem für den Mittelstand ist das ein unerträglicher Zustand. Wir wollen uns um unsere Kunden kümmern und neue Produkte entwickeln, statt immer mehr komplizierte Formulare auszufüllen. Die Politik hat das in Teilen erkannt. Nur mit der Umsetzung lässt sie sich wieder einmal viel Zeit. Bundeskanzler Olaf Scholz hat auf dem Deutschen Arbeitgebertag mit Blick auf die Bürokratie gesagt: „Wir haben es übertrieben.“ Er hat Besserung gelobt. Wir werden ihn an diesem Versprechen messen.

Zweitens: Mehr Netto vom Brutto – die Sozialversicherungsbeiträge müssen runter

In kaum einem anderen Land in Europa behält der Staat so viel vom Lohn der Bürger wie bei uns. Und es wird immer mehr. Dafür liefert er leider oft nur mittelmäßigen bis schlechten Service. Reformen sind nötig, vieles geht besser und schlanker. Für Arbeitnehmer ist Arbeit nur attraktiv, wenn genügend Netto vom Brutto auf dem Konto landet. Übrigens: Geringere Lohnzusatzkosten sind auch ein Pull-Faktor für ausländische Investoren.

Drittens: Den Fachkräftemangel wirksam bekämpfen

Deutschland ist kein Einwanderungsland – sonst würden mehr Fach- und Arbeitskräfte zu uns kommen. Wir sind ein Migrationsland – weil wir es nach 2015 versäumt haben, die irreguläre Migration zu ordnen. Das sind zwei Baustellen, die es klar voneinander zu trennen gilt. Damit mehr Fachkräfte den Wunsch verspüren, hier zu arbeiten, müssen wir eine Willkommenskultur etablieren, wie etwa Kanada. Begrüßen wir Fachkräfte nicht mit Paragrafen – sondern mit einer echten Perspektive. Dazu gehören auch mehr Wohnungen und bessere Kinderbetreuung. Zudem muss auch das inländische Potenzial aktiviert werden. Etwa 50.000 junge Menschen verlassen pro Jahr die Schule ohne Abschluss. Das ist ein Bildungsversagen, das wir uns so nicht mehr leisten können.

Viertens: Wir brauchen weniger Ideologie . . .

. . . dafür mehr Realitätssinn, Kompromissbereitschaft und Ambitionen. Das Mindset ist oft entscheidend. Verbote, Ideologie und Radikalisierung sind in der öffentlichen Debatte derzeit leider hoch im Kurs – sie sind jedoch das Gegenteil von Freiheit, Fortschritt und Kreativität. Es fehlt an einem Agenda-2010-Moment, an einem Reformpaket, das uns schneller und digitaler macht.

Es heißt, jede Krise sei auch eine Chance. Das mag in vielen Fällen stimmen. Doch eine Krise ist nur dann eine Chance, wenn man nicht nur debattiert – sondern auch ins Handeln kommt. Also: Packen wir es an.

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