Es geht nicht um die meisten, sondern um die besten Patente
Die Zahl der Patentanmeldungen aus Deutschland sinkt. Nicht so schlimm, meint unser Autor. Denn es kommt darauf an, wie hochwertig die Anmeldungen sind. Nur wenn sie hieb- und stichfest sind, bedeuten sie auch Rechtssicherheit für die Unternehmen, und das geht vor.Von Jan Witt

Viele Beobachter der Innovationslandschaft sagen seit Jahren, dass schon bald alles erfunden sein wird, der stetige Strom an Innovation auf dieser Welt also langsam versiegen wird. Die weltweiten Patentanmeldungen beweisen zwar weiterhin das direkte Gegenteil, aber leider sagt die reine Quantität noch nichts über die Qualität von Innovationen aus. Auch der jüngste Rückgang der Patentanmeldungen in Deutschland kann deshalb nicht direkt als Hinweis darauf verstanden werden, dass die Deutschen grundsätzlich „dümmer“ werden, oder unsere Fähigkeit zur Entwicklung innovativer Technologien deutlich nachgelassen hat.
Tatsächlich geht es um einen ganz anderen Zusammenhang, nämlich um die steigende Anforderung an die Qualität von Patenten. Es ist heutzutage schon eine enorme Herausforderung, sich überhaupt einen vollständigen Überblick über geschützte Ideen in einem beliebigen technischen Gebiet zu verschaffen, um sichergehen zu können, den Patentschutz von Mitbewerbern nicht zu verletzen. In diesem Umfeld noch neue Patente zu schaffen, diese auch erteilt zu bekommen und gegebenenfalls erfolgreich vor Gericht zu verteidigen, bedeutet deshalb vor allem, sie von Anfang an möglichst „hochwertig“ zu gestalten. Bei der Beurteilung, was nun tatsächlich ein „hochwertiges“ Patent ist, gibt es aber durchaus unterschiedliche Auffassungen, die nicht zuletzt von der Wirtschaftlichkeit und dem jeweiligen Zweck des Patents abhängig sind.
Wann ist ein Patent hochwertig?
„Hochwertige Patente“ sind vor allem solche, die häufig in anderen Patenten zitiert werden, also bereits neuere Entwicklungen beeinflusst haben. Das funktioniert genauso wie bei wissenschaftlichen Publikationen: Der meistzitierte Autor in einem Wissenschaftsfeld ist oft auch der anerkannteste. Häufig zitierte Patente sind zumeist Basispatente für neue Technologien, die einen Markt oder eine Produktkategorie in der Regel für Jahre, wenn nicht Jahrzehnte prägen. Ein Beispiel hierfür ist das Basispatent für den MP3-Audiostandard, das in den 90er Jahren dem Fraunhofer Institut IIS in Erlangen erteilt wurde.
Darüber hinaus gibt auch eine Vielzahl von herausragenden Innovationen, die über viele Jahre hinweg einen Produktions- oder Produktvorteil in einem bestimmten Bereich bieten. Ein Beispiel sind spezielle Metallmischungen, die in der Anwendung eines Produktes besondere Eigenschaften mit sich bringen (Maschinenbau). In Deutschland sind in den letzten Jahren viele solche Patente angemeldet worden, die oft in speziellen Teilbereichen der Technik bedeutsam waren und Unternehmen über Jahre hinweg ihre Wettbewerbsposition und den Auf- und Ausbau von Marktanteilen auf der ganzen Welt gesichert haben wie zum Beispiel in der Automotive- und Zulieferindustrie.
Deutschland braucht mehr Innovationsförderung
Grundlegende Erfindungen erfordern hingegen in den meisten Fällen gezielte Grundlagenforschung und damit auch eine hohe Investition an Zeit und Geld. Besonders gut sieht man das im Pharma- und Biotechbereich, aber auch bei Spin-Offs aus Universitäten wie dem innovativen Flugtaxi Lillium. Um die erfolgversprechendsten Zukunftsthemen wie Supraleitung, hocheffiziente Solarzellen, Batterietechnologien oder künstliche Intelligenz findet derzeit ein globales Wettrennen statt. Deutschland muss hier ohne Frage wieder den Mut finden, die heimische Grundlagenforschung stärker zu fördern aber auch deren Umsetzungen. Es muss klar definieren, in welchen Bereichen diese Forschung stattfinden soll, und dann konkrete Anreize auch für Unternehmen setzen. Es ist nicht hinzunehmen, dass die steuerliche Innovationsförderung in Deutschland noch immer auf niedrigem Niveau stattfindet und Milliarden in ausgewählte, zum Teil auch kritische Industrien investiert werden. Hier könnte man mit Hilfen wie Patentpooling, Abbau der Bürokratischen Hindernisse, eine bessere Unternehmerkultur, Förderungen von Startups, zukünftige und neue Industrien fördern und aufbauen.
Warum qualitativ hochwertige Patente wichtig sind
Die Industrie-Initiative IPQC (Industry Patent Quality Charter), der die weltweit größten Anmelder von Patenten wie Bosch, Siemens, Bayer, Nokia und Roche angehören, moniert seit einigen Monaten sehr öffentlichkeitswirksam, dass in den Patentämtern – allen voran dem Europäischen Patentamt - Anträge auf Innovationsschutz immer schneller und damit nachlässiger geprüft werden. Die Folge: Vor Gericht angefochtene Patente haben immer seltener Bestand, und das kostet die Anmelder unter Umständen sehr viel Geld. Qualitativ hochwertige Patente bewahren Erfinder hingegen vor enormen Kosten und Rechtsstreitigkeiten. Erst dann erhöhen sie auch tatsächlich den Wert eines Unternehmens, stärken die eigene Verhandlungsposition bei der Vergabe von Lizenzen und erhöhen die Aussichten auf weitere staatliche Fördermittel. Deshalb darf die Patentierung von Innovationen nicht zum Selbstzweck werden, der in erster Linie Patentämtern und den dahinterstehenden Finanzministerien nutzt. Qualität muss vor Quantität, auch wenn die Gesamtzahl der Anmeldungen dadurch sinkt.
Fleiß und unternehmerisches Risiko sind Schlüsselfaktoren
Die Hochwertigkeit von Patenten wird mit Sicherheit die Zukunft des geistigen Eigentums prägen, da Unternehmen immer stärker globalen Wettbewerb um innovative Technologien und Lösungen stehen. USA, Japan, Südkorea und natürlich auch China gehören längst zu den Big Playern im Rennen um geschütztes Wissen. Die Integration von künstlicher Intelligenz in moderne Software zur Verwaltung großer Patentportfolios (so genannte IP-Management-Lösungen) wird die Effizienz und Genauigkeit bei der Formulierung und Verwaltung von Patenten noch weiter verbessern. Darüber hinaus werden die zunehmende Vernetzung von Systemen und der einfache Datentransfer dazu beitragen, Wissen noch schneller zu teilen und die Innovationsgeschwindigkeit weltweit zu erhöhen.
Die Geschichte zeigt, dass qualitativ hochwertige Patente nicht nur Schutz bieten, sondern auch den langfristigen Markterfolg und die Kundenzufriedenheit fördern, auch wenn die Entwicklungskosten zunächst höher sind. So hat Apple seinerzeit rund drei Jahre Arbeit allein in die Entwicklung seines ersten Touchpads gesteckt, dafür aber einen Leistungsstandard für die ganze Industrie gesetzt. In einer globalen Welt mit unzähligen Mitbewerbern wird die Qualität von Innovationen darum eine noch entscheidendere Rolle für langfristigen Unternehmenserfolg spielen. Neben einer ausgeprägten Innovationskultur mit konkreten Anreizen für Forschungsinstitute, Unternehmen und ihre Mitarbeiter sind dringend auch Entrepreneure gefragt, die bereit sind, echte Risiken einzugehen. Hier hat in Europa insbesondere in Punkto Wagniskapital noch immer viel gegenüber den USA aufzuholen.