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Der Winter kommt, jetzt wird mit Flüssiggas geheizt. Ist das dreckiger als Kohle?

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Zum ersten Mal beginnt eine Heizsaison in Deutschland, bei der auch Flüssiggas eingesetzt wird. Es kompensiert die weggefallenen Gaslieferungen aus Russland und der Anteil soll in den nächsten Jahren spürbar steigen. Doch Profis haben ausgerechnet: Die Umweltbilanz von LNG ist düsterer als die von Kohle. Was haben uns die Klimaschützer da jetzt wieder eingebrockt?Von Oliver Stock

Die Förderung von Öl und Gas durch unkonventionelle Methoden wie Fracking hat in den USA rasch zugenommen.
Die Förderung von Öl und Gas durch unkonventionelle Methoden wie Fracking hat in den USA rasch zugenommen.

Die Temperaturen fallen, Schnee ist angesagt, die Gasspeicher sind wohlgefüllt, aber der Winter beginnt in Deutschland mit einer Premiere, die viele skeptisch sehen: Zum ersten Mal startet die Heizsaison in Deutschland und in den Kellern, wo natürlich noch immer vor allem Gasöfen stehen, mit Brennstoff, der als Flüssiggas aus den USA über den Atlantik an die neuen deutschen LNG-Terminals gelangt ist. LNG ersetzt das Gas, das nicht mehr aus Russland strömt, und es soll auch sonst als Brückentechnologie die nächsten Jahrzehnte dabei helfen, dass die unsauberen Kohlekraftwerke so schnell wie möglich verschwinden können. So lautet jedenfalls die Perspektive der Bundesregierung. Da passt es schlecht ins Bild, dass Leute vom Fach ausgerechnet dieser Technologie eine Umweltbilanz bescheinigen, die diejenige der Kohle noch in den Schatten stellt.

Noch ist der LNG-Anteil gering

Seit dem Frühjahr 2023 steigt der Füllstand der deutschen Gasspeicher kontinuierlich. Anfang Oktober waren sie zu 97 Prozent voll. Inzwischen fließt auch Gas aus den ersten deutschen LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Lubmin und Brunsbüttel in das deutsche Netz. Weitere Terminals in Norddeutschland befinden sich im Bau und sollen noch dieses Jahr ans Netz gehen. Der LNG-Anteil am gesamten Erdgas-Import nach Deutschland ist noch gering. Er soll aber steigen, je mehr Flüssigerdgas-Terminals angeschlossen werden. Wenn alle sechs beschlossenen schwimmenden Terminals in Betrieb sind, hätten sie laut Bundeswirtschaftsministerium eine Gesamtkapazität von rund 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas - das entspreche knapp der halben Menge, die 2021 aus Russland importiert wurde.

Doch das Märchen von angeblich so sauberen Flüssigerdgas ist längst demontiert. Erst jüngst hatte ARD-Autor Michael Höft auf einer Recherchereise durch das LNG-Produktionsland USA erschreckende Fakten geliefert: Die Gewinnung von Flüssigerdgas führt zu radioaktiven Abfällen, vergifteten Flüssen und einer massiven Klimabelastung. Mit einer speziellen Kamera wird der enorme Austritt von Methan bei den Förderanlagen sichtbar. Jetzt protestieren deswegen auch Wissenschaftler: Es wäre, sagen sie, deutlich weniger klima- und gesundheitsschädlich, wenn man auf Kohle setzen würde, anstatt gefracktes Gas aus den USA zu importieren. Trotzdem will die EU bis 2030 rund 50 Milliarden Kubikmeter LNG pro Jahr zusätzlich aus den USA kaufen. 

Nur die Hälfte kommt hier noch an

Höft beginnt seine Reise am Golf von Mexiko. Dort stehen die LNG-Terminals, die das Gas für die Verschiffung nach Europa auf minus 162 Grad herunterkühlen. Dieser Prozess benötige soviel Energie, dass ein Viertel der Gesamtenergie des Gases schon hier verloren gehe, schätzen Experten. Auf dem Schiff müsse dann noch weiter Gas eingesetzt werden, um das verbliebene LNG zu kühlen. Dazu kämen Gasverluste durch Lecks in der gesamten Lieferkette. „In Deutschland kommen nur noch 50 bis 70 Prozent des geförderten Gases an“, kritisiert Professor Robert Howarth von der Cornell University. Schon das allein sei alles andere als klimafreundlich oder nachhaltig.

Seitdem Europa LNG in rauen Mengen kauft, sei ein neuer „Goldrausch“ in Amerika entstanden, heißt es in der ARD-Doku, es werde gefrackt wie nie zuvor. Auch in dicht besiedelten Gebieten wie zum Beispiel in West-Virginia oder Ohio. Wegen des Fracking-Booms in ganz Nordamerika seien die Methanemissionen heute grösser denn je, stellt Howarth fest. Dieses Gas ist mindestens 25mal klimaschädlicher als CO2. 

Methan sei jedoch nur eine finstere Seite des LNG, kommentiert die ARD-Doku, deutlich schlimmer sei die Schadensbilanz von LNG beim Förderprozess. Im Nordwesten der USA recherchiert der Fernsehreporter über den radioaktiven Giftmüll. Beim Fracking wird das Gas mit Hilfe von Wasser, Chemikalien und Sand aus dem Boden gespült. Dieses Wasser ist jedoch hochgiftig, wenn es wieder an der Erdoberfläche ankommt. Denn die Gasvorkommen im Boden sind mit Schiefergestein verbunden, das häufig radioaktives Radium enthält. Durch die dort angewandte Form des Frackings würden diese Mineralien ausgewaschen, nach oben gespült und machten Arbeiter wie Anwohner krank. Die Strahlungswerte von Radium würden bis zu sechsfach über dem erlaubten Wert liegen. Entlang der texanischen Küste seien die Fälle von Krebs, Unfruchtbarkeit, Atemwegs- und Nervenerkrankungen stark angestiegen. 

Lieber eigene Kohle verfeuern

Fachleute halten den Handel mit flüssigem Gas deswegen für verantwortungslos. Im Interview empfiehlt Robert Howarth von der Cornell Universität Deutschland, die eigenen Gasvorkommen konventionell auszuschöpfen. Und nötigenfalls sogar lieber auf Kohle zu setzen, bis man genug erneuerbare Energie erzeugen könne. Das wäre wesentlich klimaschonender als gefracktes LNG aus Übersee zu importieren, stellt er fest.

Was der Professor sagt, wird durch eine Studie bestätigt, die Steffen Bulkolt von den Hamburger Umweltberatern Energy Comment in diesem Jahr angefertigt hat. Er stellt fest: „Es ist unstrittig, dass LNG-Lieferungen mit sehr hohen Klimaemissionen verbunden sind.“ Sie entstünden beim Fracking für Schiefergas, bei Pipelinetransporten, in den LNG-Exportterminals und während der Tankertransporte über die Weltmeere. „Die Schätzungen zum Gesamtvolumen dieser Klimaschäden werden seit Jahren nach oben revidiert.“ Durchschnittlich müssten zu den Emissionen bei der Gasverbrennung noch einmal mindestens dieselben Klimaschäden durch die „Vorkettenemissionen“ addiert werden.

Gleichzeitig warnt er davor, dass die deutsche LNG-Politik zu einem „Überausbau der Infrastruktur mit dem Risiko eines fossilen Lock-ins bis weit in die 2040er Jahre“ führe. Auf deutsch: Bulkolt sieht die Gefahr, dass die einmal aufgebaute Infrastruktur dazu führt, länger als nötig an der LNG-Technologie festzuhalten. Bis zu 80 Milliarden Kubikmeter Erdgasimporte ermöglichen die aktuellen deutschen LNG-Terminalpläne bis zum Jahr 2027. Diese Menge könnte den gesamten aktuellen Gasbedarf Deutschlands decken und wirke vor dem Hintergrund des Terminalbooms in den Nachbarländern, stabiler Pipelineimporte aus Norwegen und der steil sinkenden Gasnachfrage „stark überdimensioniert“. Ärmere Länder, so beschreibt er ein zusätzliches Problem, spürten die Folgen schon heute. Der Importsog Europas treibe die LNG-Preise in die Höhe. Mehrere südasiatische Länder mussten ihre Einfuhren drosseln oder vollständig stoppen. Stromkrisen und die Rückkehr zur Kohle sind die Folgen.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) lässt sich davon allerdings nicht beirren. Er hat erst jüngst die CDU geführte Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern angemahnt, das Verfahrens zur Genehmigung des geplanten LNG-Terminals in Mukran zu beschleunigen. In einem Brief forderte er die Regierung von Ministerpräsidentin Manula Schwesig auf, das Genehmigungsverfahren mit „krisengebotener Effizienz" durchzuführen, um Versorgungsengpässe und Preisanstiege zu verhindern. 

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