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Wirtschaft > Das 2G-Modell ist Teil des Problems

Kekulé zu den Impfungen: Die Menschen wurden falsch informiert

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Das 2G-Modell ist keine Lösung, sondern Teil des Problems, sagt der Epidemiologe Alexander Kekulé. Die Menschen wurden falsch informiert, sie glauben, sie seien nach der Impfung geschützt. Von der Bundesregierung wurden hier falsche Versprechungen gemacht. Dabei könnten auch Geimpfte weiter ansteckend sein. Inzwischen sei bereits fast jeder zweite Patient über 60 vollständig geimpft. Die Impfstoffe seien nicht sicher genug, um 2G- oder 3G-Veranstaltungen ohne Maske, ohne Abstand, ohne Test und vor allem ohne Obergrenze zu bewältigen. Die Zahl der Impfdurchbrüche sei größer als erwartet. Studien würden zeigen, dass die Ansteckungsgefahr bei vorsichtigen Ungeimpften geringer sei als bei denjenigen Geimpften, die glauben, ihnen könne nichts passieren. Durch Impfungen lasse sich diese Herbstwelle nicht mehr einfangen, dafür sei es jetzt zu spät. Von Jürgen Fritz.

Alexander Kekule zu Gast in der "M.Lanz", Foto: picture alliance / Stephan Persch | Stephan Persch
Alexander Kekule zu Gast in der "M.Lanz", Foto: picture alliance / Stephan Persch | Stephan Persch

In diesem November sei zwar vieles völlig anders als vor einem Jahr. Bei gleichen Fallzahlen gebe es dank der Impfungen nicht mehr so viele Krankenhaus-Einweisungen und Todesfälle. „Wir haben heute eine Inzidenz über 300, vor einem Jahr sind wir bei 50 in den Lockdown gegangen“, so Kekulé , der aber gleich anfügt: „ich würde sagen, dieses Jahr sind wir allerspätestens bei 500 in dieser Situation“. In diese Richtung würden wir aber steuern und es stelle sich dringend die Frage: „Wo ist der kurzfristige Notfallplan für die nächsten Wochen?“

Anmerkung dazu: Inzwischen haben wir laut Our World in Data zum Stand 22.11.2021 sogar schon die Marke von 400 neue registrierte Infektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen bzw. über 4.000 pro eine Million Einwohner überschritten:

Situationsgebundene 2G-, 2G-plus- und 3G-Regeln allein würden nicht funktionieren. Vor allem das sogenannte 2G-Modell (Zugang nur für Geimpfte und Genesene) sei ja Teil des Problems.

Geimpfte und Genesene glauben, sie wären sicher, weil man ihnen das bis vor Kurzem so gesagt hat. Aber auch sie infizieren sich zu einem erheblichen Teil. Dadurch haben wir jetzt diese massive Welle unter den Geimpften“,

so der Virologe wörtlich.

Die Menschen wurden falsch informiert, sie glauben, sie seien nach der Impfung geschützt

Das aber sei „deshalb so gefährlich, weil diese Menschen glauben, sie seien geschützt. Sie wurden falsch informiert“. Sogar das Robert-Koch-Institut habe das noch bis vor Kurzem auf seiner Website falsch dargestellt. Immerhin haben habe man dort inzwischen den Satz entfernt, dass Geimpfte so gut wie nichts zum Infektionsgeschehen beitragen würden.

In den USA sei tatsächlich die Rede vom falschen Versprechen der Impfung. Dem würde er sich ungern anschließen, „weil die Impfungen ja gegen schwere Verläufe weiterhin gut schützen“. Er würde eher „von einem falschen Versprechen der Bundesregierung reden. Es wurde suggeriert, dass Geimpfte wieder ein völlig normales Leben führen könnten.“

Es habe einen Werbeclip zur Primetime gegeben mit Menschen ohne Maske auf Konzerten, Massenveranstaltungen, alle dicht an dicht. Das Motto habe gelautet: Impfen für die Freiheit. Dabei sei schon als der Spot lief, klar gewesen, dass es so nicht funktioniere, weil es keine Herdenimmunität bei Coronaviren gebe. Auch Geimpfte könnten ja weiterhin ansteckend sein.

Trotzdem gab es diese Vorstellung oder dieses Wunschdenken und da stelle sich schon die Frage, wieso man das so verkauft habe.

„Natürlich stand dahinter auch der redliche Versuch, Menschen zum Impfen zu bewegen“ (auch mit übertriebenen Versprechungen, JFB).

Das Ergebnis sei allerdings das, „was wir jetzt haben“. Die Impfstoffe seien nicht sicher genug, um 2G- oder 3G-Veranstaltungen ohne Maske, ohne Abstand, ohne Test und vor allem ohne Obergrenze zu bewältigen.

Die Vielzahl der Impfdurchbrüche hat Kekulé nicht erwartet

Hinzu komme, dass man die Wirksamkeitsdaten zumindest der mRNA-Impfstoffe längst an die Delta-Variante hätte anpassen können. „Dass die weltweit vorherrschend werden würde, war spätestens seit März klar, und da stellt sich mir die Frage, warum das nicht geschehen ist“, so Kekulé. Der Chef von Pfizer habe schon vor einigen Wochen gesagt, dass der an Delta angepasste Impfstoff bereits im Regal stehe. Da stelle sich die Frage, warum wir mit dem gegen die ursprüngliche Wuhan-Variante entwickelten Impfstoff boostern, statt die neu angepassten Vakzine zu verimpfen.

Es sei keineswegs geklärt, ob ein abgewandelter Impfstoff unter derselben Zulassung weiterlaufen könne. Eigentlich müssten die Hersteller dann neue Wirksamkeitsstudien vorlegen. Ob noch einmal die fantastische Effektivität von 95 Prozent herauskäme, sei dabei nicht vorhersehbar. Zudem sei die Durchführung solcher Studien nicht trivial und könne teuer werden. Deshalb würden Pfizer und Moderna darauf drängen, für die Boosterung noch einmal die alten Produkte zu verwenden.

Zum häufigen Versagen des Impfstoffs meinte der Epidemiologe: Die Vielzahl der Impfdurchbrüche habe er anfangs nicht erwartet. Als im November letzten Jahres die Wirksamkeitsdaten der Impfstoffe vorgestellt wurden, habe er gedacht, der Schutz vor schweren Verläufen sei so gut, dass wir die Inzidenz in Deutschland in wenigen Monaten unter Kontrolle bekämen. Dann aber sei die Delta-Variante gekommen und „es wurde klar, dass wir dieses Ziel mit diesen Impfstoffen nicht erreichen werden“.

Fast jeder zweite Patient über 60 ist vollständig geimpft

Jetzt sei es „eine Tatsache, dass in den Krankenhäusern fast jeder zweite Patient über 60 Jahren vollständig geimpft ist“. Bei den Verstorbenen sei die Quote ähnlich. „37 Prozent der Intensivpatienten über 60 sind doppelt geimpft“. Es sei einfach so, „dass der Impfstoff gegen die Delta-Variante nicht gut genug schützt“.

Für die besonders gefährdeten Menschen ab 60 Jahren liege der Schutzfaktor bezüglich schwerer Erkrankungen bei etwa eins zu zehn. Umgekehrt bedeute dies, dass von 100 Leuten, die eigentlich im Krankenhaus gelandet wären, jetzt trotzdem noch zehn eingeliefert werden müssten. Das aber sei eine Quote, mit der wir uns nicht beliebig viele Infizierte leisten könnten.

Zumal wenn sich die momentan 57 Millionen Geimpften in Deutschland auch noch unvernünftig verhalten, weil die Bundesregierung ihnen mit 2G eine falsche Sicherheit einrede. Die andere Hälfte des Problems sind die über drei Millionen Ungeimpften, die 60 oder älter sind. Die sollten wir dringend überzeugen, sich impfen zu lassen.“

Die Ansteckungsgefahr bei vorsichtigen Ungeimpften ist geringer als bei sich in Sicherheit wiegenden Geimpften

Zu den etwa sieben Millionen Impfverweigerer äußerte sich Kekulé wie folgt: Es gibt viele, die aus persönlichen Gründen zurückhaltend sind. Schwangere zum Beispiel oder jene, die auf konventionelle Impfstoffe warten, die nicht auf mRNA-Basis gründen.

„Interessante Studien zeigen, dass die Ansteckungsgefahr bei vorsichtigen Ungeimpften geringer ist als bei denjenigen Geimpften, die glauben, ihnen könne nichts passieren.“

Man könne nicht von einer „Tyrannei der Ungeimpften“ sprechen, wenn fast die Hälfte der älteren Covid-Kranken in den Kliniken doppelt geimpft ist. Und deren Zahl werde weiter zunehmen, erwartet der Epidemiologe. Denn wenn irgendwann die ganze Republik geimpft sei, dann seien bei einem Schutzfaktor von eins zu zehn irgendwann automatisch die Geimpften in den Krankenhäusern in der Mehrheit. Das habe man ja auch in Israel beobachten können.

Durch Impfungen lässt sich diese Herbstwelle nicht mehr einfangen

Diese Herbstwelle lasse sich durch Impfungen nicht mehr einfangen, dafür seit es jetzt zu spät. „Voraussichtlich lassen sich auch viele junge Menschen impfen, wenn man, wie jetzt geplant, ohne Priorisierung boostert.“ Aber das sei zur Vermeidung schwerer Krankheitsverläufe nicht notwendig und werde auch keinen kurzfristigen Effekt auf die Infektionszahlen haben.

Entscheidend sei vielmehr die Tatsache, dass ein erheblicher Teil der Geimpften über 60 von Anfang an nicht richtig immun war. Weil sie mit AstraZeneca oder Johnson & Johnson geimpft wurden, die anfangs besser verfügbar gewesen seien. „Viele Ältere waren nur scheinimmun, weshalb man auch nicht sechs Monate mit der dritten Spritze warten sollte.“ Besser seien vier Monate. Die Boosterung der über 60-Jährigen und der Schutz der Risikogruppen müsse jetzt Vorrang haben.

Hospitalisierungs-Index statt Inzidenz als Maßstab zu nehmen, ist ein Fehler

Den Hospitalisierungs-Index als neue Maßstab zu nehmen, statt der Inzidenz, sei aber ein Fehler. „Wir dürfen nicht beliebig viele Menschen sterben lassen, nur weil die Krankenhäuser noch nicht voll sind“, so Kekulé. Der Hospitalisierungs-Index sei für sich alleine ein gefährlicher Gradmesser, „weil er im Vergleich zur Inzidenz nur verzögert reagiert“.

Hier können WELT+-Abonnenten das gesamte Interview nachlesen.

Quelle: Jürgen Fritz

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