Die Welt interessiert sich nicht für deutsche Klimawählkämpfer
Das Hochwasser in Belgien, Luxemburg, Holland und Deutschland ist eine Katastrophe. Trotz aller Beteuerungen nutzen vor allem Klimaaktivisten und Parteien die Situation für ihren Wahlkampf und schlachten das Leid der Menschen für ihre Agenda zur Bundestagswahl rücksichtslos aus. Schließlich ist jetzt die Zeit der Emotionalisierung und des Agenda-Settings. Von Andreas Mohring.

Natürlich muss also der Klimawandel Schuld sein. Sonst nichts. Und natürlich muss die Politik der Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft jetzt genauso kompromiss- und rücksichtslos durchgedrückt werden, wie die Katastrophengebiete als Bühne und Projektionsfläche ausgenutzt werden. Das passt zur Hybris und Selbstgerechtigkeit der Protagonisten. Allein: Es wird nichts nützen. Andere Antworten versprechen dagegen Erfolg.
Erst kam der Schock, dann die Betroffenheit. Gleich mit der Betroffenheit, kam aber auch die Versuchung, die Unwetterkatastrophe als Steilvorlage für die eigene Kampagne zur Bundestagswahl zu machen. Klimaaktivisten von Fridays for Future, Extinction Rebellion genauso wie vor allem Politiker*innen von Grünen und SPD waren gleich am ersten Tag der Ereignisse dabei, zum Angriff auf den politischen Gegner zu blasen, sogar konkret einzelnen Personen die Verantwortung für die Katastrophe zuzuschreiben. Dass Grüne und SPD über Jahrzehnten in genau den betroffenen Gegenden regiert und Verantwortung getragen haben und heute immer noch an der Regierung sind wurde dabei geflissentlich übersehen. Das Versprechen eines „fairen Wahlkampfs“ war so schnell vergessen, wie die Sturzfluten durch die Landschaft und die sozialen Medien rauschten. Auch die sonst immer moralisierend vorgebrachte Warnung, menschliche Tragödien dürften nicht in den Wahlkampf gezogen werden, galt nicht mehr. Während sonst natürlich Themen wie Flüchtlinge, Pandemien, Krieg und Vertreibung oder Naturkatastrophen in anderen Gegenden angeblich unbedingt aus dem Wahlkampf herausgehalten werden müssen, weil sie sch dafür angeblich „nicht eignen“, scheint das bei Tod, Zerstörung und Milliardenschäden im eigenen Land ganz offensichtlich nicht zu gelten.
Katastrophe mit Ansage
Nach der - ernst gemeinten oder gespielten - Betroffenheit und dem parteipolitischen Ausnutzen kommt jetzt die Zeit des Aufräumens. Vor Ort. Aber genauso auch politisch und gesellschaftlich. Das betrifft wie immer, die Analyse der Vergangenheit und vor allem die Schlüsse für die Zukunft. Schauen wir in die jüngere und jüngste Vergangenheit, dann können wir feststellen, dass es sich um eine Katastrophe mit Ansage gehandelt hat. Schon Tage vor den verheerenden Flutwellen haben Wetterdienste und der Katastrophenschutz eindringlich gewarnt. Es kann in solchen Situationen nie ganz genau vorhergesagt werden, wo exakt die Regenmassen kleine Bäche in reißende Flüsse verwandeln. Doch dass die jetzt betroffenen Landstriche besonders gefährdet waren, war klar. Die Frage ist: Warum wurde nicht rechtzeitig evakuiert? Warum wurden die Modellrechnungen nicht akribisch ausgewertet und warum wurde nicht proaktiv geschützt? In anderen Gefährdungslagen der letzten 18 Monate, war die Politik und die Verwaltung doch auch in der Lage, schnell und konsequent zu handeln, wenn es darum ging Menschen zu sagen, was sie gefälligst zu tun haben, um sich und andere zu schützen. Wieso werden die Möglichkeiten der Digitalisierung mit Sensorik, Datenauswertungen, KI basierten Vorausberechnungen und KI basierten Risikoanalysen nicht genutzt, wenn es darum geht, Menschenleben zu schützen? Das würde ganz konkret helfen und wäre auch relativ schnell umsetzbar. Aber wir wissen ja seit Corona, wie der Digitalisierungsstand von Ämtern und Behörden in diesem Land ist…
Statt sich aber um effektive und realistische Antworten auf die Herausforderungen von Extremwetterereignissen zu kümmern, werden lieber die „großen Themen“ adressiert. Die sozial-ökologische Volltransformation der Wirtschaft müsse nun erst recht vorangetrieben werden. Und zwar sofort. Deutschland muss aus allen fossilen Energieträgern aussteigen. Der Kampf gegen den weltweiten Klimawandel wird scheinbar mit der deutschen Bundestagswahl entschieden. Doch wie sinnvoll ist es und welchen Effekt hätte ein (nicht realistischer) Komplettausstieg Deutschlands aus fossilen Energieträgern und eine Klimaneutralität der größten Volkswirtschaft Europas? Die EU ist aktuell für acht Prozent der weltweiten CO2 Emissionen verantwortlich. Deutschland ist nur ein Teil davon. Würde Deutschland klimaneutral, so hätte das einen Effekt auf die Erdewärmung von nicht mal 0,1 Grad Celsius. Das soll also die einzig sinnvolle Lösung sein? Ist das nun Ignoranz oder eher Arroganz und Hybris?
Die Welt interessiert sich nicht für deutsche Klimawählkämpfer
Wahrscheinlich letzteres. Denn die Protagonisten des Sofort-Ausstiegs aus der karbonisierten Wirtschaft gehen über die Interessenlagen der restlichen Welt hinweg. Die aufsteigenden Volkswirtschaften in Asien und die „Entwicklungsländer“ in Afrika und Südamerika, die den Klima- und Gerechtigkeitsaktivisten doch angeblich ganz besonders am Herzen liegen, haben weder Verständnis für noch Lust auf Degrowth und CO2 Einsparungen. Sie wollen Wohlstand und Wachstum für ihre wachsende Bevölkerung. Das gilt für China, Indien und praktisch alle anderen asiatischen und afrikanischen Staaten. Russland hat ebenso kein Interesse an einer Dekarbonisierung der Weltwirtschaft, denn es lebt fast ausschließlich von Gas, Öl und Kohle. Paradoxerweise würde ein radikaler und schneller Ausstieg aus fossilen Energieträgern wohl zu einer Erhöhung der CO2 Emissionen in Europa und weltweit führen. Der Grund: Die Erdöl- und Erdgasstaaten würden ihre Preise radikal senken, um noch möglichst viel über die verbleibende Zeit bis zum Ausstieg in Europa loszuwerden. Das würde extrem billige Energie- und Treibstoffpreise bedeuten und damit gerade einen Anstieg des Verbrauchs in Europa zur Folge haben. Ökosteuern und andere Abgaben würde ihre Wirkung verfehlen, weil der Grundpreis des Rohstoffs niedrig ist. Der Rest der Welt freute sich auch über billige Rohstoffe und würde die eigene Industrialisierung erst recht noch beschleunigen. Dem Klima hilft das nicht. Es wäre im Gegenteil ein Fossil-Booster für die Erderwärmung.
Wie wäre es also, mal das naheliegende und realistische zu tun? Pragmatismus hilft in komplexen Situationen am meisten. Der Schwerpunkt unserer Bemühungen muss also auf den Anpassungen an die Folgen des Klimawandels liegen. Denn der Klimawandel ist da, da gibt es keine Zweifel. Den Rest der Welt interessieren unsere Befindlichkeiten und Wunschträume nicht; die Menschheit richtet sich nicht nach der Hybris deutscher Klima-Wahlkämpfer mit Missionsanspruch. Auch haben wir weder das Potenzial andere Staaten zum Umlenken zu zwingen, noch wollen wir doch neo-kolonialistisch auftreten und anderen Gesellschaften vorschreiben, was sie zu tun haben. Oder? In der Anpassung ist noch viel zu tun. Wir brauchen eine resiliente Infrastruktur, die mit extremen Ereignissen umgehen kann und dem Druck von Sturm, Hitze und Wassermassen standhält. Wir brauchen ein koordiniertes und datenbasiertes Wassermanagement. Wir brauchen flexiblen Hochwasserschutz in gefährdeten Gebieten. Wir brauchen eine Neubewertung von Bebauungsplänen und Flächenentwicklungen. Wir brauchen moderne, digitale Technologien und Sensoren auf und in Gebäuden, die rechtzeitig warnen, bevor eine Gefahrenlage entsteht. Wenn Rauchmelder in allen Gebäuden Pflicht sind, warum dann nicht auch Niederschlagsmesser? Wir brauchen Ämter und Behörden und Rettungsdienste, die die Möglichkeiten digitaler Kommunikation und Koordination nutzen. Wir brauchen andere Baumaterialien. Wir brauchen mehr Daten und Rechnerkapazitäten für bessere Voraussagen. Und noch so einiges mehr.
Wer Klimaschutz und Menschenschutz ernst meint, der wird im Wahlkampf genau darüber reden. Es geht um Inhalte und konkretes Handeln, anstelle von Hybris und Horrorszenarien. Es wird spannend, wer das kann und wer das will. Krisen sind Zeiten des Charaktertests. Wahlkämpfe auch. Wir sind mitten drin.