Zu früh für Jubelchöre
Der Mindestlohn hat noch keinen Schaden angerichtet – immerhin. Bei der SPD wird er aber nicht für die erhoffte Trendwende sorgen.

Seit Jahresbeginn 2015 gilt der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn. Noch ist es viel zu früh, ein abschließendes Urteil über seine wirtschaftlichen Auswirkungen zu fällen. Aber eines lässt sich sagen: Bisher nutzt der Mindestlohn kaum jemandem wirklich – nicht einmal der SPD. Der Mindestlohn war in den Koalitionsverhandlungen ein Herzensanliegen der SPD. Dabei ging es den Sozialdemokraten nur vordergründig um die „working poor“, um jene Menschen, die trotz Jobs ohne staatliche Hilfe nicht über die Runden kommen. Vielmehr wollte die SPD ihr durch die „Agenda 2010“ nachhaltig beschädigtes Verhältnis zu den Gewerkschaften reparieren. Mit dem Mindestlohn konnte die SPD zudem ihre offene Flanke gegenüber der Linkspartei schließen. Denn der staatlich fixierte Lohn ist das „Baby“ der Linkspartei. Schon 2002 hatte die PDS (früher: SED, heute: Die Linke) ihren ersten Antrag zur „Einführung eines existenzsichernden Mindestlohns“ im Bundestag eingebracht. Er wurde von der damaligen rot-grünen Mehrheit abgeschmettert, von der CDU/CSU selbstverständlich auch. Ihr Nein zum Mindestlohn erwies sich für die SPD als schwerer Nachteil gegenüber der sich 2005 neu formierenden Linkspartei/PDS. Die nutzte den Mindestlohn als Alleinstellungsmerkmal für sich und legte – nicht zuletzt deshalb – bei der Bundestagswahl 2005 auf 8,7 Prozent zu. Parteipolitisch hat sich der Mindestlohn für die SPD also teilweise ausgezahlt: Das Verhältnis zur organisierten Arbeitnehmerschaft ist wieder so gut wie in der Vor-Agenda-Zeit, und der Linken wurde ein wichtiges Thema genommen.