Er ist ein fotografisches Highlight, der neue Bildband, der Angela Merkel buchstäblich im Fokus hat. Tiefe Einblicke in das bewegte Leben der Kanzlerin gibt er und zeigt ungewohnte und bisher unbekannte Fotos. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hat das Vorwort für eine Europa-Politikerin per excellence und seine Vertraute auf dem politischen Parkett geschrieben und damit ein sehr persönliches Zeugnis, ein fast liebevolles Bild der einst so schüchternen Pastorentochter gezeichnet. „Wer sie betrachtet, wird feststellen, dass sich hinter den Abbildungen immer das verbirgt, was Angela Merkel auszeichnet – ihre Sachlichkeit, ihr unermüdliches Streben nach Harmonie und ihre Liebe zur Freiheit“.

Wer in Berlin etwas auf sich hält, lässt sich von der charmanten wie eleganten französischen Fotografin Laurence Chaperon in Szene setzen. Fast zweihundert Jahre nach der Erfindung der Fotografie durch Joseph Nicéphore Niépce und Louis Daguerre hat die ehemalige Balletttänzerin die Fotografie endgültig zur Kunstform gemacht. Der Frau, die bekennt, dass sie es nicht mag, sich „wichtig zu machen“, gilt seit Jahren als „das Auge der Berliner Republik“. Keine kam Merkel in den letzten Jahren näher, keine hat die 1954 in Hamburg geborene und später in Templin in der Uckermark aufgewachsene Politikerin eindrucksvoller gezeichnet. Doch so sehr sich eine vertraute Nähe zwischen den beiden Frauen hinter und vor der Kamera aufgespannt hat, Chaperon, die in Farbe fotografiert und über eine besondere Gabe der Inszenierung verfügt, ist bescheiden geblieben. Die gelernte Fotografin, die mit 14 Jahren ihre erste Kamera bekam, verfügt über den Charme des „Augenblicks“ und über die große Gabe, zur rechten Zeit den Auslöser zu drücken. Ihre Bilder brillieren durch dramatische Tiefenschärfe, sind zuckrig und hart zugleich – und ihre Porträts von Merkel sind ikonisch.

Hinter die Kulissen der Macht zu schauen – ist ein Faszinosum. Doch die Kunst bleibt die Inszenierung. Chaperon verpackt in ihren Bildern mit französischem Esprit Ästhetik und politische Botschaft auf charmante Art, bringt Ungelenkes in Form, schmeichelt in ihren Aufnahmen und präzisiert das Wesentliche auf den Punkt. Porträts von Thomas de Maizière, Hermann Gröhe, Wolfgang Schäuble und Manuela Schwesig sind einzigartige Aufnahmen, die den Wesenskern der Fotografierten und ein Stück Seele in die kurzweilige Ewigkeit des Bildes zaubern.


Foto: Laurence Chaperon

Ob bei Beratungen mit den mächtigsten Politikern der Welt hinter verschlossenen Türen, bei Staatsbesuchen in Krisengebieten bis hin zu vertrauten Gesprächen mit der Familie und mit Bürgerinnen und Bürgern – Chaperon, die einerseits „Augen-Blicke“ fokussiert, andererseits bewusst durchdachte Inszenierungen zu ihrem künstlerischen Repertoire zählt, immer sucht sie nach dem besonderen Moment, nach der Ausnahme in der Routine, nach dem, was das Situative in seiner Einmaligkeit zeigt und das zum Strahlen bringt, was Sekunden später wieder verlischt. Ihre Kunst macht sie selbst zur Seismographin, die präzise die unwiederbringlichen Schwingungen des Augenblicks dokumentiert. Ein gutes Bild sei wie im Ballett „eine Kombination aus Emotion und Ästhetik“, es verfängt zwischen Oberfläche und Tiefe.
Foto: Laurence Chaperon
Mit der „Physikerin der Macht“, die nach außen oft stoisch und kühl wirkt, hat Chaperon eines ihrer großen Sujets gefunden. Und sie zeigt, dass die Kanzlerin, die am 2. Dezember mit dem Großen Zapfenstreich aus dem Amt scheidet viel facettenreicher ist, als im medialen Zirkus oft verzerrend dargestellt wird. Eine Metamorphose der Macht in Bildern, so lassen sich die Arbeiten Chaperons liebevoll umschreiben. Und es sind fast psychologische Porträts über denen allesamt ein fotografisches Ethos waltet. Auf einem der liebsten Porträts Chaperons sitzt die mächtigste Frau der Welt an der Ostsee auf einem Stein. Es ist die unbefangene ehemalige CDU-Chefin, die dort mit zerzaustem Haar posiert. Es zeigt eine andere Seite Merkels, ihre persönlichste vielleicht. Von der Natur umgeben, atmet sie jugendliche Vitalität, gibt sich in wilder Unbefangenheit. Sie wirkt für einen „Augen-Blick“ frei – jenseits des politischen Räderwerks, in das sie seit Jahren fast im Minutentakt eingespannt war.


„Mein Mädchen“ nannte Kanzler Helmut Kohl die Pfarrerstochter, die er 1991 mit 36 Jahren zur Ministerin für Frauen und Jugend machte – und dieses Mädchen ist in den Jahren zum Schmetterling geworden, hat sich entpuppt. Doch auch die einsamen Momente der politischen Karriere Merkels zeichnet Chaperon nach, Momente, wo die Krisenmanagerin durch den russischen Staatspräsidenten gedemütigt wurde, weil er als Provokation und Inszenierung seiner Macht seinen Labrador ihr zur Seite legte, wohl wissend, dass sie keine besonders große Affinität zu Hunden hat. Trotz des Affronts seitens des russischen Autokraten hat sich die politische Versöhnerin, immer wieder um den Dialog mit Russland bemüht.


Ihre Einsamkeit, aber auch ihre Vertrautheit im Kreis persönlicher Freunde, Resignation, aber auch der hoffnungsvolle Blick – es ist die ganze Merkel, die Chaperon in Bilder bringt, sowohl in ihren Sternstunden als auch in den Augenblicken des Verlassenseins. Die Französin wird Merkel auch dann im Objektiv behalten, wenn diese die weltpolitische Bühne verlässt. Die Star-Fotografin, die nicht auf das Image einer Kanzlerfotografin reduziert zu werden, bekennt: „Ich bin sowieso ein treuer Mensch.“ Und das sie ihren Job so gut macht, liegt auch darin, dass sie dafür sorgt, dass sich ihr Gegenüber „in der Situation selbst angenehm ist.“
Foto: Laurence Chaperon
Der Bildband entstand in einer Kooperation des CH. GOETZ VERLAG von Christiane Goetz-Weimer mit dem Finanzbuchverlag.
Foto: Laurence Chaperon