Die Idee der Humanität
Hölderlin, der Dichter der Schwaben, der wie Friedrich Nietzsche erst posthum Weltruf genießen sollte, hatte es nicht leicht mit sich und der Welt, an der er litt, weil diese eben nicht so vollkommen wie die gelobte Antike war, weil sie so sehr im Gewöhnlichen und Unmenschlichen, in Knechtesgeist und Unfreiheit siedelte und so voller Ungerechtigkeiten und fern der unendlichen Idee des Humanums war. Nie sollte er glücklich sein durch Liebe in dieser Welt der „Götterferne“. Der Dualismus der Welt machte ihn krank, trieb ihn zu Spinozas Pantheismus und Friedrich Schillers großartiger sittlicher Ästhetik. Dem revolutionären Denker des Sturm und Drangs, dem feinsinnigem Marbacher Dichter Schiller, dem Geschichtsphilosophen und der Verfasser der Erziehungsbriefe, dem Ästhetik zur Bürgerpflicht und eine Ästhetisierung der Gesellschaft als Ideal vorschwebte, war Hölderlin innig verbunden. Wie das große Vorbild Schiller suchte auch er die Menschheit nicht durch pure Pflicht zu verbessern, sondern durch eine Synthese von Ethik und Ästhetik.
Schiller und Hölderlin – Liebe und Ambivalenz
Schiller, der Hölderlin oft „das ist mein liebster Schwabe“ nannte, galt als Idol der Freiheit im pietistischen Schwaben und stellte zugleich den Gegenentwurf zum absoluten Monarchismus des württembergischen Regenten dar. Hölderlin wird ihm hier folgen, wenn auch er sich inbrünstig zu den Idealen der Französischen Revolution bekennt. Hölderlin, der gemäßigte Jakobiner und Republikaner, wird aber dann von Schiller weichen, wenn dieser die Moderne als das bestimmen wird, das nicht mehr ins Arkadische zurück kann. Doch gerade dieses Elysium der Götter Griechenlands wird der Lauffener wieder mit seinem Dionysios beschwören, den rasenden, baccantischen Gott, der 100 Jahre vor Nietzsches Dionysioskult bei Hölderlin als der Gott des Werdens gilt, der ins Offene treibt.
Der neue Schlachtruf Hen kai Pan
Und Hölderlin will sie wiedererrichten, die alte Welt, die ins Unendliche greift, sei es in Gott, in der Natur oder in der Poesie als Weltentwurf. Und er sucht die Verbindung von Endlichkeit und Unendlichkeit, er dichtet sie neu, um den Dualismus, das Zerrissene und Getrennte in einer qualitativ neuen Einfalt zu finden. Diese findet er im Hen kai Pan (Eins und Alles) der Antike, die ihm aber des Öfteren in den Händen zerbrechen wird. Der Schlachtruf gilt dem alten Griechenland, dem Elysium am Peloponnes.
Das Ich ist mehr als das von Fichte
Raus aus der philosophischen Isoliertheit des Ich, weg von Fichtes absoluten Ich als Prinzip aller Philosophie – darum geht es Hölderlin, der mit seiner Alleinheitslehre Spinoza, mit seinem Naturbegriff Rousseau folgen wird. Statt sich setzender Ich-Philosophie, die für Hölderlin letztendlich im Nichts kulminiert, wird er den Begriff der intellektuellen Anschauung stellen. Allein diese Unmittelbarkeit steht für die intensivste, moralisch-erotische und erkenntnistheoretische Einheit des Subjektiven und des Objektiven. Die intellektuelle Anschauung ist das unmittelbare Wissen in seiner absoluten Reinheit, die aber nur die eine Facette von Welterkenntnis sein kann, deren andere die permanente Überschreitung des subjektiven Bewusstseins ist. Nicht das Ich wird so zum Prinzip der Philosophie, sondern das „Ich“, das per Poesie eine bessere Welt errichtet, ein Himmelreich auf Erden stiftet und dieses um die natürliche Religion und den Volksgeist erweitert.
Zu Teil 1 kommen Sie hier: Durch Poesie aus der Zerissenheit des Daseins I.