Er gilt als das wichtigste Nachschlagewerk – auch in Zeiten der Digitalisierung ist das analoge Mammutwerk der deutschen Sprache nach wie vor ein Bestseller. Doch Corona-bedingt wird der Duden dicker. Der gute alte Duden, wenngleich das Vintage-Möbel des deutschen Bildungsbürgerhaushalts, der Brockhaus und Co. überlebt hat, zählt immer noch zum Inventar der Bundesbürger. Telefonbuch, Duden, Branchenbuch, wenn man nicht viel auf Bücher hält, der Duden jedenfalls gehört dazu. Dass er mittlerweile 140 Jahre auf dem Buckel hat und einer Zeit entstammt, wo Pferdekutschen, die Straßen säumten, die „Kabelnachricht“ der letzte Schrei war, das Telefon – von Johann Philipp Reis, dem Telefonerfinder aus Gelnhausen – gerade mal über 20 Jahre die Welt beglückte, man „Tressenröcke“ und Hüte trug und auf Reisen noch einen „Zehrpfennig“ mit sich führte.
Das Wort Telefon ist geblieben
Das Telefon ist im Zeitalter von i-Phone geblieben, den irgendwie ist ein Smartphone auch ein Sprachempfänger, wenngleich es für die Jugend eigentlich nur einen Daumenverstärker ist, mit dem sie eine Vielzahl von Plattitüden, Banalitäten und Nichtigkeiten in die Welt senden. Reden will ja kaum einer mehr – und zuhören erst recht nicht: Besser Whats-App oder Instagram mit Cocktail im Sonnenuntergang oder das vielzitierte gepostete Frückstücksbrötchen, das Oliver Pocher mehr Likes verschafft, als ein “sinnvoller” Satz aus seinem Munde. Der „Tressenrock“, der „Zehrpfennig“ und die „Kabelnachricht“ wurden hingegen gestrichen. So alt ist der Duden nun auch wieder nicht. Was bis 2017 noch ein Begriff oder Wort war, das die deutsche Sprache zierte, ist nun, nach drei Jahren, nicht mehr lernbarer Buchstabenstoff. Auch der „Schlafgänger“, den es zwar immer noch gibt, findet im Duden keine Erwähnung mehr. Und auch die „Kammerjungfer“, die manch einer gern noch hätte, sofern man eine Jungfer noch findet, ist genauso obsolet wie im Zeitalter der Emanzipation und des Gender-Mainstreams das Wort „beweiben“.
Stattdessen war das Nachschlagewerk nie aktueller als gerade in Corona-Zeiten. Wortprägungen, die die wohl schwerste Pandemie aller Zeiten im Gepäck hat, zählen nun erstmals zum deutschen Sprachgut und sind damit für Legastheniker, worunter sich auch der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow zählte, in das Standardwerk geflossen: Reproduktionszahl, Herdenimmunität, Ansteckungskette, Infektionskette, Covid-19, Reproduktionszahl und Lockdown sind Wörter, die der neuen Realität entstammen. Man hätte auch gern auf sie verzichten können.
Der Duden wimmelt nur so vor Anglizismen
Aber nicht nur Corona hat Spuren hinterlassen. Der Duden wimmelt nur so vor Anglizismen. „Home-Office“ ist eins – und auch dies verdankt sich letztendlich der Coronakrise. Während die amerikanischen Soldaten, die einst Deutschland befreiten, auswandern weil der amerikanische Präsident Donald Trump die Bundesbürger bestrafen will weil sie zu wenig Geld für die Nato ausgeben, wandern umgekehrt, Wörter aus dem angloamerikanischen Sprachraum massenweise ein: „Influencer“, „Hatespeech“, „Tiny House“, „Brexiteer“, „Craftbeer“, „Lifehack“ oder der „Powerbank“ oder „Fridays for future“. Was der Deutsche nicht mehr in die eigene Sprache zu transformieren vermag, wird einfach adaptiert – und der Duden bringt es unter ein Dach. Das gilt auch für Verben, die sich in der Alltagssprache immer stärker verbreiten: Wer spricht schon von gefallen, wenn er „liken“ sagen kann. Auch „doodeln“ oder „leaken” sind Sprachrenner, oder eben auch Deutsch-Vernichter. Aber der Duden ist neben Vintage eben auch ein Newcomer, wenn es um den Zeitgeist geht.
Das Adjektiv „genderfluid“ ist ein bemerkenswerter Neuzugang
Die Zeiten, das hat auch der Duden gemerkt, sind nicht mehr Schwarz oder Weiß, es gibt nicht mehr nur Frauen oder Männer, es gibt beides, es gibt das biologische und das gesellschaftliche Geschlecht, Toiletten gar für das dritte Geschlecht. Manche sind Männer, fühlen sich aber als Frauen. Das gleiche gilt umgekehrt. Der Duden, vor 140 Jahren undenkbar, ist Geschlechtersensibel geworden. So findet sich unter den bemerkenswerten Neuzugängen das Adjektiv „genderfluid“ („eine sich zwischen den Geschlechtern bewegende Geschlechtsidentität bezeichnend“). Auch spart der neue Duden diesmal nicht mit Hinweisen zum gendergerechten Sprachgebrauch.
Sogar das Zwinkersmiley hat er brav aufgenommen
Der Duden ist aktueller denn je, sogar das Zwinkersmiley hat er brav aufgenommen. Das freut den Satiriker und Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Martin Sonnenborn von der „Die Partei“ sicherlich sehr, wenn auch Europa ohne ihn und das Smiley ganz gut zurechtkäme. Er hatte diesem Wort auf seinem Twitter-Account eine ungeheure Prominenz beschert.
Insgesamt beglücken den neuen Duden 148.000 Stichwörter, 3000 neue, 300 altmodische, die nun wirklich nicht mehr in unsere Zeit passen, wurden gestrichen. Wer will schon „Fernsprechanschluss“, wenn doch das i-Phone vor einem liegt. Bei so viel Streichlust verwundert es einen dann doch, dass die alte „Wählscheibe“ überlebt hat. Hier ist wahrscheinlich der Duden nun doch seiner Zeit voraus als einem Huawei-Strategen lieb sein kann. Denn wenn 5G wirklich so gefährlich ist und die Strahlungen die Gesundheit schädigen, wird manch einer wieder auf ein analoges Telefon umsteigen und damit auf die Wählscheibe, wenn er es ganz konventionell will und sogar noch AfD-Wähler, der an den guten, alten Werten festhalten will, weil er sonst keine Werte hat. Für weniger alte Werte stehen das „Geisterspiel“, das „Katzenvideo“ und für die Hipsterfraktion das „Bartöl“ und der „Männerdutt“. Das eine wird Komiker Helge Schneider erfreuen, denn Katzenklo und Katzenvideo lassen sich bei Instagram gut posten, virale Aufmerksamkeit garantiert.
Mehr deutsche Wörter wären auch wieder schön
Der Duden hat sich voll ins Zeug gelegt – und die Redaktionsleiterin Kathrin Kunkel-Razum darf gespannt auf die Reaktionen sein. „Wir legen Wert darauf zu sagen, dass das keine Regel ist, die wir verordnen“, betonte sie gegenüber der dpa. Der wohlmeinende Dudenleser wünscht ihr viel Glück. Das Machtwerk der deutschen Sprache ist einfach zu alt, als dass man nur nörgeln wollte. Nur ob der Zeitgeist immer der beste Ratgeber ist, bleibt anzuzweifeln. Vielleicht sollten die Sprachforscher mal die deutsche Sprache wieder veredeln lernen, als sich von Anglizismen ein„googlen“ zu lassen. Zu wünschen wäre es.