Besser ohne
Zweieinhalb Jahre nach Sarrazin will in Deutschland fast niemand mehr über Zuwanderung sprechen. Das ist verständlich: Debatten über Immigration sind in Europa derzeit nicht ohne Populismus zu haben.

Zweieinhalb Jahre nach der Causa Sarrazin will kaum jemand noch über Zuwanderungspolitik und Migration reden. Nicht Altkanzler Kohl, dessen einstiges Gedankenspiel, die Anzahl der 1982 in Deutschland lebenden Türken innerhalb von vier Jahren „um 50 Prozent zu reduzieren“ von "„Spiegel Online“":http://www.spiegel.de/politik/deutschland/kohl-wollte-jeden-zweiten-tuerken-in-deutschland-loswerden-a-914318.html in alten Akten des britischen Nationalarchivs entdeckt wurde. Nicht die Opposition, die in Person von Michael Roth, Europapolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, lediglich "verlauten ließ":http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/integrations-debatte-kohl-verteidigt-umstrittene-tuerkei-aeusserungen/8587820.html, dass die „schlimmen Aussagen“ Kohls kaum zu glauben seien. Nicht die türkische Gemeinde, deren Vorsitzender Kenan Kolat "sich zwangsoptimistisch zeigte":http://www.berliner-zeitung.de/politik/helmut-kohl-tuerken-sehen-kohl-aeusserung-gelassen,10808018,23898340.html: „Heute kann sich die politische Klasse so etwas nicht mehr leisten. Das ist ein Fortschritt.“ Und auch nicht die Medien. Wie anders war die Situation im Winter 2010/2011, als halb Deutschland sich zu Hobby-Genetikern und die andere Hälfte zu Kulturanthropologen mit stramm rechtem Einschlag mauserte. Allen voran Autor Sarrazin persönlich: „Demografisch stellt die enorme Fruchtbarkeit der muslimischen Migranten eine Bedrohung für das kulturelle und zivilisatorische Gleichgewicht im alternden Europa dar.“ Und: „So spielen bei Migranten aus dem Nahen Osten auch genetische Belastungen - bedingt durch die dort übliche Heirat zwischen Verwandten - eine erhebliche Rolle und sorgen für einen überdurchschnittlich hohen Anteil an verschiedenen Erbkrankheiten.“ In der Rückschau wirken solche Thesen wie eine Karikatur des Populismus. Ihr Schockpotenzial ist inzwischen verpufft und dahinter erscheint: Nichts. In gewisser Hinsicht _ist_ das Fortschritt.