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> Wort des Jahres: Heldin

Frauen aus Stahl

Das Jahr 2013 war ein gutes Kinojahr, ganz allgemein betrachtet. Und es war sogar ein ausgesprochen gutes Jahr für Heldinnen.

The European

Mein Wort des Jahres ist „Heldin“. Endlich, endlich ist auch im Mainstream-Kino, dem Kino der großen Blockbuster, die Erkenntnis angekommen: Das Publikum – sowohl männlich als auch weiblich – will auf der Leinwand Frauencharaktere sehen, die nicht den ewigen Sidekick des männlichen Helden geben oder als Hauptdarstellerin permament auf der Suche nach der großen Liebe (vorzugsweise männlich, charmant und gutaussend) sind. Vielschichtige Frauencharaktere, die Identifikationspotenzial bieten. Dabei galt bisher doch immer die goldene Regel: Männliche Helden yeah, weibliche Helden nicht so sehr. Will doch keiner – vor allem keine Männer – sehen! Von wegen. Der beste Beweis dafür, dass 2013 der Jahr Leinwand-Heldinnen war, ist der zweite Teil der „Tribute von Panem“-Trilogie: „Catching Fire“ (dankenswerterweise nicht ähnlich dämlich übersetzt wie der deutsche Buchtitel „Gefährliche Liebe“) knackte in den USA am Eröffnungswochende den November-Umsatzrekord von „New Moon – Bis(s) zur Mittagsstunde, legte den sechstbesten Kinostart aller Zeiten hin und rangiert schon jetzt auf der Liste der erfolgreichsten Filme 2013. Macht satte 573 Millionen US-Dollar Umsatz weltweit. Wie war das? Heldinnen will niemand sehen?

Vertauschte Geschlechterrollen
Jennifer Lawrence in der Rolle der Katniss Everdeen wollten allein in Deutschland 1,18 Millionen Zuschauer sehen. Und was für eine Heldin sie zu sehen bekamen! Katniss ist endlich mal eine politische Heldin, die – im Gegensatz zur passiv-schmachtenden Bella aus „Twilight“ – Haltung zeigt und sich ins Getümmel wirft. Ja, gleich zwei attraktive Jungs brennen für sie, aber mal ehrlich – Katniss hat einfach besseres zu tun, als sich auf eine romantische Liaison einzulassen. Geknutscht wird zwar schon ein bisschen, aber eher aus taktischen Zwecken: Mit Bäckerssohn Peeta spielt sie das verliebte Paar, um zu überleben, ihren besten Freund, den Minenarbeiter Gale, will sie beschwichtigen. Die Antwort auf sein „Liebst du mich?“ bleibt sie ihm schuldig. Somit sind die Geschlechterrollen in „Catching Fire“ auf neue Art interpretiert, man könnte auch sagen: vertauscht. Peeta ist der mitfühlende, zärtliche und selbstlose Junge von nebenan, der die verschlossene, emotional schwer zugängliche Katniss dazu ermuntert, sich zu öffnen, nicht alles mit sich selbst auszumachen. Er ist im Umgang mit Waffen nicht unbedingt erfahren, während sie mühelos mit ihrem Bogen Tiere (oder Menschen) erlegt. Und: Er ist es, der wiederholt von ihr gerettet werden muss. Sowohl Peeta als auch Katniss sind komplexe, interessante Charaktere, die jeder auf seine Art die Handlung vorantragen. Aber Zentrum des Geschehens ist eindeutig Katniss, die – unüblich für Hollywood-Filme – ihren Partner auch noch um einige Zentimeter überragt. Das Ungewöhnlichste an Katniss, "schreibt Linda Holmes auf „npr“": www.npr.org/blogs/monkeysee/2013/11/25/247146164/what-really-makes-katniss-stand-out-peeta-her-movie-girlfriend, sei allerdings nicht, wie sie typische Geschlechterrollen für Heldinnen herausfordert – sondern wie Peeta typische Hollywood-Versionen von Geschlechterrollen für den Freund dieser Heldinnen trotzt. Er ist so, wie sich typischerweise die Film-Freundin verhält: unterstützend und allzeit bereit, die eigenen Interessen denen des _love interests_ unterzuordnen.
Pulitzer-Preis vs. Superkräfte
Katniss mag die schillerndste, wütendste und interessanteste Heldin des Kino-Jahres 2013 gewesen sein, doch auch abseits von „Catching Fire“ behaupteten Frauencharaktere auf der Leinwand sich selbstbewusst. Als Black Widow kämpfte Scarlett Johansson in „The Avengers“ Seite an Seite mit Helden wie Iron Man, Captain America, Thor und Hulk. Okay, ihre Klamotten mögen ein wenig figurbetonter gewesen sein als die der männlichen Kollegen und auf den ein oder anderen sexy Augenaufschlag hätte man auch verzichten können. Nichtsdestotrotz ist Black Widow die Einzige, die innerhalb der Gruppe von Superhelden nicht von Selbstzweifeln, einem zu großen Ego oder einer generellen Krise gequält wird. Sie mag zwar keine Superkräfte haben wie ihre Kollegen, aber das gleicht sie durch einen kühlen Kopf und ausgefeilte Kampftechniken aus. Und: Der Film hatte es nicht einmal nötig, Black Widow in ein romantisches Techtelmechtel mit einem der sexy Helden zu stürzen. „Man of Steel“, der die Geschichte von Superman neu erzählen wollte, war inhaltlich zwar eine Enttäuschung, aber immerhin: Lois Lane wird von der fantastischen Amy Adams gespielt, die der Journalistin tatsächlich Leben einhaucht; sie ist klug und geistreich. Ihrem Chef brüllt sie in einer Auseinandersetzung ein genervtes „Ich habe einen Pulitzer-Preis!“ entgegen. Superman himself wirkt dagegen wie ein großer, extrem gut aussehender Junge – der am Ende auch noch als Redakteur bei der gleichen Zeitung anheuert wie Lois. Wer mehr Ahnung von diesem Job hat, dürfte klar sein. Mindestens ebenso bemerkenswert wie Lois Lane ist die Schurkin Faora-Ul, gespielt von Antje Traue. "Sie steht ihrem Kommander Zod in nichts nach, wenn es um Kampfszenen, Macht oder pure Bosheit geht":http://msmagazine.com/blog/2013/06/17/man-of-steel-wonderful-women-super-masculinity/. Sie ist böse, einfach weil sie es kann. Regisseur Peter Jackson hat übrigens, einfach weil er es kann, in den zweiten Teil seiner „Hobbit“-Trilogie eine Elbenkriegerin namens Tauril (Evangeline Lilly) hineingeschrieben. "„Spiegel Online“ sagte er":http://www.spiegel.de/kultur/kino/smaugs-einoede-interview-mit-hobbit-regisseur-peter-jackson-a-938398.html: „Es war eine sehr willkommene Gelegenheit, zwischen all die struppigen Kerle eine starke Frauenfigur zu platzieren. Ich fühle mich da durchaus für unsere vielen weiblichen Fans verantwortlich: Tauriel ist doch ein prima Rollenmodell! Die zeigt diesen jungen Frauen, wie man Orks killt. Wer weiß, wozu man das noch mal gebrauchen kann.“ Sehr richtig.
Charakterstark, widersprüchlich und komplex
Neben diesen Blockbustern à la Hollywood gab es 2013 aber ebenso einige Perlen des Arthouse-Films: Da tanzte Frances Ha (Greta Gerwig) sich im gleichnamigen Film über die Straßen von New York, immer pleite, immer ein bisschen verwirrt auf der Suche nach sich selbst – und doch so positiv. Marion Cotillard hätte für ihre Rolle der Stéphanie in „Der Geschmack von Rost und Knochen“ unbedingt für den Oscar nominiert werden müssen: Die Geschichte einer Schwertwal-Trainerin, die durch einen Arbeitsunfall beide Unterschenkel verliert, zeigt Cotillard als kämpferische, niemals resignierende Frau, die ihren Weg zurück ins Leben sucht – das nicht vorhandene Mitleid ihrer Zufallsbekanntschaft Ali hilft ihr dabei. Und nicht zuletzt ist da „Blau ist eine warme Farbe“, der poetisch von der Liebe zweier junger Frauen erzählt und wie die eine von beiden, Adèle (Adèle Exarchopoulos), dabei erwachsen wird. Unaufgeregt und authentisch. Fazit: Nicht alle Kino-Heldinnen kämpfen mit Pfeil und Bogen oder kennen raffinierten Kampftechniken. Aber sie sind charakterstark, widersprüchlich, komplex – kurz: menschlich. Wahre Heldinnen eben. Das Kinojahr 2014 darf sich gerne ein Vorbild am Kinojahr 2013 nehmen. PS: Genauso gut und gerne hätte ich als Wort des Jahres „Aufschrei“ wählen können, weil dadurch so viele, dringende und wichtige Dinge auf den Weg gekommen sind. "Den besten Text dazu hat Teresa Bücker geschrieben.":http://flannelapparel.blogspot.de/2013/07/aufbruch-ins-netz.html
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