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> Wohin steuert Europa?

Wegweiser für Europa

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Europa hat nur als Einheit eine Chance. Die aktuelle Krise geht weit über die Finanz- und Schuldenpolitik hinaus. Sie fordert klare Antworten auf die Frage, ob wir Europa zukunftsfähig machen wollen.

The European

Wenn man Ralf Dahrendorfs Biografie als Maßstab anlegt, dürften die aktuellen Unstimmigkeiten in Europa kaum als wirkliche Krise gelten. Dahrendorf wusste, dass Europa in der Nachkriegszeit mit der Kombination aus sozialer Marktwirtschaft und liberaler Politik die Eckpunkte seiner Kulturgeschichte verwirklicht hatte. Und er wusste auch, dass Frieden, Wohlstand und Einheit in Europa angesichts der Schattenseiten der europäischen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als moderne Wunder gelten konnten. Im 19. und 20. Jahrhundert hat Europa die globale Agenda dominiert – im Guten wie im Schlechten. Heute müssen wir unseren Platz in einer neuen und wandelbaren Weltordnung neu bestimmten. Die Staaten Asiens sind zum Motor der Weltwirtschaft geworden. Die USA orientieren sich in Richtung Pazifik. Aufstrebende Mächte wie die Türkei besetzen globale Schlüsselpositionen. Gefahren für das Klima und unsere Gesundheit sind grenzübergreifend.

Gefahren an der Peripherie Europas
Der Internationale Währungsfonds ist überzeugt, dass die Peripherie Europas die größte Gefahr für die Weltwirtschaft darstellt. Die gesamteuropäische Wirtschaft ist zwar relativ stabil – und das Verhältnis von Schulden zu BIP liegt in Europa insgesamt niedriger als in Großbritannien oder den USA –, aber das Gefälle innerhalb Europas ist enorm und sorgt weltweit für Sorgenfalten. Jacques Attali hat es kürzlich so beschrieben: „Wir sehen uns einer europäischen Finanzkrise gegenüber, nicht nur einer griechischen Schuldenkrise.“ Eines scheint sicher: Weitere Sparprogramme für Griechenland können die vorhandenen Probleme nicht lösen. Die EU hat bisher immer die Balance gefunden zwischen Effizienz und Legitimität. Das Gebot der Effizienz besagt, dass die EU als Föderalstaat nach dem Mehrheitsprinzip regiert werden sollte. Legitimität verlangt das Gegenteil: Einen losen Staatenbund, in dem jeder eine Stimme hat. Die Genialität von Dahrendorfs Vision eines „demokratischen, vereinten Europas“ bestand darin, dass er nie definierte, was genau damit eigentlich gemeint sei. Die EU ist bisher gut mit diesem Hybridprinzip gefahren. Sie war am stärksten, wenn klare Visionen und manifeste Interessen Hand in Hand gingen. Doch in der Krise ist Europa von beiden Prinzipien abgerückt: Weder ist die EU heute effizient, noch ist sie sonderlich legitim. Das ist aktuell das größte Problem – ein Problem, das zwar wirtschaftliche Ursachen hat, aber letztendlich von der Politik gelöst werden muss. Europa hat einen enormen wirtschaftlichen Einfluss und bekennt sich zu weitreichenden politischen Freiheiten. Aber die Wirtschaft Europas ist im Ungleichgewicht und droht, die eigene Stärke zu untergraben. Die europäische Integration – das Erfolgskonzept der 90er-Jahre – ist heute in Gefahr. Die Politik sieht sich neuen europapolitischen Hürden gegenüber, in Schuldnerstaaten wie Griechenland genauso wie in Geberländern wie Frankreich und Deutschland. Ohne Deutschland geht nichts in Europa – doch diese Krise geht über die Frage nach der Rolle Deutschlands hinaus. Sie geht auch hinaus über den engen Rahmen der Finanzpolitik. Das britisch-französische Verteidigungsabkommen sollte zum Beispiel kein Schachzug sein, um eine Integration der europäischen Verteidigungspolitik zu verhindern.
Großbritannien muss das Projekt Europa vorantreiben
Großbritannien ist ein europäischer Meinungsführer, vor allem in Bezug auf wirtschaftliche Fragen. Aber wir sollten jetzt versuchen, mit dem Gewicht unserer Stimme die Agenda in anderen Bereichen europäischer Zusammenarbeit voranzutreiben: bei der Haushaltskonsolidierung, in der Umweltpolitik, in Industriefragen und Außenpolitik. Richard Gowan hat Europa in seinem aufrüttelnden Appell einmal als „strategische Vorstadt“ bezeichnet: „eine Ansammlung von kleinen, ruhigen Biedermeierstaaten, die mit Misstrauen in die Welt hinaus blicken“. Diese Beschreibung darf nicht zur Realität werden. Sie wäre der Anfang vom Abschwung Europas. Es gibt heute viele Stimmen innerhalb der EU, die eine Abschaffung des Euro fordern. Ich bin allerdings überzeugt, dass regionale Organisationen in den kommenden Jahren global an Einfluss gewinnen werden. Der Zusammenhalt der EU geht einher mit dem Zusammenhalt der Länder und Regionen jenseits unserer Grenzen. _Übersetzt aus dem Englischen. Dieser Beitrag erschien zuerst am 27. Juli 2011 auf dem Blog des Dahrendorf-Symposiums":http://blog.dahrendorf-symposium.eu, einem Medienpartner von The European. Das Dahrendorf Symposium 2011 findet unter dem Motto „Changing the Debate on Europe – Moving Beyond Conventional Wisdoms” vom 09. – 10. November in Berlin statt._
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