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> Wirtschaft nach der Krise

Dreifache Provokation

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Die große Finanz- und Wirtschaftskrise unserer Zeit war durch zwei bedeutsame Risiken geprägt: das moralische Risiko, das aus der von den Banken gefühlten Versicherung durch die Staaten bedeutsam wurde, und das systemische Risiko, das infolge der globalen Vernetzung der Bankbilanzen durch die Verbriefungstechnologie eine gänzlich neue Qualität erreicht hat. Die Lehren aus der Krise müssen sich darauf beziehen, diese beiden Risikokategorien für die Zukunft zu mindern.

The European

Das moralische Risiko ist dem Finanzsystem nahezu in die Wiege gelegt. Denn seine dauerhafte Funktionsfähigkeit ist für Arbeitsteilung und Kapitalbildung zwingend vorauszusetzen und erhält damit die Qualität einer Infrastrukturleistung, die eine öffentliche Absicherung provoziert. Selbst bei der grundsätzlichen Bereitschaft, Banken pleitegehen zu lassen, wird dies nie die dominante Strategie sein können. Zu einem gewissen Mindestmaß wird immer der Staat für die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Finanzsystems sorgen. Damit sind entsprechend Anreize gesetzt, die Ausfallbürgschaft des Steuerzahlers zu nutzen. Darauf wurde richtig reagiert, indem die Finanzaufsicht wirksamere Instrumente für die Restrukturierung von Banken in erkennbaren Schieflagen bis hin zur Abspaltung von Geschäftsbereichen und der Absetzung des Vorstands erhielt. Was noch geliefert werden muss, bei der deutschen Politik aber nicht erkennbar ist: Die Unabhängigkeit und Kompetenz der Finanzaufsicht muss nachhaltig gestärkt werden.

Die Finanzaufsicht muss gestärkt werden
Das moralische Risiko ernstnehmen bedeutet zugleich, der Geldpolitik einen streng stabilitätsorientierten Kurs vorzugeben. Die expansive Strategie der Federal Reserve schuf erst jene Wertsteigerungsphantasien, die der Verbriefungsindustrie den großen Schwung verliehen. Es darf nicht mehr dazu kommen, dass billiges Geld sich Investitionsobjekte sucht und dadurch der normale Zusammenhang auf den Kopf gestellt wird. Die Fed hat hier mehr zu lernen als die EZB. Schließlich ist – wie auf EU-Ebene und in Deutschland vorgesehen – ein Selbstbehalt bei Verbriefungen einzuführen, um die Haftungskette zu stabilisieren und die Ausbeutungsmöglichkeiten durch vollständigen Kreditverkauf einzuschränken. Hier sind wir auf dem richtigen Weg. Das systemische Risiko ist ein Merkmal des modernen Finanzsystems. Die Vernetzung der Bankbilanzen muss durch entsprechende Eigenkapitalanforderungen beantwortet werden, die neben dem Einzelinstitutsrisiko auch das korrelierte Risiko der großen Banken erfassen. Notwendig ist ebenso, die Eigenkapitalanforderungen an der Größe der Risikoposition zu orientieren. Zudem hilft eine Grenze für den bilanziellen Verschuldungsgrad. Diese Aspekte sind weitgehend in den Beschlüssen zu Basel III enthalten, harren freilich der nationalen Umsetzung. Auch dabei ist eine unabhängige und starke Aufsicht notwendig. Die Ratingagenturen, die im hybriden Kapitalmarkt die zentrale Informationsfunktion erfüllen, müssen der Aufsicht unterworfen werden, ihr Geschäftsmodell ist auf das Rating zu beschränken. Das wird mit einer EU-Richtlinie angestrebt.
Krise als dreifache Provokation
Zu guter Letzt ist diese Krise eine dreifache Provokation: Erstens verankert sie Keynes als Krisenpolitik und nicht als Konjunkturpolitik, also als Antwort auf außergewöhnliche panikartige Verwerfungen. Zweitens verlangt die Krise nach einer positiven Würdigung der Spekulation als unabdingbare Voraussetzung für die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Drittens fordert die Krise dazu auf, die notwendige Selbstverantwortung des Einzelnen mit der gebotenen Mitverantwortung für die Regelfindung und die Regeldurchsetzung zu verbinden. Das verlangt gesellschaftliche Debatten, die wir aus ideologischer Verklemmtheit nicht wirklich führen.
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