Wie Kamala Harris einst Donald Trump ins Weiße Haus verhalf
Die Szene sorgte für heftige Schlagzeilen, geriet aber inzwischen weitgehend in Vergessenheit: Einst lobte Barack Obama die Staatsanwältin und neue Vizepräsidentschaftskandidatin Joe Bidens. Dann hagelte es Kritik und der damalige Präsident beugte sich der political correctness. Das nutzte Trump.

Kamala Harris soll als Joe Bidens running mate helfen, Donald Trump aus dem Weißen Haus zu bringen – nachdem die kalifornische Senatorin und Top-Juristin dazu beigetragen hat, Trump statt Hillary Clinton 2016 ins Präsidentenamt zu hieven.
Durch eine damals heftig diskutierte, inzwischen weitgehend in Vergessenheit geratene Szene motivierte nämlich die damalige Staatsanwältin Harris Präsident Barack Obama ungewollt zu einer absurden Verbeugung vor der political correctness. Nicht nur Trump goss Hohn und Spott über den seinerzeitigen Präsidenten aus. Es geschah bei einer Veranstaltung für betuchte Spender für die Demokraten in einem reichen Vorort von San Francisco im April 2013. Obama feierte die anwesende Harris damals mit diesen launigen Worten: „Man muss vorsichtshalber zunächst sagen, dass sie brillant und engagiert und stark ist, und damit genau das, was man sich von jedem wünscht, der für das Recht zuständig ist und dafür sorgt, dass jeder fair behandelt wird.“ Kurze Pause. „Außerdem ist sie die mit Abstand bestaussehende Staatsanwältin des Landes.“
Die Gäste nickten, demonstrierten Zustimmung, lachten („Ist doch wahr, kommt!“, schob Obama noch nach, „It’s true! C’mon!“) und auch Kamala Harris lächelte geschmeichelt. So weit, so belanglos. Dann aber tauchte ein Videoclip dieser Äußerung Obamas in den sozialen Netzwerken auf – und ein Tornado der Empörung brach sich Bahn. Obama habe eine Frau auf ihr Äußeres reduziert, lautete der Vorwurf. Das sei Sexismus!
Obamas "sexistische" Bemerkung über Harris
Man muss das obige Zitate nur überfliegen, um festzustellen, dass diese Kritik völlig substanzlos war. Der Präsident hatte ja eigens die fachlichen Kriterien für sein Loblied auf Kamala Harris vorangestellt, recht ausführlich sogar, und dann einen kurzen Satz über ihr Aussehen angefügt. Von Reduzierung auf Äußerlichkeiten also keine Spur.
Doch Obama, der moderate Präsident mit der steten Angst, es sich mit dem in den USA überschaubaren, aber auf Twitter lautstarken linken Lager zu verscherzen, kapitulierte im Handumdrehen vor der inszenierten Empörung. Nur einen Tag später erklärte der Weiße-Haus-Sprecher Jay Carney, Obama habe Harris angerufen und sich „für die Bemerkung entschuldigt“.
Nun möchte man sich nicht vorstellen, wie ein Telefonat verläuft, bei dem sich ein Mann bei einer Frau (und von mir aus auch andersherum oder zwischen Geschlechtsgenossen) dafür entschuldigt, das gute Aussehen gerühmt zu haben. Viele Amerikaner fanden es damals peinlich, dass Obama so grundlos zurückruderte. Die Hollywood- und Musical-Legende Liza Minnelli etwa fragte in einer Fernsehdiskussion verblüfft: „Er darf nicht sagen, dass sie hübsch ist?“ Wenn Harris sich morgens im Spiegel betrachte, schminke und ihr Haar richte, „glauben Sie nicht, dass sie attraktiv sein und als attraktiv angesehen werden will? Sie tut das nicht ohne Grund.“
Eine Warnung für das neue Team
Sein Einknicken hat Obama damals erkennbar mehr geschadet als seine charmante Bemerkung. Zumindest der „average Joe“, aber auch „average Jane“, wie die amerikanischen Entsprechungen zu „Otto Normalverbraucher“ oder „Erika Mustermann“ heißen, stören sich nicht an dem, was in mancher vom Oberseminar lebensferner Soziologen dominierten Filterblase der sozialen Medien zum Totschlagargument der Woche kreiert wird. Obamas Entschuldigung für sein Lob wirkte so befremdlich wie seine Weigerung, islamistische Terroristen als islamistische Terroristen zu bezeichnen – er sprach lieber von "Terroristen und Mördern", ohne sie einer bestimmten Richtung zuzuordnen, weil er nicht die Muslime in aller Welt mit diesen Verbrechen identifizieren wolle. Doch täte man das durch Benennung von Fakten? Trump hingegen sprach im Wahlkampf von "radikal-islamischem Terrorismus", und vielen Amerikanern erschien dies wie eine Aussöhnung mit der Wirklichkeit. Über das Ansinnen, sein Lob für eine attraktive Frau zurückzunehmen, hätte der Instinktler Trump mutmaßlich nur gelacht.
Und das, zurück zur Gegenwart, muss dem neuen Team Biden-Harris eine Warnung sein. Es war die richtige Entscheidung des Kandidaten, sich eine kompetente Frau als Vizepräsidentschaftskandidatin auszusuchen, und es war angesichts der Black-Lives-Matter-Bewegung und der Verbohrtheit Trumps bei diesem Thema ebenso wichtig, dass diese Frau aus dem rasch wachsenden Milieu der Immigranten kommt. Harris, geboren in Kalifornien, ist die Tochter einer auf Brustkrebs spezialisierten Wissenschaftlerin, die 1960 aus Indien in die USA einwanderte, und eines Wirtschaftsprofessors, der 1961 aus Jamaika, damals noch eine britische Kolonie, emigrierte. Für die meisten Amerikaner ist das eine tolle Erfolgsgeschichte und Bestätigung der Machbarkeit von Integration und sozialem Aufstieg.
(Für Trump auch? Die ersten Comedians witzeln bereits, er werde nach den „beiden Geburtszertifikaten“ von Harris fragen zur Überprüfung, ob sie wirklich in den USA geboren wurde – wie er es bei Obama tat, dem er im Rahmen der „Birthers“-Bewegung unterstellte, in Afrika geboren zu sein und erst als Säugling nach Jamaika zu seinen Großeltern verbracht worden zu sein. Diese – durch Dokumente längst widerlegte – Theorie hätte den Status Obamas als „natural born citizen“ nach Ansicht mancher Verfassungsrechtler in Frage gestellt, während andere argumentieren, das Kind einer amerikanischen Mutter könnte auch im Ausland geboren werden und wäre dennoch berechtigt, für das Weiße Haus zu kandidieren.)
Der Eklat zwischen Harris und Biden
Jetzt also geht der Wahlkmapf richtig los. Das Team Biden-Harris muss darin zu zentralen Fragen weitgehend kongruente Positionen vertreten. Das ist gerade beim sensiblen Thema des Umgangs mit Minderheiten in dieser Konstellation nicht leicht. Noch im Juni bei den parteinternen Priamries ritt Harris, die sich damals selbst um die Präsidentschaftskandidatur bewarb, während einer TV-Diskussion eine scharfe Attacke gegen den langjährigen Senator Biden
Der hatte wenige Tage zuvor bei einer Diskussion seine Fähigkeit unterstreichen wollen, auch mit Politikern "auf der anderen Seite" zusammenzuarbeiten. Dabei berief er sich auf zwei (verstorbene) republikanische Amtskollegen, die sich in den späten 60er Jahren unter anderem gegen den Einsatz von Bussen („busing“) gesperrt hatten, um schwarze Schüler in die zumeist besseren Schulen in weißen Stadtteilen zu transportieren. Das habe sie „verletzt“, sagte Harris Biden ins Gesicht, denn sie habe als kleines Mädchen zur zweiten Klasse der Kinder gehört, die von diesem Bus-Einsatz profitiert hatten.
Prompt stieß Trump am Dienstag in die Wunde und äußerte sich bei einer Pressekonferenz „überrascht“, dass Biden sich für Harris entschieden habe. Sie habe sich „hässlich und respektlos“ über Biden geäußert, rüffelte Trump, dem diese Disziplin nun nicht gerade fremd ist. Doch die prompt über die sozialen Netzwerke behauptete Behauptung des Trump-Teams, Harris habe Biden einen „Rassisten“ genannt, ist schlicht falsch. Ganz im Gegenteil sagte Harris in der TV-Diskussion: „Ich glaube nicht, dass Sie ein Rassist sind, und ich stimme mit Ihnen überein, wenn Sie die Bedeutung unterstreichen, gemeinsame Positionen zu finden.“
Die Entscheidung für die 55-jährige Harris soll signalisieren, dass Biden, der bei seinem Einzug ins Weiße Haus 78 Jahre zählen würde und damit der älteste in den USA je gewählte Präsident, eine um eine Generation jüngere Auswechseloption hat. Im Falle seines Ablebens oder einer, sagen wir: Unpässlichkeit, könnte die Stellvertreterin das Ruder übernehmen. Daneben soll Harris eine hohe Wahlbeteiligung der zu über 90 Prozent Demokraten-nahen Schwarzen sichern. Zuletzt hatte sich Biden einige seiner bereits sprichwörtlichen rhetorischen Patzer („Biden gaffes“) geleistet, mit denen er zu unterstellen schien, die afroamerikanischen Stimmen habe er bereits sicher.
Zurück zum Start dieser Kolumne: Die politische Korrektheit würde den Demokraten erneut schaden, wenn sich Trumps Behauptung durchsetzen sollte, Biden wolle vor dem Hintergrund der aktuellen Unruhen in amerikanischen Städten im Nachgang zur Tötung des Afroamerikaners George Floyd durch weiße Polizisten in Übereinstimmung mit Forderungen der Aktivisten die Polizeikräfte dezimieren. Das hat Biden nie angekündigt. Aber der Wahlkämpfer wird um eine Verurteilung etwa des Versuchs radikaler Gewalttäter,unlängst in Portland eine Polizeistation in Brand zu setzen, nicht herumkommen. Denn einen Niedergang von Recht und Ordnung fürchten keineswegs nur konservative Republikaner, sondern auch bürgerliche Demokraten. Und Weiße ebenso wie Schwarze oder Latinos oder andere Minderheiten.
Trump geriert sich in diesem Wahlkampf als Verteidiger der USA gegen drohendes Chaos. Dieses Untergangsszenario verknüpft er mit dem Namen seines Herausforderers. Das Team Biden-Harris muss sich als Stimme der Vernunft dagegen positionieren – was bei diesem Präsidenten und seinen zahlreichen unvernünftigen Aktionen und Äußerungen eigentlich nicht zu schwer fallen sollte.