Die nordkoreanische Nuklearkrise: Stoppt das Superspiel!
Nach Fred Charles Iklé hat sich bisher bewahrheitet, dass außenpolitische Verhandlungen nur eine Phase eines nie endenden "Superspiels" sind. Doch wie kann man das Superspiel um Nordkoreas Atomwaffen beenden? Was sind die Grundlagen des Konflikts? Was die Konstanten und was die Variablen über 24 Jahre hinaus?

Eine Untersuchung mit Hilfe der Konstellationsanalyse der Münchner Schule des Neorealismus hat ergeben: Hinsichtlich der weltpolitischen/regionalen Variable Wiedervereinigung der Koreanischen Halbinsel zeigt sich, es geht um Systemwandel auf der einen Seite bzw. Systemerhalt auf der anderen Seite. Nordkorea will einen Systemwandel, aber nur zu seinen Gunsten, sonst den Systemerhalt. Südkorea will, wenn dann einen Systemwandel zu seinen Gunsten. Die USA, unter der Clinton-Regierung, wollte einen Systemwandel hin zur Demokratisierung in Nordkorea in Form der Einbeziehung in multilaterale Institutionen (KEDO Korean Peninsula Energy Development Organization) erreichen. Regional ist die Frage der Wiedervereinigung für die regionale Stabilität und Wirtschaftsentwicklung von großer Bedeutung für die Anrainer Staaten. Es herrscht Multilateralismus, wobei China sich anschickt nicht nur in die regionale sondern auch in die globale Führungsrolle hineinzuwachsen. Nordkorea will sich nun an der Wirtschaftsentwicklung beteiligen, aber zu seinen Bedingungen, die es mit seinen Atomwaffen beschützt. Die Atomfrage steht den anderen Asiaten im Weg. Auch die Variable des innenpolitischen Systems zeigt, dass ein Wandel in der Regierungspolitik durch eine andere Partei im Amt auch zu einem Wandel in der Außenpolitik führt. Hinsichtlich den USA ergibt sich dabei, dass die republikanisch geführten Regierungen zu einem härteren Ansatz, mit Vorbedingungen, und der Taktik der Verwirrung sowie Einschüchterung durch einen brüskierenden Ton neigen. Beide Merkmale: gegenseitige Beleidigungen und Verwirrung bezüglich der Strategie gab es schon während der Bush-Regierung, was darauf hindeuten könnte, dass US- Präsident Trump das als Politikmerkmal der republikanischen Außenpolitik gegenüber Nordkorea übernommen hat. Genauso zeigt sich in Südkorea die Abhängigkeit der Außenpolitik gegenüber Nordkorea von der amtierenden Partei. Das gilt nicht nur für die demokratisch gewählten Regierungen, auch im Fall von Nordkoreas Innenpolitik, zeigt sich ihr Wandel nach außen. Das Regime unter Kim Jong-il war schwach und brauchte zur Absicherung Atomwaffen. Bei Kim Jong-un dienen die Atomwaffen zwar auch der Regimeabsicherung, aber unter der neuen Prämisse der Wirtschaftsentwicklung. Sie schützen hier Regime und Wirtschaft, befördern die Wirtschaft. In Chinas Innenpolitik spiegeln sich die Elemente Asiens: die Herrschaft starker Männer und die Bedeutung guter persönlicher Beziehungen. US-Präsident Trump scheint das auch zu wissen, das zeigt sein Umgang mit Präsident Xi-jingping. Über verschiedene chinesische Regierungen hinweg spielt China die Rolle des Vermittlers, ursprünglich aus seinem wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interesse heraus, nun zunehmend auch als Prestigeprojekt für seine Führungsrolle in Asien und global. Japans Außenpolitik wird primär von der Ministerialbürokratie geführt, daher zeigt sich eine gewisse Konstanz. Aber auch hier zählen wie in ganz Asien persönliche Beziehungen und die sind zwischen den beiden Rechtskonservativen US- Präsident Trump und dem japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe gut. Der Verhandlungsstil der japanischen Regierungen ist Risikominimierung und Konfliktvermeidung, doch erwarten die Japaner sicherheitspolitischen Schutz durch die USA und fürchten einen Deal an ihnen vorbei, daher unterstützen sie die amerikanische Politik. Zunächst wird unter der etwas geschwächten Regierung Jeltsins, der russische Standpunkt gegenüber Nordkorea im Licht nationaler Interessen, in Übereinstimmung mit den USA, interpretiert. Mit der Ära Putins wird Russland außenpolitisch aktiver, wobei gilt, dass bislang Russland kein Machtfaktor im asiatisch-pazifischen Raum ist. Hier geht es primär um Prestige, aber auch um sicherheitspolitische Interessen (keine amerikanische Raketenabwehr in Südkorea, wegen der nuklearen Zweitschlagskapazität) und wirtschaftliche Interessen in Nordkorea. Russlands Vorschläge in den Verhandlungen sehen immer einen reziprozitiv angelegten Plan vor. Damit zeigt sich, dass die Regierungspolitik und die kulturellen Eigenarten in der Außenpolitik aller Länder eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Wie sieht es aber mit der Wahrnehmung aus? Wie sehen die beteiligten Länder ihre Umgebung? Es liegt eine gegenseitige Bedrohungsperzeption vor, doch unterscheidet sie sich mit zunehmendem räumlichen Abstand. So fürchtet Südkorea eher die konventionellen Fähigkeiten des Nordens, auch China fürchtet nicht unbedingt die Atomwaffen Nordenkoreas als eher die Reaktion der Nachbarn, die Errichtung von amerikanischen Raketenabwehrsystemen, die gefährlich nah an die chinesischen Grenzen kommen würden. Ebenso wie Russland fürchtet es um seine nukleare Zweitschlagsfähigkeit. Für Japan ist das nordkoreanische Raketenarsenal gefährlicher, da jeder Winkel Japans getroffen werden könnte. Mittlerweile soll das durch die jüngsten Tests Nordkoreas suggeriert auch für die USA gelten. Hinsichtlich der wissenschaftlichen Perzeption sehen westliche Wissenschaftler die Schuld für die aktuelle Eskalation der Situation v.a. bei Nordkorea, die asiatischen Wissenschaftler sehen die Schuld bei den USA. Auf der Koreanischen Halbinsel gibt es eine recht unterschiedliches weil subjektives Interessen und Machtgemenge: Bei den Beteiligten und Anrainern gibt es keine Interessenhierarchie, keine Rangordnung. Allgemein gilt, dass die wirtschaftlichen Interessen global als auch regional im Fokus stehen, für die aber stabile sicherheitspolitische Bedingungen geschaffen werden müssen. Da die Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln nicht nur ein wirtschaftlicher sondern auch ein militärischer Faktor ist, rückt die Nichtverbreitung in der Rangfolge nach oben. Mit der Abwertung der militärischen Mittel zur Interessendurchsetzung führt die Aufwertung der wirtschaftlichen und politischen Mittel zur Beilegung sicherheitspolitischer Konflikte zu einem Wandel in den Mitteln. Keiner will einen Krieg auf der Koreanischen Halbinsel. Im Fall der nordkoreanischen Nuklearkrise kollidieren die Grundinteressen aller Beteiligten, daher kann man von einem Konflikt sprechen. Die langfristigen Interessen ranken sich um die Koreanische Wiedervereinigung mit unterschiedlicher Ausrichtung: Absorbtion, gewaltsame Wiedervereinigung, keine Wiedervereinigung und Beibehaltung der Teilung. Abgeleitet davon sind die Interessen aller Beteiligter außer Nordkorea: eine atomwaffenfreie Koreanische Halbinsel, die Einhaltung der Denuklearisierungserklärung, der Nord-Süd-Dialog. Situationsbedingtes Interesse ist die Rückkehr/der Verbleib Nordkoreas im Nichtverbreitungsvertrag/Atomwaffensperrvertrag und in den IAEA Sicherheitsüberwachungen. Die USA verwendete unter den verschiedenen Präsidenten verschiedene Ansätze „carrot and stick“ sowie Rüstungskontrolle als politisches Werkzeug und Sonderinspektionen unter Clinton, Bush setzte stärker auf Druck und Vorbedingung der Inspektionen, wirtschaftliche Sanktionen, eventuell auch militärische (Clinton kurzfristig wohl auch). Der spezielle Ansatz von Clinton war die Gesprächsbereitschaft, die direkte Initiative und der graduelle Ansatz sowie die Instrumentalisierung der IAEA. Bemerkenswert ist allerdings, dass beide Regierungen letztlich auf den selben Kurs einschwenkten, der eine Lockerung der Politik bewirkte: Rückzug von den Vorbedingungen und Sanktionen, bilaterale Gespräche, zunächst Einfrieren, dann Rollback. Auch US Präsident Obama verfolgte diese Strategie (strategic patience), wenn auch desinteressierter, da er mit einem Systemzusammenbruch in Nordkorea rechnete. Nordkorea dagegen hat strategische, sicherheitspolitische Interessen: den Gewaltverzicht der USA, den Rückzug der Streitkräfte und Atomwaffen aus Südkorea, die Absage von Team Spirit, Sicherheitsgarantien, eine politische und wirtschaftliche Paketlösung mit wirtschaftlicher Kompensation und der friedlichen Nutzung der Kernenergie, Gespräche auf Augenhöhe mit den USA, Verschiebung der Klärung der vergangenen Atomentwicklung in den Lösungsprozess, ein Friedensvertrag und diplomatische Beziehungen. Vorrangig ist sein Selbsterhaltungsinteresse, maximal will es die Wiedervereinigung unter seiner Ägide, im Minimum aber seinen Regimeerhalt und die Legitimität seines Regimes, dessen internationale Anerkennung. Es will seine Wirtschaft fördern und hat im Hinblick auf die Drohung mit Atomwaffen aus der Geschichte (USA) gelernt. Seine Mittel sind daher das Atomprogramm und die ballistischen Raketen im Zusammenhang mit einer Politik der Verweigerung und Verzögerung. Auch bei Südkorea liegt das Selbsterhaltungsinteresse vorne an, es will die Erhaltung und Steigerung der eigenen Machtposition, Handelsliberalisierung und Demokratisierung, Multilateralisierung und Einbeziehung in die Verflechtungen Asiens. Die Koreanische Halbinsel betreffend gelten oben erwähnte Interessen. Sein Mittel ist erst die Nord-, dann die Sonnenscheinpolitik, eine Beilegung mit friedlichen Mitteln. Aufgrund der Geisellage Seouls ist ein (konventioneller) Krieg um jeden Preis zu verhindern, es erlaubt auch die Stationierung eines ballistischen Raketenabwehrsystems. Chinas Interessen sind neben den bereits erwähnten v.a. Sicherheit und Wirtschaftsentwicklung, Stabilität der internationalen Beziehungen, heute strebt es nach einer globalen Führungsrolle. Es hat Interesse an einem geteilten Korea mit Wirtschaftsentwicklung, Rückkehr zum Atomwaffensperrvertrag und den IAEA Sicherheiten, Peking ist in Reichweite und ein Fallout wird befürchtet. Auch hat es Angst vor Flüchtlingsströmen und der Reaktion der Nachbarn (Aufrüstung, nukleare Zweitschlagskapazität). China hält die Denuklearisierung Nordkoreas allerdings für eine Aufgabe der USA, die USA wiederum setzt auf Kooperation (Sanktionen) und Vermittlung Chinas. China will die Gesichtswahrung Nordkoreas. Japan strebt auch nach einer globalen Rolle, will aus Konkurrenzgründen keine Wiedervereinigung Koreas, unterstützt Nordkorea wirtschaftlich, bevorzugt Dialog und Wirtschaftsdiplomatie, sucht den sicherheitspolitischen Schutz der USA, will aber keinen „Deal“ auf seine Kosten. Auch Russland hat v.a. ein Selbsterhaltungsinteresse, sucht sein Prestige zu steigern, tritt für eine friedliche Koexistenz wenn nicht gar Wiedervereinigung ein. Auch Russland sieht im Fall der Aufrüstung der Nachbarn seine nukleare Zweitschlagskapazität in Gefahr, hat wirtschaftliche Interessen in Nordkorea. Seine Vorschläge beruhen auf strikter Reziprozität und haben Statusgründe. Sollten sich Chinas Sanktionen gegen Nordkorea ausweiten, könnte Russland als Konkurrent um die Wirtschaftsbeziehungen zu Nordkorea auftreten. Wie bereits schon angedeutet zeigt die Analyse der eingesetzten Strategien (Verhaltensanalyse), dass die Clinton Regierung in der ersten Nuklearkrise noch die Verbindungsstrategie mit politischer und wirtschaftlicher Macht, die „carrot and sticks“ Strategie verwendet. Sie ist geeignet für Machtverzicht und ist als Krisenverhalten typisch. Auch wird sie auf die Kooperationspartner angewendet. Nordkorea setzt auf die Verbindungsstrategie mit militärischen Mitteln, „brinkmanship“ und „ambiguity“. Beider Strategien eignen sich für eine Veränderung des Status Quo. Die Verhandlungen sind dann eine Mischung aus Neuverteilungs- und integrativen Verhandlungen. Die Bush Regierung verwendet in der zweiten Nuklearkrise das Aussenden verwirrender Signale, unterstützt zuerst mit deutlich mehr Nachdruck die Druckkomponente, schwenk aber dann auch auf den „carrot and stick“ Ansatz ein. Die Trump Regierung setzt stark auf die Druck Komponente, doch auch hier steht im Hintergrund ein Geflecht aus Diplomatie, Sanktionen u.a. Trump verwendet eher den „sticks and carrot“ Ansatz, gegen China setzt er auf Eindämmungstrategie (betont den chinesischen Konkurrenten Indien als asiatische Macht), mit der Aufrüstung der asiatischen Nachbarn setzt er weiter auf Druck. Die Normenanalyse zeigt, dass unterschiedliche Interessen, kulturelle Auslegungen, parteipolitische Sichtweisen zu unterschiedlichen Auslegungen und Einhaltungen von Abkommen und Verträgen führen. Auch gibt es die Intention beider Seiten bewusst Punkte offen zu lassen („agreeing to disagree“) und die Lösung als graduellen Prozess zu betrachten. In all diesen Fällen ist dann ein Anreizpaket die einzige Möglichkeit die Einhaltung eines Abkommens/von Verträgen zu erreichen. Der Anreiz der Einhaltung muss überwiegen, Genau diese Problematik zeigen die bisherigen Abkommen mit Nordkorea: Sie haben alle ein gemeinsames Problem, sie lassen wichtige Fragen offen, sind daher vage und setzen für die Einhaltung das Interesse an der Einhaltung von allen Parteien vorraus. Doch dazu scheinen die Anreize zu fehlen. Ein weiterer wichtiger Punkt, der fehlt, ist das Vertrauen. Die Abkommen scheitern alle an den Verifikationsmaßnahmen. Sie kommen in ihren Ergebnissen alle bis zum Ziel der reziprozitiven Schritte: Einfrieren der Atomfähigkeiten und Kompensation , Verschiebung der Klärung der Vergangenheit (Verifikation) in den Lösungsprozess und späteres Rollback. Schuld daran ist einerseits die innenpolitische Akteurskonstellation beider Staaten (Misstrauen der Republikaner, Rentenforderungen der Führungselite in Nordkorea), aber andererseits auch der Umstand, dass das Atommaterial Nordkoreas einzige diplomatische Machtquelle für System, Staat und Wirtschaft ist. Damit besteht die Aussicht, dass die Atomfrage nicht vor der Wiedervereinigungsfrage gelöst wird, bestehen bleibt, solange Nordkorea existiert.