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> Wie es ist, sich in einer Partei zu engagieren

„Die Partei, die Partei, die Partei“

Parteien kehren die negativsten Eigenschaften eines Menschen hervor. Eine persönliche Abrechnung.

The European

_Partei, die: Struktur, die mit großer Sicherheit die negativsten Eigenschaften eines Menschen hervorkehrt und befördert_ Wie bitte? Sie finden, meine kleine Definition ist ein wenig überspitzt geraten? Zu sehr aufs Negative fixiert? Stimmt nicht? Zugegeben. Es gibt sicher Strukturen, die das Schlechte im Menschen effektiver befördern. Und es ist im gegenwärtigen, demokratieunfreundlichen Klima sicher leicht, auf Parteien einzudreschen. Aber das hat Gründe, denen hier nachgestellt werden soll. Und wenn Ihnen das noch immer zu bösartig ist, sehen Sie es als Bestätigung der Eingangsthese: Immerhin bin ich als Liberaler selbst seit langem Parteimitglied.

Anpassung an die herrschende Meinung das Mittel der Wahl
Wenn ein junger Mensch in die politische Gruppierung seiner Wahl eintritt, dann ist er hoffentlich noch voller Ideale. Er hat politische Ziele und sucht Gleichgesinnte, mit denen er diese Ziele erreichen kann. Doch ach, rasch tritt er in Krähenfüße und rennt er gegen gewaltige Mauern an. Bald lernt er, dass die Obrigkeit der Partei jungen engagierten Mitgliedern das Fortkommen nicht gerade leicht macht. Er lernt auch, dass viele ältere, frustrierte Parteimitglieder, deren Träume einer großen Karriere sich schon länger zerschlagen haben, weniger politische Ziele einen, sondern vor allem eins: Mühsam verborgener Hass auf diesen und jene im erfolgreichen Establishment. Wenn unser junger hoffnungsfroher, politisch engagierter Mensch an dieser Stelle nicht schon entmutigt aufgibt, wird ihm nun das wichtigste politische Handwerkszeug nahe gebracht: Allianzen schmieden. Entweder mit den anderen grummelnden zu kurz Gekommenen, oder indem man sich buckelnd „denen da oben“ andient. So oder so ist Anpassung an die herrschende Meinung das Mittel der Wahl. Denn innerhalb der Strukturen einer typischen deutschen Partei, in der einerseits jeder mit jedem um Listenplätze und Ämter konkurriert, die noch gar nicht zu vergeben sind, andererseits dieser Konkurrenzkampf niemals offen ausgesprochen werden darf – die Partei, die Partei, die Partei – fördert das Führungspersonal tendenziell solche Kandidaten, die ihnen nicht zu gefährlich werden können, während die Basis Typen nach vorn zu bringen trachtet, die im Zweifelsfall gut zu kontrollieren sind. Die herausragende Mittelmäßigkeit ist das Ideal des politischen Funktionärs. Und mit wie vielen Menschen, mit denen ich mich privat nie abgeben würde, war ich in meiner politisch aktivsten Zeit versucht, auf „Gut Freund“ zu machen. In mancher schwachen Stunde kam mir gar der Gedanke, dass das Übergewicht, mit dem doch viele Berufspolitiker zu kämpfen haben, eine Folge der dauernden Selbstverleugnung in Kombination mit dem Ränkeschmieden bei reichlichem Essen und ebenso reichlichem Alkohol sein könnte. Innerparteiliche Intrigen führten zudem zu Frustfress-Attacken – zumindest bei mir. Aber das ist nur so eine freie Assoziation nebenbei. Ohne Gewähr. Und fies, ich weiß. Denn: Parteien kehren die negativsten Eigenschaften eines Menschen hervor. Über derartige innerparteiliche Probleme tauscht man sich übrigens wundervoll mit Mitgliedern anderer Parteien aus. Vom ewigen Kampf im Inneren befreit, identifiziert man über Parteigrenzen hinweg effektiv exakt die selben Probleme. In allen Parteien.
Die innerparteiliche Nichtdemokratie
Nun aber genug gemeckert. Zwar habe ich mit eigenen Ambitionen innerhalb meiner Partei längst abgeschlossen, und bin seitdem in jedem Fall ausgeglichener und auch ausgeruhter. Meiner Partei bin ich allerdings noch immer freundschaftlich verbunden, und es scheint mir angebracht einmal einen distanzierten Blick darauf zu werfen, warum Parteiarbeit all der guten Absichten zum Trotz in Kleinkrieg und Klüngel mündet. „Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen bisher getesteten“, sagte Churchill. Wenn wir aber das demokratische System noch verbessern wollen, müssen wir bei den Parteien anfangen. Denn diese sind in beinah all ihren Aspekten inhärent undemokratisch, wenn nicht gar antidemokratisch organisiert. Es beginnt bei scheinbaren Kleinigkeiten, an die wir uns bereits so sehr gewöhnt haben, dass uns ihre Bedeutung kaum noch auffällt. Da sind etwa die durchweg sozialistischen Ergebnisse bei Wahlen zu wichtigen Parteiämtern. Wenn mal wieder irgendein Vorsitzender mit 99 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt wird, wird das von der Presse nicht etwa kritisiert, sondern bejubelt. Auch Ulbricht und sein Spießgeselle Honecker hätten angesichts solcher Zahlen nichts zu meckern gehabt! Und wenn überhaupt einmal ein weiterer Anwärter gegen den etablierten Vorsitzenden antritt, spricht man sogleich von „Kampfkandidaturen“, anstatt ganz einfach von Wahlen. Fährt ein favorisierter Kandidat keine 90 Prozent und mehr ein, registriert man das nicht als normales demokratisches Ergebnis, sondern als „Beschädigung“ des Kandidaten (gleiches gilt, wenn der Vorschlag eines Parteioberen bei Wahlen nicht durchgewunken wird. So werden Kandidatenvorschläge zu persönlichen Machtmitteln). Und dürfen in parlamentarischen Abstimmungen Abgeordnete tatsächlich einmal ihrem freien Mandat, so wie es gesetzlich vorgesehen ist, folgen, spricht man gönnerhaft von der „Aufhebung des Fraktionszwangs“, den es doch eigentlich gar nicht geben sollte. Weitaus weniger bekannt, aber absolut zentral für die parteiinternen Aushebelung der Demokratie ist das Delegiertensystem. Hier wird in allen etablierten Parteien, entgegen der Rede von der Parteibasis, die über wichtige Entscheidungen abstimmt, dreifach auf Konformität selektiert. Wirklich mit den Füßen abgestimmt wird nur auf der Kreisebene, auf Bezirks-, Landes- und Bundesebene konzentriert sich zunehmend die Crème de la Crème der Parteigranden. Ein besonderes Skandal ist die selten thematisierte Stimmrechtsübertragung auf Delegiertenparteitagen: Es ist nämlich keinesfalls so, dass jeder Stimmberechtigte auch selbst anwesend sein muss. Die Stimme einzelner Delegierter gewinnt so vor allem gegen Ende langer Parteitage leicht einmal ein mehrfaches Gewicht. Kann es eine sinnfälligere Verbildlichung von Machtkonzentration geben, als einen Delegierten, der sein demokratisches Recht mit Bündeln von Stimmzetteln ausübt? Schlimm! Noch schlimmer als dieses Prozedere sind allerdings die Mauscheleien im Vorfeld von Parteitagen. Die Parteiführung will sicherstellen, das die jeweilige Liste ihren Machtansprächen nicht schadet. Und das Ziel eines jeden karriereorientierten Parteimitglieds ist es natürlich, auf einen aussichtsreichen Listenplatz zu gelangen, in einen lokalen, regionalen oder bundesweiten Vorstand aufzusteigen. Also wird im Vorfeld der Wahl telefoniert, dass die Drähte glühen. Wird intrigiert. Werden Klinken geputzt. Werden klandestine Bündnisse geschmiedet. Wird Druck ausgeübt. Mit dem Ziel, ein Ergebnis festzuzurren, lange bevor die eigentliche Wahl überhaupt stattfindet. Die spannendste Frage eines jeden Parteitags ist dann auch wenig demokratisch: Wie lange halten die so getroffenen Absprachen? Und damit sie möglichst lange halten, wird in sogenannten Delegiertenvorbesprechung den Delegierten das richtige Abstimmungsverhalten eingebläut. Ritualisierte Geißelungen bekannter Querulanten oder zuvor denunzierter Abweichler inklusive. Wer den oben skizzierten Sozialtypus des Parteipolitikers genauer verstehen will, findet Antworten auf seine Fragen im Delegiertensystem, dass die Partei trägt.
Wie es besser werden könnte
Wir rekapitulieren: Parteien kehren die negativsten Eigenschaften eines Menschen hervor. Der innerparteiliche Kampf aller gegen alle, der gleichzeitig unter dem Mantel der parteilichen Geschlossenheit so gut wie möglich verdeckt wird, befördert herausragende Mittelmäßigkeit. Die Fruchtlosigkeit der Parteiarbeit mag einer der Gründe sein, warum die Demokratie in einer solch heftigen Legitimationskrise steckt. Angepasste, Karrieristen, kommen voran, Idealisten, Menschen mit politischen Visionen, werden abschreckt. Und doch braucht die Demokratie Parteien. Was also tun? Wie finden wir aus dem Sumpf? Meine Antwort ist relativ einfach, wenn auch wahrscheinlich nicht leicht umzusetzen: Vor allen Dingen muss es darum gehen, den Filz zu entfernen, festgefahrene Strukturen aufzubrechen.
Vor einiger Zeit stellte ich mich hier gegen die Idee, dass mehr direkte Demokratie auf staatlicher Ebene einem Mehr an Freiheit und Mitbestimmung für das Gros der Bevölkerung gleichkomme. Der Staat braucht „Checks & Balances“ gerade auch zum Schutz von Minderheiten. Die Parteiebene dagegen ist das ideale Spielfeld für demokratische Experimente. Alles, was das politische Personal ein wenig durchmischt, dürfte erst einmal positiv sein. Auch bedacht werden muss, dass gerade das schwerfällige und manipulationsanfällige Delegiertensystem ein Relikt aus dem Prä-Internetzeitalter ist. Mittels onlinegestützter Basisabstimmungen ließe sich hier schon vieles bewegen, die Tendenz zur Mehrfachabstimmung ebenso zurückdrängen wie hoffentlich die zur Klüngelei. Hier (und nur hier) ließe sich von den Piraten lernen, was machbar ist. Und dann gleich auch, wie man die Sache besser nicht anfasst, will man sie nicht doch wieder in den Sand setzen. Vorwahlen nach amerikanischem Modell, in denen die Parteibasis über Spitzenkandidaten abgestimmt, könnten auch ein wenig frischen Wind ins System bringen. Über die genauen Modalitäten wäre noch einmal nachzudenken. Vor allem aber braucht die innerparteiliche Demokratie mehr Wettbewerb. Mehr Wettbewerb? Schrieb ich denn nicht oben, dass innerhalb der Partei jeder jeden kritisch beuge, dass jeder den anderen entweder als Konkurrenten oder nur zeitweiligen Bündnispartner wahrnehme? Sicher. Aber dieser Wettbewerb hinter vorgehaltener Hand, dies Intrigieren und Ausstechen, ist höfischen Gesellschaften und Räuberbanden würdig, keinesfalls aber politischen Parteien in demokratischen Systemen. Offener innerparteilicher Wettbewerb mit der Möglichkeit der Basis, sich von den Besten, und nicht von den Karrieristen leiten zu lassen – und falsche Entscheidungen auch zeitnah wieder rückgängig zu machen – wie viel wäre damit schon gewonnen! Vielleicht ließen sich so auch mehr junge Menschen wieder für Parteiarbeit begeistern. Und damit auch: für die Demokratie.
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