Wie der Finanzminister mit der Koalition untergeht und was er jetzt tun müsste
Christian Lindner hat das für den Haushalt desaströse Urteil aus Karlsruhe mit zu verantworten. Er müsste jetzt die Konsequenz ziehen. Es wäre der Ausgang für Helden und es gibt ein entscheidendes Vorbild für ihn.

Die schwäbische Hausfrau wäre am Ende: Wenn ihr so etwas passierte, wie Christian Lindner in der vergangenen Woche, wäre ihr Ruf für immer ruiniert. Linderes Kartenhaus, das offiziell Bundeshaushalt heißt, ist eingebrochen. Es war zu wacklig konstruiert.
Seit der Finanzminister 2021 sein Amt angetreten hat, jongliert er zwischen dem eigenen Anspruch, die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse einzuhalten, und dem Ansinnen seiner Mitregierenden von SPD und Grünen mehr Geld für den Sozialstaat und die Umwelt auszugeben. Seine riskante Strategie lautete: Schattenhaushalte zulassen - sozusagen ein kleines Kreditbüchlein in der Schublade verstecken.
Die schwäbische Hausfrau würde so etwas nie tun. Vergangene Woche nun haben sich die Karlsruher Verfassungsrichter auf die Seite der Hausfrau gestellt. Sie haben die Art und Weise verboten, wie die Ampelkoalitionäre die Kreditermächtigungen, die einmal im Coronafonds steckten, einfach in den Klima- und Transformationsfonds verschoben haben. Lindners Finanzpolitik ist vor den Augen des höchsten Gerichts durchgefallen. Der Minister müsste zurücktreten.
Es wäre ein Fanal, das das Ende eines Leidenswegs markierte. Er begann für Lindner, die Liberalen und alle die Wählerinnen und Wähler mit dem ersten Tag des rot-gelb-grünen Regierungs-Experiments. Die bürgerliche Mitte hat es damals mit skeptischer Neugier begleitet und in dem FDP-Chef als Finanzminister ihren Garanten dafür gesehen, dass es schon gut gehen werde. Stattdessen führte es ins Desaster.
Was passiert ist, haben in diesen Tagen zwei Dutzend FDP Kommunalpolitiker in einem scharfsinnigen und selbstkritischen Manifest zusammengefasst. „Die FDP wird als Partei wahrgenommen, die sich zum Komplizen einer Politik gemacht hat, die von 70 Prozent der Bevölkerung abgelehnt wird“, stellen sie fest und gehen ins Eingemachte: „Mit illiberalen Gesetzen wie dem Hinweisgeberschutzgesetz haben wir uns ebenfalls nicht mit Ruhm bekleckert. (…) Als Mitglied der Ampelkoalition ist unsere FDP mit dafür verantwortlich, dass Deutschland von einem Spitzenplatz innerhalb der OECD zum weit abgeschlagenen Schlusslicht durchgereicht wurde“, trauern sie. Ein wirtschaftlich scheiterndes Deutschland verliere zwangsläufig seine Vorbildfunktion und den internationalen Einfluss.
„Zum Thema Vereinfachung der Verwaltung fällt der FDP lediglich ein, die Aufbewahrungsfristen für Unternehmen von zehn auf acht Jahre zu verringern“, spotten die Liberalen über sich selbst. Die Energiepolitik bezeichnen sie als stümperhaft. Ein Ansatz, der fordert, „alles muss elektrisch werden“, ohne dass dazu ein auf Machbarkeit geprüfter Plan vorliegt, sei dilettantisch. Zum Bürgergeld fällt den Liberalen von der Basis ein: „Es sollte eine Ehrensache für die FDP sein, ein faires Sozialsystem anzustreben und eben kein bedingungsloses Fürsorge-System. Das Bürgergeld degradiert die Bürger, die dieses mit ihren Steuern finanzieren, zum Dukatenesel der Nation.“ Zu dieser Kritik der Basis kommt inzwischen die Wahrnehmung, dass die FDP ihre Kernwähler im Stich lässt, die Selbständigen, die Unternehmer. Sie trägt die Mehrwertsteuererhöhung für Gastrinomen genauso mit, wie die Mauterhöhung für Spediteure und Handwerker.
Natürlich zielen die zwei Dutzend FDP-Aufrechten auf ihren Vorsitzenden. Seinen Rücktritt verlangen sie nicht. Sie verlangen auch nicht ausdrücklich ein Ende der Koalition. Warum nicht? Weil sie natürlich genauso kalkulieren wie der Finanzminister selbst. Mit so einer Bilanz abzutreten angesichts von Umfragewerten, die die FDP nirgends besser sehen als bei fünf Prozent, wäre politischer Selbstmord. Also lieber durchwurschteln und auf bessere Zeiten hoffen.
Als Liberaler blutet einem da das Herz. Lindner entschied sich vor sechs Jahren den ersten Anlauf eine Koalition im Bund scheitern zu lassen. Anstatt halber Sachen wollte er lieber alles richtig machen – und ließ es dann ganz. Er hatte für diese Haltung viel Kritik einstecken müssen, sein Stern sank, bevor er wieder aufging. Nach dem Desaster um das Karlsruher Urteil, das er mit zu verantworten hat, sollte er dieses Risiko jetzt erneut eingehen. Er kann sich da an seinen liberalen Vorgängern orientieren. Und zwar nicht an Guido Westerwelle, der ausharrte bis zum Schluss und dann samt FDP aus dem Bundestag flog, sondern an dem Grafen: Otto Graf Lambsdorff verfasste 1982 ein Scheidungspapier, das zum Bruch mit der SPD und zu ihrem Ende als Regierungspartei unter Helmut Schmidt führte und Helmut Kohl an die Macht brachte. Lambsdorff wurde in dessen Kabinett das, was er auch vorher war: Wirtschaftsminister. Lindner muss jetzt den Lambsdorff machen. Er könnte den entscheidenden Schritt unternehmen, um die schlechteste Regierung, die dieses Land je gehabt hat, abzulösen. Das wäre immerhin der Ausgang für Helden.