Staatsziel Kultur? Bitte nicht!
Kolumnist Dr. Alexander Kissler spricht sich gegen eine im Grundgesetz neu anzulegende Kultur-Klausel aus, die es der Gesellschaft nur zu einfach machen würde, kulturellen Anspruch als reine Staatsaufgabe zu verstehen.

Wie die Kesselflicker ringen die vermeintlichen Idealpartner um die Bedingungen ihrer Ehe: Die CDU erweckt den Eindruck, mit der FDP schlicht so umspringen zu wollen, wie sie es mit der SPD gerne getan hätte. Die Liberalen fürchten um ihren Status als Wahlgewinner und halten deshalb nur mühsam den mokanten Tonfall durch. Die CSU wiederum hat keine Sprache, keine Idee und kaum ein Personal aufzubieten, das die Wahlschlappe vergessen machen könnte. Auch der Streit um ein langjähriges Leib- und Magenthema der FDP könnte deshalb eskalieren. Sollen jene leidlich bekannten sieben Worte als Artikel 20b in das Grundgesetz aufgenommen werden? Soll da also künftig stehen: „Der Staat schützt und fördert die Kultur“? Bei der letzten Abstimmung im Bundestag votierten Mitte Juni nur die FDP und „Die Linke“ für diesen in Kulturkreisen weithin begrüßten Vorschlag. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Kulturverbände, schrieb den Abgeordneten die Wiedervorlage ins Stammbuch. Unter den „sieben Mindestanforderungen an den neuen Deutschen Bundestag und die neue Bundesregierung“ rangiert ganz vorne das „Staatsziel Kultur“. Es folgt unter anderem der Ruf nach einem „Nothilfefonds des Bundes für in Not geratene Kultureinrichtungen“ und einer „Steigerung der Kulturetats für die Kulturförderung im Inland und im Ausland“. Auch die weiteren vier Forderungen sind diskutabel und höchst begreiflich. Nach einem Wahlkampf, den fast ausschließlich die sogenannten Haushaltsexperten bestritten und in dem jeder sich als Haushaltsexperte gerieren musste, um ernst genommen zu werden, ist es höchste Zeit, den Tunnelblick zu überwinden. Wer nur über Zahlen, Zahlen, Zahlen redet, vergisst irgendwann, dass Politik Menschen betrifft, geistige Wesen aus Fleisch und Blut. Kein besseres Präventionsprogramm gegen Gewalt, Perspektivlosigkeit und Destruktion kann es geben, als die gezielte Stärkung der oft verschütteten musischen Potentiale. Das Grundgesetz aber ist nicht der Verschiebebahnhof unserer gesellschaftspolitischen Hoffnungen – wie lauter auch immer diese sein mögen. Die bereits jetzt an fortgeschrittener Wortinflation leidende Verfassung würde mit dem Staatsziel Kultur ebenso überfrachtet wie mit der Aufblähung durch Tierschutz oder Kinderrechte; auch diese Ergänzungen finden periodisch wiederkehrende Unterstützer.