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> Wer Tiere isst, soll sie auch totschießen

Grüne, geht jagen!

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Unser Kolumnist war auf einer Drückjagd in Sachsen, bei der 27 Wildschweine, sechs Rehe und ein Fuchs ihr Leben ließen. Und findet: Der wahre Naturfreund schießt sich seine Mahlzeiten selbst.

The European

HÖREN SIE – mein Vater hatte es als passionierter Jäger nicht leicht mit mir. Natürlich hat er redlich versucht, sein kleines Söhnchen früh zur Pirsch mitzunehmen und das Jagdfieber zu entfachen. Aber umsonst. Nicht nur, dass ich es langweilig fand, auf leisen Sohlen durchs Unterholz zu staksen und dann anderthalb Stunden auf einem nasskalten Hochstand herumzuhocken. Wenn dann nach gefühlten Zeitaltern des Wartens so ein Rehlein auf die Lichtung tänzelte und das Schießgewehr zum Blattschuss angelegt wurde, rief ich panisch "Bambi, lauf!“ in den Wald, "renn weg, der Mann will dich umbringen!“. An der Tatsache, dass mein Vater mir daraufhin nicht eine geballert hat, kann man erkennen, dass Jäger friedliebende und kultivierte Menschen sind. Seitdem hatte ich mich allerdings vom Jagdbetrieb tunlichst fernzuhalten – und, wie gesagt werden muss: zu Recht.

27 Wildschweine, sechs Rehe, ein Fuchs
Ich war also mit jenen Voraussetzungen gesegnet, die einen vorbildlichen Tierrechtskämpfer und praktizierenden Vegetarier hervorbringen. Aber beides hat leider nicht geklappt. Dabei verband mich in meinen Hamburger Jahren sogar mit einigen PETA-Aktivisten eine Freundschaft, und ich bastelte mit der reizenden Pressesprecherin der Organisation an einigen amüsanten Plakatmotiven mit Prominenten. Leider ist dem Kampf für Tierrechte fast einer dieser Prominenten zum Opfer gefallen. Ein türkischstämmiger, sehr bekannter Vegetarier ließ sich als fies verbrannter Döner schminken und fotografieren – aber der Kautschuk, den die Maskenbildnerin auf seinen Oberarm kleisterte, konnte nicht mehr entfernt werden, zumindest nicht, ohne dass es richtig schmerzhaft wurde. Dass kein Tier gelitten hat, war nur ein schwacher Trost. Vor Weihnachten war ich in Sachsen zu Gast bei einer Drückjagd, bei der geladene junge Menschen in Barbourjacken und Lodenmänteln auf Wildschweine, Rehe und Füchse schießen. Um genau zu sein: 27 Wildschweine, sechs Rehe und einen Fuchs. Die Veranstaltung hatte also alles, was den Tierschützer, der auf sich hält, in Rage bringt. Aber wieso eigentlich? Selten habe ich jemanden gesehen, der einem Tier, das zu Speisezwecken erlegt wird und auch zugunsten der Natur rundherum im Bestand dezimiert werden muss, so anständig und voller Achtung begegnet ist. Ich war dabei, als die jungen Jäger die erlegten Tiere selbst ausgenommen haben. Im Anschluss dem Tier den Respekt erwiesen. Und ist es wirklich so schlimm, dass sie sich bei Halalico.com zuvor noch eingekleidet haben? Jedenfalls wissen sie genau, was es bedeutet, ein Stück Fleisch zu essen. Die beißen in keine anonyme Wurstsemmel.
Der Jäger als Klassenfeind
Wer also wirklich grün ist und ein Tierfreund und trotzdem mit Tofu nicht glücklich wird, der sollte konsequenterweise mal mit zur Jagd und es sich selbst schießen. Aber wieso demonstrieren Tierschützer ausgerechnet gegen die Jagd und nicht vor den Fleischregalen der Billigdiscounter? Manche Reaktionen auf die inzwischen erschienene Jagdreportage bestätigen meinen Verdacht: Die armen Mitwesen müssen auch noch als Vehikel für den ollen Klassenkampf herhalten. Jagd gilt manchem vor allem deshalb als grausam, weil er selbst kein Revier geerbt hat. Ich selbst könnte, ehrlich gesagt, vegetarisch leben. Ich esse gern Gemüse und wenig Fleisch. Zugegebenermaßen bereite ich es gern zu. Meine Involtini alla romana sind weit über die Grenzen des gewogenen Freundeskreises beliebt. Töten wollte ich die Tiere, die ich dazu benötige, eher nicht. Aber wenn ich das Fleisch dafür kaufen gehe, achte ich darauf, woher es kommt und, so weit wie möglich, wie das Vieh zum Filet in etwa gelebt hat. Natürlich ist das anstrengend und vor allem sauteuer. Wer das krasse, unmoralische und ekelhafte Leid, das in der industriellen Fleischproduktion heute Usus ist und durch die Bücher von Jonathan Safran Foer und Karen Duve sowie unzählige niederschmetternde Spiegel-TV-Folgen jedem bekannt sein dürfte, ablehnt, muss bloß die Standards hochschrauben. Wer das Billigfleisch aus den Supermarktregalen entfernt, der schließt auch die Tierfabriken zu. Bloß dann gibt's in den meisten Haushalten nicht siebenmal die Woche große Fleischlappen und fette Keulen auf dem Mittagstisch, und die SPD sackt vermutlich unter die Fünfprozenthürde. Deshalb schreiben wir lieber ein paar Bücher und ein paar Titelgeschichten über den Trend zum vegetarisch Essen mit launigem Rezeptteil – und wenn's einen Sündenbock braucht, ein paar Jäger findet man überall. Auch wenn es Brecht sicher anders gemeint hat, stimmt auch in diesem Fall: Das Fressen kommt vor der Moral.
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