Nachfolge für Christine Lambrecht: Endlich ein gedienter Verteidigungsminister
Niedersachsens Innenminister wird neuer Verteidigungsminister. Pistorius ist ein kantiger Law-and-Order-Mann und verkörpert, was dem Ampel-Kabinett zuweilen fehlt: Autorität und Kompetenz. In der Bundeswehr freut man sich, dass nach vielen Jahren endlich wieder einer übernimmt, der selber Wehrdienst geleistet hat. Von Wolfram Weimer

Olaf Scholz geht auf Nummer sicher. Mit Boris Pistorius ernennt der Bundeskanzler einen respektierten Sicherheitspolitiker, der etwas verkörpert, was das Ampelkabinett zuweilen schmerzlich vermissen läßt: Autorität und Kompetenz. Pistorius sieht zwar aus wie Armin Laschet, wirkt aber wie ein General in Zivil - klar, kantig, gerade heraus. Der niedersächsische Innenminister kann reden wie ein rhetorischer Raketenwerfer und doch heiter politische Brücken bauen wie gut gelaunte Flusspioniere. Im politischen Berlin dürfte er als eine Mischung aus Otto Schily und Gerhard Schröder einige überraschen.
Nach dem Desaster mit Verteidigungsministerin Christine Lambrecht brauchte Scholz dringend eine Besetzung mit ministerieller Erfahrung und Durchsetzungskraft.
Das bringt Pistorius mit. Bei der Sachkunde könnte es - wie die Union nun mokiert - besser sein; immerhin bewegt er sich seit langem zumindest in anverwandten Themenfeldern von Cybersicherheit bis zur Grenzsicherung.
Pistorius ist seit einem Jahrzehnt durchsetzungsstarker Innenminister in Niedersachsen, ein - für die SPD seltener - Vertreter expliziter Law-and-Order-Politik. Pistorius hat sich entschieden gegen Extremismus positioniert - auch gegen islamistischen. Er erinnert dabei an Otto Schily, einst RAF-Verteidiger und dann als SPD-Bundesinnenminister der Oberpolizist der Nation. Pistorius spricht als einer der wenigen Spitzengenossen offen über die Migrationsprobleme aus einer Perspektive der verunsicherten Bevölkerung und nicht der akademisierten Moral.
Wie bei Gerhard Schröder ist auch seine Sprache schnörkelos, volksnah, verschmitzt.
Pistorius wird erstmals seit Thomas de Maizière wieder ein Mann Verteidigungsminister, der selber gedient hat. Das spielt in der Truppe, die mit Ursula von der Leyen, Annegret Kramp-Karrenbauer und Christiane Lambrecht jahrelang von fachfremden Politikerinnen geführt wurde, eine beachtliche Rolle. Pistorius hat 1980/81 seinen Wehrdienst im niedersächsischen Achim in der Steubenkaserne absolviert. Er wird damit zugleich das einzige Kabinettsmitglied der Ampelregierung, das einen ordentlichen Wehrdienst absolviert hat. Olaf Scholz, Robert Habeck, Hubertus Heil, Marco Buschmann sind Wehrdienstverweigerer, Volker Wissing war ersatzweise beim Katastrophenschutz, Cem Özdemir hat weder Wehr- noch Zivildienst geleistet. Christian Lindner verweigerte den Wehrdienst zunächst ebenfalls, wurde später aber über Wehrübungen Reserveoffizier der Luftwaffe.
Pistorius sollte in seiner Wehrdienstzeit Fahrer für den Flugabwehrpanzer Gepard werden, der im Ukrainekrieg derzeit eine wichtige Rolle spielt.
Sein Kommandeur entdeckte in der Personalakte, dass er einer der wenigen Rekruten mit Abitur war und auch noch ein wenig russisch sprach. Pistorius wurde daraufhin Kommandeursfahrer, denn sein Vorgesetzter kam aus der DDR und sprach ebenfalls russisch. Pistorius wollte vor dem Wehrdienst Archäologe und danach Diplomat werden.
Er kam aus einer bodenständigen niedersächsischen Familie, die Mutter war Hausfrau, der Vater arbeitete bei den Stadtwerken, er ist Sandwichkind, hat einen älteren und einen jüngeren Bruder und mit ihnen spielte er im örtlichen Fußballverein Schinkel 04, wo sein Vater die Jugendfußballabteilung aufgebaut hat.
Pistorius ist ein Mann, der bei aller Direktheit und Strenge, über einen gute Portion Humor verfügt. Sein Machtwille war immer begleitet von einer augenzwinkernden Heiterkeit. Pistorius kann ganze Säle zum Lachen bringen, wenn er aus Loriot-Sketchen zitiert, Heinz Erhardt oder Willy Brandt imitiert.
Der 62-jährige Jurist, seit 45 Jahren SPD-Mitglied, von 2006 bis 2013 Oberbürgermeister von Osnabrück, wird in der SPD von der Parteilinken kritisch beäugt.
Er verstärkt den rechten Flügel der Partei und insbesondere das neue Niedersachsen-Netzwerk, das von Parteichef Lars Klingbeil geschickt geführt wird. Klingbeil ist selbst als Kandidat für das Verteidigungsministerium im Gespräch gewesen, er hätte das Amt an sich ziehen können. Doch zieht er es nun aber offenbar vor, einen Gefolgsmann das schwierige Amt übernehmen zu lassen und sich selber alle Optionen für die Zukunft offen zu halten. Ein SPD-Parteivorsitzender im Kabinett wäre machtpolitisch heikel geworden, Klingbeil hätte man sofort als Nebenkanzler angesehen. Mit Pistorius können nun alle Beteiligten gut leben - hoffentlich auch die politikgeplagte Bundeswehr.