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Außenpolitik > Warum Trump sich am 3. November zum Sieger ausrufen könnte

Trumps cleverer Schachzug mit seiner Corona-Erkrankung

Verantwortungsbewusste Amerikaner schimpfen über den Umgang des Präsidenten mit seiner Covid-19-Erkrankung, die auch andere in Gefahr bringt. Doch in seiner Klientel kommt Trumps rasche Auferstehung vom Fieberbett gut an. Der Enthusiasmus seiner Wähler könnte dafür sorgen, dass er in der Nacht auf den 4. November vorne liegt – und sich vor Auszählung der Briefwahlstimmen zum Sieger ausruft

Pressekonferenz im Weißen Haus: Ansgar Graw befragt Donald Trump während eines Besuchs von Angela Merkel (März 2017)
Pressekonferenz im Weißen Haus: Ansgar Graw befragt Donald Trump während eines Besuchs von Angela Merkel (März 2017)

Donald Trump hat Covid-19. Donald Trump findet nach seiner vorzeitigen Rückkehr aus dem Walter Reed Hospital den West Wing des Weißen Hauses um rund drei Dutzend ebenfalls infizierter enger Mitarbeiter entvölkert. Und Donald Trump hat dennoch einen äußerst cleveren Schachzug auf der Zielgeraden zur Wahl 2019 gelandet.

Erinnert sich noch jemand der Debatten um die spät enthüllten Steuererklärungen des US-Präsidenten und der offenkundig verlustreichen Geschäfte des angeblichen „Verhandlungskünstlers“ in den vergangenen Jahren? Sie waren vor einer Woche das zentrale Thema – und sind jetzt vergessen. Danach kam die bis weit ins konservative und evangelikale Lager der Trump-Anhänger reichende Enttäuschung über seinen polemischen, undisziplinierten und blamablen Auftritt in der ersten Präsidentschaftsdebatte gegen Herausforderer Joe Biden. Heute spricht niemand mehr davon.

Stattdessen geht es jetzt wieder um Corona, aber nicht um die über 210.000 Opfer der Pandemie allein in den USA, sondern um die wundersame Wiederauferstehung des Donald Trump vom Fieberbett. Ja, er war erkennbar kurzatmig bei seiner Show-Einlage vor dem Weißen Haus. Aber seine Fans nehmen zwei Botschaften mit: Erstens scheint der Präsident in einer starken körperlichen Verfassung zu sein, so dass er sogar vermeintlich lebensgefährliche Infektionen wegsteckt. Das bestätigt indirekt sein langes Herunterspielen der Gefahren durch den Virus. Und zweitens verkündet er, das sei (außer auf seine starke Konstitution) auf amerikanische Medikamente zurückzuführen, die bald jedermann zur Verfügung stünden. Haltet noch etwas aus, die Rettung ist nahe!

Die Bereitschaft zum Risiko

Dass Trump weder Montag noch Dienstag oder Mittwoch irgendwelche Termine im Kalender stehen hat, zeigt, dass er längst nicht über den Berg ist. Der Donnerstag wurde noch nicht veröffentlicht. Ein Rückschlag ist möglich. Aber, das hatte Trump ja bei seiner Rückkehr vom Balkon des Weißen Hauses gesagt, er wisse, „dass es gefährlich ist, aber ich musste es tun“, niemand, der ein Führer sei, hätte das anders gemacht. Männer wie er müssten halt Risiken eingehen.

Seine subtile zweite Botschaft: Biden gehe solche Risiken nicht ein, der trage ja „sogar bei Auftritten, bei denen er 20 Meter entfernt ist vom Publikum, die größten Masken“, wie der Präsident in der Debatte höhnte. Biden habe es eben „nicht im Blut“, lautete dort eine weitere Attacke des Präsidenten.

Hilft das dem Präsidenten? Die Verlagerung des medialen Fokus weg von den schlechten Erträgen der Trump’schen Immobiliengeschäfte und seines misslungenen Auftritts in der Fernsehdebatte ist auf jeden Fall ein Gewinn für ihn. Zwar schimpfen jetzt sämtliche Zuschauer von MSNBC und CNN und die Leser von New York Times und Washington Post, wie verantwortungslos er handele und dass er schon für den kurzen Ausflug in der gepanzerten Limousine aus dem Hospital zu wartenden Fans unter anderem die Secret-Service-Beamten gefährdet habe. Aber dieses Publikum hätte den Präsidenten ohnehin nicht wiedergewählt.

Seine Unterstützer hingegen schauen Fox News, und da rühmt Moderator Jesse Watters, Trumps Verhalten ähnele dem eines Generals, der von einem unsichtbaren Gegner niedergeschlagen wird, aber "sofort aufsteht und zurück an die vorderste Front kehrt". Seine Co-Sprecherin Erin Perrine hebt in dem Kanal hervor, der Präsident, der schon seine Fähigkeiten als Geschäftsmann und als Commander-in-Chief gesammelt und demonstriert habe, verfüge nun auch über „Wissen aus erster Hand“ zur „persönlichen Bekämpfung von Corona – Joe Biden hat das nicht“. Und Breitbart.com, das bevorzugte Internet-Portal der Trumpianer, kramt deren Lieblingsfeindin hervor, mit dem Aufmacher, der Präsident habe die „völlige Deklassifizierung“, also Freigabe, von „allen und sämtlichen Dokumenten zur Russland-Lüge und zu (Hillary) Clintons eMails“ aus dem Wahlkampf 2016 verfügt.

Trumps Wähler bleiben enthusiastisch

Und dann kommen da noch weitere Verlautbarungen aus dem Weißen Haus: Trump hat Gespräche mit den Demokraten über ein Corona-bedingtes Konjunktur-Programm bis nach dem 3. November abbrechen lassen – Nancy Pelosi, die demokratische Sprecherin im Repräsentantenhaus, hatte Hilfsmittel in Höhe von 2,2 Billionen Dollar gefordert und sei nicht zufrieden gewesen mit dem „sehr großzügigen Angebot von 1,6 Millionen Dollar“ (Trump) der Republikaner. Das zusätzliche Geld hätten die Demokraten ohnehin nur für ihre „linke Wunschliste“ in den von ihnen schlecht regierten Bundesstaaten mit hoher Kriminalität ausgeben, nicht aber für die wirklich bedürftigen Amerikaner. Soll heißen: Wählt mich und ich mache euch ein tolles Konjunkturprogramm. (Was allerdings auch dann nur ginge, wenn die Republikaner die Kontrolle über das Repräsentantenhaus zurückeroberten. Tatsächlich müssen sie eher fürchten, zusätzlich den Senat zu verlieren.)

Alle Umfragen sehen den Präsidenten deutlich hinter Biden liegend, sowohl auf nationaler Ebene als auch in den umkämpften "Battleground States". Aber die Demoskopen sagen auch, dass sich Trump-Wähler zu über 60 Prozent „enthusiastisch“ auf den Wahltag freuen, während das nur auf jeden dritten Biden-Anhänger zutrifft. Und wer durch den Mittleren Westen fährt, sieht dies dadurch bestätigt, dass in den Vorgärten mindestens doppelt, möglicherweise dreimal so viele „Wählt Trump“-Zeichen stehen wie Plakate für Biden und seine Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris.

Trump geht mit Corona nicht um wie ein besorgter Politiker, sondern wie ein Zocker. Das wird keinen Biden-Wähler zu ihm herüberholen. Aber der Enthusiasmus könnte seine Anhänger in deutlich größerer Zahl in dreieinhalb Wochen in die Schlangen vor den Wahllokalen treiben („Corona ist ja nicht gefährlich“), während die vorsichtigeren Biden-Anhänger zu einem großen Teil schon per Briefwahl abgestimmt haben. Vielleicht verzichten manche von ihnen wegen der für den Demokraten so günstigen Umfragen ganz auf die Stimmabgabe. Darum könnte in der Nacht auf den 4. November vor der Auszählung der Briefwahl-Stimmen Trump möglicherweise vorne liegen – und er würde kaum zögern, sich sofort zum Sieger auszurufen, zumal er die postalisch versandten Stimmen ja häufig genug als manipulationsanfällig verunglimpft hat. Und selbst wenn dann später das Ergebnis korrigiert und Biden nach Einrechnung der bis zu 30 Prozent per Briefwahl abgegebenen Stimmen zum Wahlgewinner erklärt werden sollte, stünde Trump in den Augen seiner Fans als der eigentliche Sieger da. Biden, das wäre in ihren Augen der Mann, der durch Betrug ins Weiße Haus kam.

So gesehen hat Donald Trump mit den ruchlosen Mitteln, für die er bekannt ist, im Umgang mit seiner Corona-Infektion alles richtig gemacht.

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