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> Warum Tauziehen olympisch werden sollte

Rückwärts zum Ziel

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Hau ruck: Tauziehen war bereits olympisch und sollte es auch wieder werden.

The European

„Tauziehen will olympische Sportart werden?“ Diese Frage, verbunden mit einem Kopfschütteln, hören Fans der Disziplin immer wieder – dabei gehörte Tauziehen von 1900 bis 1920 zum olympischen Programm und eine von Kraftsportlern und Turnern gebildete Mannschaft gewann bei der Zwischenolympiade 1906 die Goldmedaille. Tauziehen gehört tatsächlich zu den ältesten Sportarten der Welt, gewachsen aus Riten vieler Stämme und Länder. Bei den einen benutzte man das Seil für Auseinandersetzungen zwischen Gut und Böse, bei anderen wollte man eine Wettervorhersage oder das Wachstum der Pflanzen herauslesen. Zu Beginn des vorigen Jahrtausends sind Wettkämpfe aus China und Korea überliefert, bei denen ganze Dörfer gegeneinander antraten, um auf diese Weise Streitigkeiten zu beenden.

Keine Dollar für Freunde
Bei der Aufnahme des Tauziehens in die olympische Familie wurde diese Sportart der „Athletik“, also der Leichtathletik zugeordnet, da sie im Stadion ausgetragen wurde. Dies ging so lange gut, bis 1912 der Internationale Leichtathletik-Verband gegründet wurde – und der fragte sich dann, warum er eine Sportart in seinen Reihen hat, bei der vor dem Wettkampf das Körpergewicht festgestellt werden muss. Als 1920, unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg und einer Weltwirtschaftskrise, die Zahl der Wettkämpfe und die Anzahl der Sportler reduziert werden sollte, um Ausrichter zu finden, hatten die Leichtathleten kein Problem, sich vom Tauziehen zu trennen. Es verschwand völlig von der internationalen Bühne und fristete national in vielen Staaten ein Mauerblümchendasein. Zu den wenigen Ländern, in denen der Tauziehsport weiter gepflegt wurde, gehörte Deutschland. 1974 wurde Deutschland in den Tauzieh-Weltverband (Tug of War International Federation, TWIF) aufgenommen, der (erst) 1960 gegründet wurde. Das halbe Jahrhundert, das zwischenzeitlich vergangen ist, war für den internationalen Verband nicht einfach. Dollar- oder Pfundnoten, mit denen man Freunde gewinnen kann, waren keine vorhanden. Seit einigen Jahren sind 50 (statt vorher 40) Mitgliedsverbände notwendig, um als „Recognized-Verband“ von der olympischen Familie aufgenommen zu werden. Erst mit 80 Mitgliedern schafft man es in den Heiligen Kral der olympischen Verbände. Das erste Ziel wurde erreicht, für das zweite werden bei momentan 62 anerkannten Verbänden noch einige Jahre vergehen. Und dann hat man zunächst nur die Chance, auf der Short-List (momentan zehn Sportarten) zu erscheinen, die alle vier Jahre aufgestellt wird. Aus dieser wählt das IOC eine neue olympische Sportart, eine andere muss dafür ausscheiden.
Ende der Aufwendigkeits-Spirale
So „begnügen“ sich die Tauzieher momentan damit, bei den World Games, den alle vier Jahre stattfindenden Weltspielen der nichtolympischen Sportarten, als eine Art „Publikumsmagnet“ zu wirken. 2005 in Duisburg mussten z.B. die Tore des Wettkampfplatzes geschlossen werden, da die Platzkapazität von über 1.200 Plätzen ausgeschöpft war. So wäre es sicherlich auch bei einer Rückkehr des Tauziehens ins olympische Programm. Leider aber kann man mit der fairen, ehrlichen und preiswerten Sportart Tauziehen kein (großes) Geld verdienen. Gewichtsklassen bieten Chancengleichheit beim Körpergewicht und die relativ einfachen Wettkampfregeln (gewonnen hat das Team, das die gegnerische Mannschaft über vier Meter wegzieht) machen es den Zuschauern leicht, einen Tauziehwettkampf zu verfolgen. Ein weiteres Pro hat die Sportart in der Abwicklung: Die Sieger stehen bei acht bis zwölf Mannschaften nach einem halben Wettkampftag fest. Da die Athleten keine aufwendigen Wettkampfgeräte benötigen und auch die Wettkampfkleidung preislich im unteren Bereich aller Sportarten liegt, fehlt dem Tauziehen die Wirtschaftslobby, die mit immer neuen modischen Sportarten die Umsätze ankurbeln möchte – Tauziehen wird daher auch als „Arme-Leute-Sportart“ bezeichnet. Gerade darin kann aber auch eine Chance liegen, der Spirale „immer mehr, immer aufwendiger, immer gigantischer“ zu entkommen. Aha-Erlebnisse gibt es immer wieder, wenn Ärzte, Physiotherapeuten oder Biomechaniker sich mit dieser wissenschaftlich noch zu wenig beachteten Sportart beschäftigen. „Die Kraftwerte sind ja identisch mit denen von (anderen) Hochleistungssportlern“ hört man dann. Ohne ein spezielles Training für Beine, Oberschenkel, Rücken und Arme und Hände sowie der Kraftausdauer wäre auf internationaler Ebene ein Wettkampf nicht zu bestehen, der durchaus über zweimal drei bis acht Minuten mit einer maximalen Wettkampfpause von sechs Minuten geht. Nicht zuletzt ist Tauziehen neben Rudern die einzige Sportart, bei der man rückwärts zum Sieg kommt – allein deshalb hat sie einen Platz im olympischen Programm verdient.
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