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> Wahlen in Österreich

Wer ist Sebastian Kurz wirklich?

Manche deutsche Medien glorifizierten den österreichischen Außenminister Sebastian Kurz als neuen Heiland. Nach seiner Kritik an Bundeskanzlerin Merkel. Statements von Sebastian Kurz sollten in Deutschland aber nicht kritiklos hingenommen werden. In Österreich wurde Sebastian Kurz von einer kleinen Truppe Getreuer offenbar forciert. Die Demaquillage des Sebastian Kurz wird folgen.

The European

Hugo von Hofmannsthal verfasste mit „Der Schwierige“ eines der wichtigsten Werke der österreichischen Literatur. Das Stück zeigt das Ende einer Epoche. Die österreichische Gesellschaft nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie, belastet vom Trauma des Ersten Weltkriegs. Es wird vorgeführt auf welche Weise die Gesprächskultur sich veränderte. Der ursprüngliche Arbeitstitel für Hofmannsthals Stück war „Mann ohne Absichten“. Die Hauptfigur Kari Bühl will die an der Wand hängenden schiefen Bilder nochmals gerade rücken. Er erkennt aber, dass öffentliche Wirkung kaum noch möglich ist. Ein Rückzug in Korrektheit wird von Kari Bühl bevorzugt. Kari ist eigentlich kein „Schwieriger“, er lebt nur in einem schwierig gewordenen Umfeld. Die Figur des Kari Bühl ist eine der großen Rollen für österreichische Schauspieler. Verkörpert beispielsweise von Karlheinz Böhm, Hans Holt, O. W. Fischer, Michael Heltau und Karlheinz Hackl. Baron Neuhoff ist die Gegenfigur zu Hans Karl Bühl in dem Stück von Hofmannsthal. Neuhoff ist der „Mann mit Absichten“: Die Uraufführung von Hofmannsthals „Schwierigen“ war 1921. Rund hundert Jahre später wurde die Figur des Neuhoff in Wien offenbar weiterentwickelt und tritt mit so unverhüllten Absichten auf, dass man über die Laszivität des Stils erstaunt sein muss. Offenbar sind die Zeiten eines Kari Bühl endgültig vorbei. Jetzt soll Neuhoff in Wien regieren.

Leben im Arbeiterbezirk
Baron Neuhoff wird charakterisiert als eine Person, die eine soziale Rolle krampfhaft usurpieren will: „Was ist eine solche Existenz anderes als eine fortgesetzte jämmerliche Bemühung, ein Genre zu kopieren, das eben nicht sein Genre ist“. C. G. Jung hätte diagnostiziert, dass Neuhoff von der „Persona“ zu stark in Besitz genommen wurde. Erich Fromm könnte erklären, dass Neuhoff mehr am „Haben“ als am „Sein“ sich orientiert. Am 1. Juli 2017 wurde Sebastian Kurz zum Parteivorsitzenden der ÖVP ernannt und soll der nächste Bundeskanzler der Republik Österreich werden. Sebastian Kurz wuchs im Wiener Arbeiterbezirk Meidling auf. Er wurde am 27. August 1986 geboren. Kurz absolvierte in diesem Bezirk ein Realgymnasium, nur zehn Minuten entfernt vom Bahnhof Meidling. In den achtziger Jahren zählte diese Gegend zwischen der Durchfahrtsstraße Gürtel und der Stadtumfahrung Südosttangente bereits zu den schlechtesten Wohngegenden der Stadt Wien. Meidling verfügt über einen starken Anteil an ausländischer Bevölkerung. Meidling ist berühmt durch das sogenannte palatale „L“. Eine Prononciation des Konsonanten „L“, die es auf diese Weise nur im Meidlinger Dialekt gibt. Die Zunge wird bei einem solchen „L“ deutlich an den hinteren Gaumen gedrückt. Dabei öffnen sich die Lippen schwülstig und der Mundwinkel verzieht sich auf einer Seite. Wenn man in Wien zeigen will, dass man bei einer Konfrontation in besonders proletarischen Stil auftreten will, dann wird bewusst ein solches „L“ vom Gaumen geholt. Man sagt in Wien, dass jemand, der in Meidling aufwuchs, von einem solchen palatalen „L“ sich nie ganz befreien kann. Wenn es „hart auf hart“ geht, dann bricht es in den Zungenschlag durch.
Schulzeit in Meidling
Im Stück „Der Schwierige“ ist der väterliche Poldo Altenwyl noch der Repräsentant der feinen Gesprächsführung einer vergangenen Epoche: „In meinen Augen ist Konversation das, was jetzt kein Mensch mehr kennt: nicht selbst perorieren, wie ein Wasserfall, Heutzutag hat aber keiner, pardon für die Grobheit, den Verstand zum Konversationmachen und keiner den Verstand, seinen Mund zu halten – ah, erlaub', daß ich dich mit Baron Neuhoff bekannt mache.“ Sebastian Kurz stammt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Wie es ihm gelungen ist, in der Jungen ÖVP zu bedeutenden Einfluss zu kommen und die Leitung der Jugendorganisation der bürgerlichen Partei in Österreich zu übernehmen, das muss man genauer untersuchen. Üblicherweise hatte ein Jugendlicher mit seiner Herkunft in der Jungen ÖVP in Wien keinen großen Auftritt. Kurz setzte auf einen Wagen, der von ihm als „Geilomobil“ bezeichnet wurde. Im Wahlkampf 2010 war er gemeinsam mit 500 Getreuen aus der Jungen ÖVP mit diesem Gefährt in Wien unterwegs, begleitet von sogenannten „Geilmachern“. Sebastian Kurz erklärte dazu: Er „wolle Geil auf Politik machen“.
Verzicht auf Bildungsideal
Warum Medien und die ÖVP dachten, dass Sebastian Kurz sich mit solch lasziven Auftritten für höhere Weihen empfiehlt, das bleibt ein Mysterium. Offenbar verabschiedet sich die bürgerliche Partei in Österreich vom traditionellen Bildungsideal. Auf einem solch primitiven Niveau darf politische Arbeit in Österreich nicht stattfinden. Österreich war bisher ein Land, das seine Identität stark durch kulturelle Leistungen definieren wollte. Wäre Sebastian Kurz mit 40 Jahren Außenminister geworden, so wäre er ein junger Bundesminister für Europäische und Internationale Angelegenheiten gewesen, der offenbar aufgrund seiner ausreichenden Erfahrungen und bewiesenen Leistungen dieses Amt für die Republik Österreich und deren Bevölkerung ausüben soll. Aufgrund welcher Qualifikationen wurde Sebastian Kurz in dieses wichtige Amt gehoben, das für die internationale Reputation Österreichs von Bedeutung ist. Kurz besuchte keine der Eliteschulen des Landes, auf die früher führende Politiker der ÖVP gerne in ihrem Curriculum pochten. Insbesondere zählt dazu das Schottengymnasium, zentral auf der Freyung im ersten Wiener Bezirk Innere Stadt gelegen. Als Außenminister hätte Kurz aber auch mit dem Lycée Français de Vienne, nahe der bezaubernden Strudlhofstiege, der Vienna International School, nahe der UNO-City Wien, oder mit dem Theresianum, das bei der Diplomatischen Akademie angesiedelt ist, erste wesentliche Grundlagen für eine solch wichtige Aufgabe erhalten, die die Funktion des österreichischen Außenministers sein soll. Kurz erklärt über seine Schulzeit: „Ich bin in Meidling aufgewachsen und in eine Klasse gegangen, in der die Hälfte der Kinder Migrationshintergrund hatten“. Nach seiner Schulzeit am Realgymnasium in Meidling begann Sebastian Kurz ein Studium der Rechtswissenschaft am Juridicum in Wien. Über den Zustand der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien wird im Zusammenhang mit der Lage der österreichischen Justiz noch deutlich zu berichten sein. Sebastian Kurz beendete das Studium am Juridicum allerdings nicht. Er wurde schon vor Beendigung des Studiums zum Außenminister ernannt. Es gab Zeiten, da hätte man für eine solche Profession das Studium der Staatswissenschaft empfohlen. Dieses wurde von Juristen in Wien gerne als Zweitstudium mit einer weiteren Promotion absolviert.
Politik des Designs
Sebastian Kurz ist der Einmarsch der Ästhetik des Fotomodells in die Politik. Betrachtet man Fotos von Sebastian Kurz erhält man den Eindruck, dass er zu viel Rouge an den Wangen aufgetragen erhielt. Kurz wird meist als Dressman präsentiert, der mit dicker Camouflage versehen wurde. Auf manchen Bildern wird Kurz in einem utopischen Stil gezeichnet, der an Figuren wie im Film Matrix erinnert. Mit der Stimmung als wären die letzten Tage der Welt gekommen. Selbstverständlich schaffen professionelle Fotografen eine solche Bildgestaltung. Das kann noch gesteigert werden. Etwa auf einem Cover des profil, das Sebastian Kurz im heroischen Stil der Skulpturen eines Arno Breker aufgemalt zeigt, in einer Ästhetik, der man in der Epoche des Nationalsozialismus huldigte. Dies muss als „neue Schamlosigkeit“ bewertet werden, wie sie Günther Anders in der „Antiquiertheit des Menschen“ als Zeitdiagnose stellte. Das ist eine Obszönität des Nachrichtenmagazins profil, das zuvor jahrzehntelang einen solchen Stil, oft wegen Marginalien, an den Pranger stellte, um diesem jetzt in einer enthusiastischen Weise zu huldigen. Christian Rainer, der Herausgeber des profil, schwärmte von Sebastian Kurz, den er als neuen Parteivorsitzenden der ÖVP und damit offenbar als nächsten Bundeskanzler der Republik Österreich mit euphorischer Verherrlichung empfahl: „dass die Volkspartei nun das einzig rational Fassbare tut: Sie muss Sebastian Kurz zum Parteiobmann machen, wenn nötig händeringend, wenn nötig auf den Knien flehend. Und die ÖVP muss das zu dessen Bedingungen tun: weil er sonst nicht zur Verfügung steht und weil weder Kurz noch die Partei ohne diese Bedingungen eine Lebenschance hat“. Sebastian Kurz wurde von Medien ein charismatisches Image gebaut, das niemals halten kann.
Kritik erforderlich
Noch vor wenigen Jahren hätte man das Auftreten eines Sebastian Kurz in Wien als „präpotent“ rasch abgetan. Seine Bemerkungen basieren nicht auf genauen Überlegungen, sondern bauen auf die Hoffnung, dass sich Erfolg durch ein forsches und freches Auftreten einstellt. Kurz sagte über sich in einem Interview: „Ich bin auch gewohnt, manchmal frech und sehr hartnäckig zu sein“. Auch die Kommentare von Sebastian Kurz über die Flüchtlingspolitik der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel müssen mit einer solchen Kategorie qualifiziert werden. Der Spiegel schrieb über die Aussagen von Sebastian Kurz im Oktober 2016: „Mit scharfen Worten hat Österreichs Außenminister Sebastian Kurz die jüngste Ankündigung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisiert, dass Deutschland bald mehrere hundert Flüchtlinge monatlich aus Griechenland und Italien aufnehmen wird.“ Manche deutsche Medien glorifizierten in der Folge Sebastian Kurz als neuen Heiland. Solche Statements von Sebastian Kurz sollten in Deutschland aber nicht kritiklos hingenommen werden. In Österreich wurde Sebastian Kurz von einer kleinen Truppe Getreuer offenbar forciert. Man wird aber noch konstatieren, dass sein öffentliches Image nicht von Dauer ist. Die Demaquillage des Sebastian Kurz wird folgen. Unabhängig vom Ausgang der aktuell bevorstehenden Nationalratswahlen in Österreich. Forderungen von Sebastian Kurz sind meist oberflächlich und dreist. Dies gilt beispielsweise auch für seine Forderung, dass, in den Moscheen mehr Deutsch gesprochen und auch auf Deutsch gepredigt werden soll“. Es ist keinesfalls erforderlich, dass die eigene Sprache und eigene Kultur von Immigranten ganz aufgegeben wird. Die Kulturzentren und dazu zählen auch die religiösen Orte der Moscheen sollen ihre Sprache erhalten und ihre Traditionen pflegen. Sebastian Kurz war Staatssekretar für Integration vor seiner Bestellung zum Außenminister. In dieser Funktion muss er dafür sorgen, dass weitere Möglichkeiten für das Kommunizieren in deutscher Sprache geschaffen werden. Insbesondere durch interkulturelle Zentren, in denen Einwanderer mit der einheimischen österreichischen Bevölkerung zusammentreffen und in Dialog kommen können. Mit solchen Begegnungen werden auch Spannungen abgebaut.
Österreicher mit Niveau
Es gibt Persönlichkeiten, die Meidling hinter sich lassen konnten. Der österreichische Philosoph Paul Feyerabend verbrachte seine Kindheit in der Wolfganggasse. Paul Feyerabend wurde 1924 geboren. Noch in den sechziger Jahren war die Wolfganggasse allerdings eine ruhige Gasse mit schöner Baumallee in der Nähe der Eichenstraße. Dennoch schreibt Paul Feyerabend über seine ersten Lebenserfahrungen in seiner Autorbiografie: „The world is a dangerous place“. Feyerabend verbrachte seine Kindheit in Meidling weitgehend zurückgezogen von anderen Menschen. Feyerabend wirkte schon ab 1958 in den USA an der Universität Berkeley, wo er Professor für Philosophie wurde. Er schrieb dort sein interessantes Buch „Erkenntnis für freie Menschen“ und wurde als Wissenschaftstheoretiker berühmt mit seinem Werk „Against Method“ (Wider den Methodenzwang). Paul Feyerabend bietet den Beweis, dass Österreich durchaus Qualität bieten kann, die international Beachtung finden soll. Wien soll eine Stadt bleiben, die von Bedeutung ist. Wien beherbergt wesentliche internationale Organisationen und organisiert bedeutende internationale Konferenzen. Wien war historisch in der Lage, Initiativen zu setzen, die von europäischer oder sogar globaler Bedeutung sind. Österreich soll weiterhin als ein Kulturland gelten. Das Stück „Der Schwierige“ von Hofmannsthal endet mit dem Satz: „Für diese gibt es seit tausend Jahren gewisse richtige und akzeptierte Formen.“
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