Dieser Mann könnte in Berlin für einen CDU-Sensationssieg sorgen
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Im roten Berlin hat die CDU Jahrzehnte kein Land gesehen. Jetzt aber signalisieren die Umfragen einen Überraschungssieg der Christdemokraten. Wer ist der Mann hinter der politischen Sensation? Und warum kippt in Berlin die Stimmung? Von Wolfram Weimer

In Berlin bahnt sich ein politisches Erdbeben ab. Nach neuen Umfragen dürften in der traditionell linksgeneigten Hauptstadt am kommenden Sonntag weder die SPD noch Linke oder Grüne stärkste Partei werden. Die Demoskopen sagen der CDU ein starkes Comeback und den Spitzenplatz voraus. Nach der jüngsten Forsa-Umfrage liegt die CDU mit 26 Prozent sogar volle 9 Prozent vor der seit über 30 Jahre regierenden. Für die Bürgermeisterin Franziska Giffey wäre das ein Desaster - für ihren bundespolitisch weithin unbekannten Herausforderer Kai Wegner hingegen ein Überraschungscoup.
Es gibt vier Gründe für den Stimmungswechsel.
Erstens ist der rot-rot-grüne Senat reichlich unbeliebt. Drei Viertel der Berliner sind derzeit enttäuscht von ihrer Regierung. Wie aus einer Forsa-Umfrage hervorgeht, sind bis zu 90 Prozent der Befragten mit der Arbeit der Verwaltung sowie mit der Wohnungs-, Schul- oder Verkehrssituation in der Stadt unzufrieden. Die Wahl droht daher eine Denkzettelwahl zu werden. Alleine die Notwendigkeit der Wahlwiederholung ist zum Fanal einer schlechten Stadtverwaltung geworden, der vom Zustand der Berliner Schulen bis zu grotesken Wartezeiten auf Ämtern allerlei Missstände angelastet werden. Die Probleme der Integrationspolitik sind bei den Silvesterkrawallen eskaliert, die umstrittene Verkehrspolitik kulminiert im gefühlten Parkplatzraub. Bei der SPD zeigen sich deutliche Abnutzungserscheinungen, sie regiert Berlin inzwischen sehr mehr als 30 Jahre. Bei den Grünen wiederum gibt es einen ideologischen Überschwang, der in der breiten Bevölkerung auf einige Ablehnung stößt. So fordern die Berliner Grünen, die Zahl der Parkplätze in der Hauptstadt radikal zu halbieren und trotz gewaltiger Sicherheitsprobleme Polizeikontrollen zu reduzieren, um „Diskriminierung und Racial Profiling“ zu verhindern.
Zweitens führt die Berliner CDU einen frechen, modernen, großstädtischen Wahlkampf. Lange Jahre wirkte die CDU in Berlin entweder spandau-spießig verklemmt oder dahlem-rothosig-abgehoben. Nun aber trifft sie die breite Sehnsucht der Stadt nach einer funktionsfähigen, normalen, bürgerfreundlichen Regierung. „Berlin, Du muss endlich funktionieren“ und „Berlin feiern, Senat feuern“, lauten die zentralen Slogans, mit dem die Union die Wechselstimmung trifft. Die CDU nutzt in diesem Wahlkampf ein Repertoire des gewitzten Guerilla-Marketings, das bislang eher Liberale, Piraten oder Grüne beherrschten. So hat die Berliner CDU sich Internetseiten von Grünen und FDP mit deren zentralen Wahlkampfslogans reservieren lassen. Auf der entsprechenden Wahlkampf-Seite der Berliner Grünen ist ein Fahrrad auf einem Autoparkplatz zu sehen - und der Schriftzug: „Diese Domain wurde zugeparkt.“ Auf einem Banner erscheint der Hinweis: „Echt doof, wenn der Platz blockiert ist, oder? Auch die Internetseite der Berliner FDP mit ihrem zentralen Slogan “Wählen wir neu" hat sich die CDU reservieren lassen. In beiden Fällen hat die CDU angeboten, die Domain wieder rauszurücken. „Eine Spende an die Kältehilfe wäre toll. Deal?“ Auch polarisierende Wahlplakate wagt die CDU plötzlich, etwa mit dem mehrdeutigen Text: „Was Kriminelle demnächst häufiger hören: Haftbefehl“. Selbst die traditionellen Parteifarben hat die CDU in Berlin verlassen und stattdessen ein modernes Türkis kurzerhand fürs eigene Branding etabliert.
Drittens verspürt die CDU in Berlin auch bundespolitischen Rückenwind. Die Ampelregierung hat derzeit schlechte Umfragewerte, die CDU ist unter Friedrich Merz dagegen im Aufwind. Nach Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen könnte die CDU nun einen dritten Wahlsieg verbuchen. Für Merz wäre ein Erfolg in Berlin von großer symbolischer Bedeutung, denn dann hätte seine CDU nicht nur im größten Bundesland gewonnen sondern sogar in der für Bürgerliche schwierigsten Metropole. Die Rückkehr der Union als mit Abstand stärkste politische Kraft in Deutschland würde durch einen Wahlsieg in Berlin geradezu gekrönt. Auch deswegen wagt sich Merz direkt hinein ins Gemeinschaftshaus Gropiusstadt in Neukölln, wo die CDU bei der letzen Bundestagswahl gerade noch 16,6 Prozent holen konnte, und lässt sich als Rassist beschimpfen, wenn er die Silvesterkrawalle thematisiert.
Und viertens ist da Kai Wegner. Der fünfzigjährige Spandauer ist der klassische Fall des unterschätzten „Kai wer?“. Er sieht aus wie weiland Walter Momper (zur Wiedervereinigung regierender SPD-Bürgermeister mit rotem Schal) und ist der einzige gebürtige Berliner unter den drei Kandidaten, die Aussichten auf den Posten im Roten Rathaus haben. Er gilt als zäher Mann von der Basis, der auch im Schneesturm noch vor dem Möbelhaus am Wahlkampfstand stehen bleibt. Die Berliner Zeitung nennt ihn wegen seiner Bodenständigkeit schon den „König der Kieze“. In Berlin kursiert über den Basis-Wegner der Witz, er kenne nicht nur jeden Mülleimer persönlich sondern er ernähre sich grundsätzlich nur von Currywurst, Hoppel-Poppel und Berliner Kindl. Vielen seiner Kritiker gilt Wegner als Kleinbürger, dessen Horizont kaum über die Havel hinweg reicht. Wegner macht genau daraus eine Stärke und positioniert als Mann des gesunden Menschenverstands gegen die abgehobenen linken Eliten. Er argumentiert systematisch aus einer sozialpolitischen Perspektive der kleinen Leute. Höhere Parkgebühren belasten kleine Einkommen, hohe Öko-Abgaben und Energiepreise, eine falsche Mietpolitik - immer seien es die einfachen Leute, die für ideologische Fehler der Politik den Preis zu zahlen hätten. Eigentlich gehört Wegner zum konservativen Flügel der CDU - er war für Merz und Söder, aber gegen Laschet -, er ist ein Law-and-Order-Konservativer in der Tradition des legendären Hardliner-Innensenators Heinrich Lummer. Doch in der Gesellschaftspolitik ist er großstädtisch liberal und in der Sozialpolitik hoch engagiert. Aufgewachsen als Sohn einer Verkäuferin und eines Bauarbeiters in einer Ecke Spandaus (Hakenfelde), in dem Reiche selten vorbei kommen. Er sei „in liebevollen Verhältnissen aufgewachsen“, sagt er selbst. Die Familie habe nicht viel, aber doch ausreichend Mittel gehabt. Bis eines Tages eine Mieterhöhung eintrudelte und man umziehen musste. Diese Erfahrung, so Wegner, habe ihn tief geprägt. „Ich weiß, wie es den Menschen geht, deren Mieten steigen, die fürchten, es sich nicht mehr leisten zu können“, sagt er und trifft auch damit den Nerv einer Stadt mit gescheiterten Mietpreisbremsen. Kurzum: „Kai wer“ könnte am Sonntag siegreich wie Kai aus der Berliner Kiste springen.
Die Wahl in Berlin ist am 12. Februar 2023