Eltern wählen für ihre Kinder
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Wie finden Regierende und Regierte wieder besser zusammen? Wie kann zukünftig der Eindruck vermieden werden, die Politik agiere sozusagen an den Interessen des Volkes vorbei? Ein Vorschlag: Bei politischen Wahlen setzen Eltern das Kreuz für ihre Kinder. Doch wäre das wirklich sinvoll, Herr Dörflinger?

Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt hat Verbesserungsvorschläge für die repräsentative Demokratie in Deutschland entwickelt; das Meinungsforschungsinstitut INSA hat hierzu die Bevölkerung befragt. In der letzten Woche stellten wir an dieser Stelle das „fakultative gesetzaufhebende Referendum“ und die „Volksinitiative“ vor. Heute geht es um Patzelts zweiten Vorschlag, das höchstpersönliche Elternwahlrecht für ihre Kinder. So sollen die Belange von Familien stärkeren Niederschlag in der Politik finden. Der Vorschlag ist nicht neu, Patzelt orientiert sich sehr stark an einer Initiative des früheren Gymnasiallehrers Gerhart Meixner aus 2013. Schon 2003 gab es hierzu einen ähnlichen Gruppenantrag im Deutschen Bundestag. Aber: trotz prominenter Fürsprecher wie den Verfassungsrechtlern Paul Kirchhof und Roman Herzog oder der früheren Bundesfamilienministerin Renate Schmidt blieb der Vorschlag genauso wie ein erneuter Vorstoß fünf Jahre später ohne Mehrheit. Wie sieht das in der Praxis aus? Das Wahlrecht von Eltern zugunsten ihrer Kinder setzt das elterliche Sorgerecht voraus. Besitzen es zwei Elternteile, so haben sie sich zu einigen und gegenüber der Wahlbehörde zu erklären, wer für welches Kind bei der nächsten Wahl dieses zusätzliche Wahlrecht ausüben wird. Ansonsten gilt die Regel: Für ein noch nicht selbst wahlberechtigte Kind darf einer der beiden Elternteile einmal mehr wählen. Vor der Wahl soll der wählende Elternteil altersangemessen mit dem jeweiligen Kind sprechen, um dessen Vorstellungen in seine Entscheidung einzubeziehen. Nun sind Eltern und Kinder nicht zwangsläufig immer der gleichen Auffassung. Daher kann das minderjährige Kind ab dem 14. Lebensjahr bei Vorbehalten gegen die elterliche Urteilskraft bei der Wahlbehörde Widerspruch gegen das Stimmrecht des Elternteils einlegen. Durch das aus dem Sorgerecht abgeleitete höchstpersönliche Stimmrecht der Eltern sieht Patzelt auch keine verfassungsrechtlichen Probleme, da Eltern etwa auch im Recht der eingetragenen Vereine als gesetzliche Vertreter ihrer Kinder handeln. Das Meinungsbild in der Bevölkerung ist überraschend. Auch wenn die Mehrheit der Befragten unabhängig vom Familienstand und der Kinderzahl der Politik attestiert, sie tue zu wenig für Familien und das Aufwachsen von Kindern, stehen rund drei Viertel der Befragten dem Vorschlag eher ablehnend gegenüber. Das gilt interessanterweise sogar für die meisten Befragten, die selbst in einer Familie mit Kindern leben. Aber: nur 12% der repräsentativ befragten Deutschen hatten zwei und mehr Kinder, und nur 17% hatten das für eine Familiengründung gewöhnliche Alter zwischen 18 bis 29 Jahren. Eine knappe Mehrheit erwartet, ein Elternwahlrecht würde dazu führen, dass die Interessen von Familien durch die Politik bessere Berücksichtigung fänden. Skeptisch bleiben die Befragten in der Frage, ob sich die eigentlich gewünschten Verbesserungen für Familien in der Steuer-, Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik durch diesen Vorschlag schneller erreichen ließen. Auffallend ist allerdings der hohe Anteil von bis zu 20 Prozent, die keine Angaben machten, was den Schluss nahelegt, dass sie sie einfach mit dem Vorschlag im Detail nicht ausreichend vertraut wussten.