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> US-Kongress soll über Syrien entscheiden

Schuld und Sühne

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US-Präsident Barack Obama hat im letzten Moment seine Syrien-Strategie geändert. Jetzt soll der Kongress entscheiden, ob interveniert wird. Eine gute Chance, aus Unrecht Recht zu machen.

The European

Der Einsatz von Nervengiften gegen Menschen ist ein Verbrechen. Ein weltweit geächtetes Verbrechen gegen die Menschlichkeit und an Scheußlichkeit kaum zu überbieten. Wer die Bilder aus Syrien gesehen hat, wird sie kaum aus dem Kopf bekommen. Männer, Frauen und Kinder, offenbar qualvoll verendet. Da wird jeder normale Mensch wütend. Das schreit nach Vergeltung, Rache, Eingreifen. Bisher wurde allerdings in diesem seltsamen Bürgerkrieg trotz mindestens 150.000 Toten nur durch undurchsichtige Unterstützung der einen oder anderen Seite eingegriffen. Durch ein paar Millionen hier und ein paar Waffen da. Jedenfalls durch nichts, was das Morden auf den unterschiedlichen Seiten beendet oder auch nur verlangsamt hätte. Erst nach dem Giftgaseinsatz.

Was mag da im Weißen Haus passiert sein?
Mit großem Pathos hatte der amerikanische Friedensnobelpreisträger Obama, gleichzeitig oberster Chef des US-Militärs, eine rote Linie verkündet. Und jetzt war sie – offenbar wider sein Erwarten – überschritten worden. Eltern kennen diese blöde Situation. „Wenn du noch einmal, dann …“ und dann passiert es. Und dann? Wer seine Autorität nicht ernsthaft beschädigen will, muss eine Drohung auch wahr machen. Sonst war das das letzte Mal, dass er gedroht hat. Aber kann das um jeden Preis gelten? Auch wenn die Umsetzung der Drohung das Leid und den Krieg nicht beenden kann, sondern nur eine symbolische Bestrafung ist? Auch wenn man möglicherweise damit das Leid noch erhöht? Wir haben alle am Samstagabend vor der Glotze gesessen und ab 19:15 Uhr MEZ auf den Moment gewartet. Was würde der Commander in Chief sagen? Wie würde er aus dieser Zwickmühle herauskommen? Lange Zeit kam gar nichts. Das Präsidentenpult stand verwaist da. Was mag da im Weißen Haus passiert sein? Und dann kam der vermeintlich mächtigste Mann der Welt nach draußen und redete seltsam zerfahren. Er habe beschlossen, dass es einen Militäreinsatz gegen Assad geben müsse. Aber irgendwie wäre da ja noch Zeit und außerdem wolle er jetzt als Präsident der ältesten Demokratie erst mal den Kongress befragen. Hä? War meine erste Reaktion. Der Kongress ist im Urlaub. Und ob der, wenn er wieder da ist, für einen Militäreinsatz stimmen wird, ist alles andere als klar. Peinliche Nummer. Dachte ich zuerst.
Bestraft werden normalerweise Schuldige
Aber dann kam mir der Gedanke, dass der Präsident ja auch mal was gelernt hat. Dass er mal Anwalt war. Dass ihm vielleicht doch noch aufgegangen ist, dass seine kraftvolle Drohung eventuell ein Fehler war. Dass man Unrecht nicht mit Unrecht in Recht verwandeln kann. Mag sein, dass ich da zu optimistisch bin. Aber lassen Sie mir mal die Hoffnung, dass das Denken im Weißen Haus nicht ganz unter die Drohnen gekommen ist. Ein nadelstichartiger Luftschlag gegen Syrien, der nach eigenem Bekenntnis gerade nicht das Assad-Regime stürzen soll, sondern eine „Bestrafung“ darstellt, wäre ein unverantwortlicher Irrsinn. Bestraft werden normalerweise Schuldige. Wer an etwas die Schuld trägt, entscheiden normalerweise Gerichte und nicht Geheimdienstinformanten. "Kriegsverbrecher gehören vor ein internationales Gericht(Link)":http://www.theeuropean.de/florian-guckelsberger/7320-giftgas-in-syrien-und-die-frage-der-aufklaerung. Wenn Assad, wie die amerikanischen Dienste dem Präsidenten erzählen, die Giftgasangriffe zu verantworten hat, dann muss er vor ein Gericht gestellt werden. Dann müssen die Beweise auf den Tisch. Wenn es andere Verantwortliche gibt, dann gehören die bestraft. Selbstjustiz ist in zivilisierten Gesellschaften überholt. Das ist die eine Sache. Die andere Sache wäre es, den Bürgerkrieg in Syrien und damit das wechselseitige Abschlachten zu beenden. Das geht aber nicht, indem man ein paar Marschflugkörper nach Damaskus schickt und ein paar Militäreinrichtungen zerstört. Jetzt schon gar nicht mehr, da das Militär jetzt jede Zeit hat, die es braucht, um wichtige Einrichtungen zu verlegen. Womöglich in Wohngebiete. Was würde Obama sagen, wenn eine seiner Raketen in ein Giftgasdepot knallt und nicht verbranntes Giftgas Tausende Menschen umbringt? Sorry, war nicht so gewollt? Wir sind auch gleich wieder weg? Nein, so kann es nicht gehen. Das werden auch die Kongressmitglieder erkennen und Obama den Gefallen tun, diesen geplanten Unfug nicht abzusegnen. Dieser Alleingang, auch wenn die Waffenbrüder Hollande und Erdogan ob der entgangenen Chance von innenpolitischen Problemen abzulenken traurig sein werden, ist – gerade vor dem Hintergrund der Situation der Menschen in Syrien – nicht zu verantworten. Es wird allerdings Zeit, sich mit Russland, China und der Arabischen Liga an einen Tisch zu setzen, und eine ernsthafte Beendigung des Bürgerkriegs ohne die Gefahr eines Flächenbrandes in den Griff zu bekommen. Dann würde Unrecht durch Recht beendet, und das ist allemal besser.
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