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> Truppenabzug aus dem Irak

In großen Schlucken

Noch vor wenigen Monaten galt es als originell, Barack Obama und seine neue Außenpolitik für gescheitert zu erklären. Aber ehe sich die Skeptiker versahen, hat sie der Mainstream eingeholt.

The European

Die Experten sind sich einig: Angesichts der gespannten Lage im Irak ist an eine Einhaltung des Truppenabzugsplans nicht zu denken. Auch die kühlen Köpfe des "Spiegel" haben Obamas Irak-Politik bereits beerdigt – mit einem flagranten Pfeifen auf den Lippen. Tatsächlich ist der Ausgang der irakischen Parlamentswahl kein Grund zum Feiern. Der ehemalige Premierminister Iyad Allawi muss als Führer der stärksten Partei Iraqiya eine Koalition bilden. Regierungschef Nuri al-Maliki zweifelt das Ergebnis an und droht mit rechtlichen Schritten. Maliki könnte sich mit anderen schiitischen Gruppen verbünden und Allawi die Mehrheit streitig machen. Wenn Allawi mit der Koalitionsbildung scheitert, drohen zwei Szenarien: eine Regierung unter iranischem Einfluss oder ein Aufflammen des Bürgerkrieges. Obamas Kritikern sei aber gesagt, dass wir diese Ausgangslage nicht Amerikas Versagen, sondern dem Stimmverhalten der Iraker zu verdanken haben.

Obama musste Maliki stützen
Viele hatten Obama in den vergangenen Monaten vorgeworfen, Maliki, der nach Teheran gute Beziehungen pflegt, ohne Vorbehalt zu unterstützen. Dabei hat Obama keineswegs gedankenlos gehandelt. Es war richtig, diese Kröte zu schlucken, denn ein irakischer Premierminister kann aus einer offenen Konfrontation mit dem größten und mächtigsten Nachbarland keine sinnvolle Politik gestalten. Obama musste Malikis Regierung stützen und sein Vizepräsident Joe Biden hat sich tapfer eingemischt – in der ölreichen Problemprovinz Kirkuk, wo er persönlich zwischen Kurden und sunnitischen Arabern vermittelte, und in Bagdad, wo er die Regierung Maliki für den Ausschluss angeblicher Ex-Gefolgsleute Saddam Husseins von der Parlamentswahl kritisierte. Wenn die US-Truppen nun länger als bis Ende 2011 im Irak bleiben, so handelt es sich dabei nicht um Wortbruch, sondern um eine Wendung, auf die ein verantwortungsbewusster Präsident zu reagieren hat. Der Wahlausgang legt nahe, dass die Iraker nicht nur nach religiösen Kriterien abstimmten. Es genügt nicht mehr, Schiit oder Sunnit zu sein, um die Interessen seiner Wähler zu vertreten. Als Sunnit einen Sunniten zu wählen macht nur Sinn, wenn man befürchten muss, dass die anderen der eigenen Konfession zu Leibe rücken wollen – und diese Angst scheint allmählich zu weichen. Obama wird die konfessionellen Gräben im Irak nicht überbrücken können, aber das kann auch niemand von ihm verlangen. Seine Irak-Politik ist nicht planlos, sondern zurückhaltend – sie gibt denjenigen Unrecht, die behaupten, der US-Präsident sei bloß ein Taschenspieler, der mit Blend-Effekten operiere.
Unterstützung aus Europa ist erwünscht
Allerdings wäre es der Sache zuträglich, wenn Obama gerade von seinen europäischen Freunden Unterstützung erhielte. Diese lassen ihn jetzt ziemlich im Regen stehen. Die EU-Staatschefs glauben, sie kämen mit etwas Polizeiausbildung im Irak davon. Frankreichs Präsident setzt derzeit nur noch zum Einkaufen einen Fuß vors Elysée; Deutschlands Kanzlerin interessiert sich nicht für den Irak, ihr Außenminister nicht für Außenpolitik. Wie jeder US-Präsident ist Obama zu einem guten Teil nur das, was der Rest der Welt mit ihm anfängt. Dass Obama die Massen bezauberte, solcher Zauber aber irgendwann verfliegt, kann man ihm kaum zur Last legen. "Sie haben den Feinsinnigen ein Parfum zu riechen gegeben", schrieb Ernest Renan einst tröstend an seinen Freund Flaubert, "die Grobiane haben es in großen Schlucken ausgetrunken. Ihre Schuld ist es nicht." Nichts anderes gilt für Obama.
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