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Außenpolitik > Trump nannte Soldaten Verlierer und Trottel

Der Präsident und die Kriegshelden

Donald Trump galt nie als personifizierte Aufrichtigkeit. Aber sieben Wochen vor der Wahl muss er nach unerfreulichen Recherchen selbst seines Leib- und Magensenders FoxNews um seine Reputation bei den Soldaten kämpfen. Immerhin: Joe Biden taugt auch nur bedingt zum Bannerträger der Wahrheit.

Pressekonferenz im Weißen Haus: Ansgar Graw befragt Donald Trump während eines Besuchs von Angela Merkel (März 2017)
Pressekonferenz im Weißen Haus: Ansgar Graw befragt Donald Trump während eines Besuchs von Angela Merkel (März 2017)

Er könne auf New York Citys 5th Avenue stehen, jemanden erschießen und würden trotzdem keinen einzigen Wähler verlieren – so selbstbewusst hat Donald Trump im Wahlkampf 2016 sein Verhältnis zu seinen Anhängern beschrieben. Der Präsident hat keinen Menschen erschossen, und trotzdem drohen ihm jetzt jene Wähler in der Mitte wegzubrechen, die er braucht, um aus seinem Umfragerückstand den Herausforderer Joe Biden doch noch zu besiegen. Sieben Wochen vor dem 3. November steckt Donald Trump in einer viel schwierigeren Situation als Beobachter noch im Februar angenommen hätten. Möglicherweise hat der Mann, der die Lüge zur Norm gemacht hat, den Bogen überspannt.

Das legen zumindest die Umfragewerte nahe. In dem von Realclearpolitics ermittelten Durchschnitt der aktuellen US-weiten Umfragen lag Biden am 1. September um sechs Prozentpunkte vorne (49 zu 43 Prozent). Danach zog Biden auf bis zu acht Prozentpunkte davon (11. September). Und auch wenn der Vorsprung am 15. September wieder auf sieben Punkte heruntergegangen war, ist der Präsident von einer Trendwende weit entfernt.

In den sechs "Top Battleground States", den besonders wichtigen und hart umkämpften Bundesstaaten Florida, Pennsylvania, Michigan, Wisconsin, North Carolina und Arizona, führt Biden am 14. September mit 48,6 zu 45,1 Prozent (3,5 Punkte). Am 1. September war Bidens Vorsprung mit 2,7 Punkten noch geringer. Wichtiger aber: Derzeit liegt der Republikaner in keinem dieser Staaten vorne, auch wenn der Vorsprung des Demokraten in North Carolina (0,3 Punkte) oder Florida (1,2 Punkte) sehr überschaubar bleibt.

"Ich bin ein sehr ehrenwerter Typ, ich mag keine Lügen"

Auf Trumps Glaubwürdigkeitskrise im Zusammenhang mit Corona sind wir bereits vorige Woche an dieser Stelle eingegangen. Bob Woodwards Buch "Rage" kann zum Mühlstein für den Präsidenten werden, der dem Investigativjournalisten gegenüber mit der Einwilligung zum Mitschneiden bekannte, dass er entgegen seiner öffentlichen Kleinrederei der Pandemie von Beginn an über ihre Gefährlichkeit Bescheid wusste. Dass er nicht laut "Feuer!" schrie, um eine Panik zu verhindern, mögen ihm ja seine Anhänger abnehmen. Aber akzeptieren sie auch, dass er noch im März Joe Biden als einen "Fall für den Pschyiater" verspottete, weil der Herausforderer eine Corona-Schutzmaske trug und "offenkundig etwas verbergen" wolle? Verzeihen sie dem Präsidenten, dass er sie zu gedrängten Wahlkampfveranstaltungen lud, wenn er wusste, in welche Gefahr sie damit gerieten?

»Ich mag keine Lügen. Ich mag es nicht zu lügen. Sie wissen, ich bin ein sehr ehrenhafter Typ, ich mag keine Lügen", behauptete Trump 2015 in einem "60 Minutes"-Interview des Senders CBS – und log exakt über dieses Interview später im Wahlkampf, er habe Wladimir Putin dabei "sehr gut kennen gelernt", weil die beiden in der Sendung "Stallgefährten" gewesen seien, also gewissermaßen die Garderobe geteilt hätten. Die Wahrheit: Putin wurde für die Sendung in Moskau und Trump in New York City interviewt – erstmals getroffen haben sie sich erst Monate nach Trumps Amtsantritt.

All das (und auch noch eine zweite erfundene Begegnung mit Putin) ist bekannt und hat Trumps Basis unerschüttert gelassen. Jetzt aber kommt zu dem Woodward-Buch noch eine zweite Enthüllung hinzu, die in Amerika ernster genommen wird als die ständigen Prahlereien des Präsidenten. Im zweifellos Trump-kritischen Magazin "The Atlantic" hat dessen Chefredakteur Jeffrey Goldberg unter Berufung auf vier namentlich nicht genannte Quellen aus dem Weißen Haus geschrieben, der Präsident habe gefallene US-Soldaten als "Verlierer und Trottel" ("losers and suckers") bezeichnet. Mit dieser Begründung habe er im November 2018 den Besuch eines amerikanischen Soldatenfriedhofs während einer Paris-Visite abgelehnt: "Warum sollte ich auf den Friedhof gehen? Er ist voller Verlierer." (Hinzu sei gekommen, dass er wegen regnerischen Wetters Angst um seine Frisur hatte, mit der er eine kahle Stelle und Narben auf der Kopfhaut zu verdecken pflege.)

Kein Respekt vor gefallenen Soldaten

Trump dementiert die Darstellung heftig. Denn gerade bei Soldaten und Veteranen hatte der Law-and-Order-Präsident bislang einen guten Stand. Bricht er bei dieser Klientel ein, kann er kaum noch auf einen Verbleib im Weißen Haus hoffen. Es habe an jenem Tag in Paris "so heftig geregnet wie ich es noch nie gesehen habe", zudem sei es nebelig gewesen, darum habe der Hubschrauber nicht fliegen können. Doch den Kern der "Atlantic"-Story bestätigte auf der Grundlage eigener Recherchen kurz darauf Jennifer Griffin, sicherheitspolitische Korrespondentin von FoxNews, dem Leib- und Magensender des Präsidenten. "Jennifer Griffin sollte gefeuert werden für diese Form der Berichterstattung", twitterte der verärgerte Trump daraufhin. "Hat uns nicht mal angerufen für Stellungnahme."

Das Problem für den Präsidenten: Die Story von Goldberg wäre, selbst nach der Erhärtung durch Griffin, vielleicht eine nicht aufzuklärende Er-sagt-sie-sagt-Lapalie – gäbe es nicht zu viele Vorfälle aus dem Wahlkampf 2016, die genau auf dieser Linie liegen. Damals sprach Trump seinem (2018 verstorbenen) Parteifreund John McCain den ihm in den USA zugebilligten Ruf als Held wegen seiner fünfeinhalbjährigen Kriegsgefangenschaft in Vietnam ab. McCain wurde von den Nordvietnamesen zwei Jahre in Einzelhaft gehalten und gefoltert, eine vorzeitige Freilassung wegen der Stellung seines Vaters, der damals Oberkommandierender der Pazifik-Streitkräfte war, lehnte er als "Sonderbehandlung" ab. Dennoch befand der Wahlkämpfer Trump, McCain werde nur als Kriegsheld verehrt, weil er in Gefangenschaft geraten war, ihm hingegen seien Soldaten lieber, die sich nicht gefangennehmen ließen.

Wie Trump und Biden um den Kriegsdienst in Vietnam herumkamen

Schließlich war beim Nominierungsparteitag der Demokraten 2016 der pakistanische Einwanderer Khir Khan als Redner aufgetreten, der an seinen im Irakkrieg gefallenen Sohn Humayun erinnerte. "Er opferte sein Leben für seine Kameraden", sagte Khan in die Kameras. "Sie (Mr. Trump), haben nichts und niemanden je geopfert." Das ließ der Präsidentschaftskandidat nicht auf sich sitzen. Er habe „eine Menge Opfer“ erbracht, als er als „sehr erfolgreicher Unternehmer“ hart gearbeitet und „Tausende Arbeitsplätze“ geschaffen habe, sagte Trump am nächsten Tag im Interview. Dieser empathielose Vergleich war den meisten Republikanern peinlich.

Dem Kriegsdienst in Vietnam entging Trump bekanntlich mit Hilfe eines Attests des Hausartes, der einen Fersensporn diagnostiert hatte. Dabei war Trump zu dieser Zeit ein hoch talentierter Baseball-Sportler, und die körperliche Beeinträchtigung verschwand wenig später wie von Zauberhand. Allerdings dürften die Demokraten im Wahlkampf nicht zu intensiv daran erinnern. Denn ihr Kandidat Joe Biden, ebenfalls sehr sportiv als studentischer Football-Spieler, wurde fast zur gleichen Zeit Militärdienst befreit. Angeblich hatte er als Jugendlicher Asthma gehabt.

Und als Biden sich 1988 erstmals um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner bewarb, stellte sich heraus, dass der Senator einen markanten biografischen Teil einer Rede vom britischen Labour-Führer Neil Kinnock abgekupfert hatte. Bei einer genaueren Untersuchung früherer Biden-Reden wurden zudem Plagiate aus Reden von John F. Kennedy und Bobby Kennedy gefunden. Außerdem hatte er seine akademischen Leistungen deutlich aufgehübscht und tatsachenwidrig behauptet, er sei in der Bürgerrechtsbewegung mitmarschiert. Kurz darauf zog Biden seine Bewerbung zurück.

Das ist lange her, der Demokrat hat dafür gebüßt. Mutmaßlich würde die alte Geschichte von den Republikanern gleichwohl offensiver gestreut – wäre nicht der Präsident der schlechteste Gegenkandidat für einen Wettbewerb in Sachen Ehrlichkeit.

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