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> Transparenz statt Geheimhaltung

Feuer gegen Feuer

Unsere Geheimnisse können wir zwar nicht mehr retten, den Mächtigen sind wir aber dennoch nicht ausgeliefert. Dafür müssen wir auf eine radikale Strategie setzen.

The European

Das Informationszeitalter kennt viele Fragen und Probleme, und die meisten davon drehen sich um Geheimhaltung: Wer hat ein Anrecht auf sie, und wer darf den Schleier lüften? Ob nun Geheimdienste wie FBI, NSA oder ihre europäischen Pendants, IT-Riesen wie Microsoft oder Apple, Boulevardblätter, Privatbankiers oder südamerikanische Kartelle: Fast täglich werden Eliten, ganz gleich welche, der Bespitzelung überführt. Konzerne bereichern sich an unseren persönlichen Daten und verlieren gleichzeitig Betriebsgeheimnisse und geistiges Eigentum an räuberische Staaten: Die Datenflut scheint unkontrollierbar, und das Geheimnis säuft langsam aber sicher ab. Doch sind es weder Regierungen noch Konzerne, die diese Entwicklung vorantreiben, sondern wir selbst durch die Informationen, die wir – absichtlich oder unabsichtlich – durch soziale Medien, Suchanfragen oder Onlineeinkäufe, im Netz verstreuen. In meinem Buch „The Transparent Society“ schrieb ich bereits über die Ironie, dass jeder Mensch Geheimhaltung für sich beansprucht, gleichzeitig aber Transparenz und Verantwortlichkeit von allen anderen fordert. Doch wir haben dazugelernt.

Die Überwachung ist nicht mehr aufzuhalten
Erstens: Wir wissen, dass wir unter ständiger Beobachtung stehen und diese Entwicklung rasend schnell voranschreitet. Angesichts dessen sind wir machtlos. Vergessen Sie das Mooresche Gesetz: Kleinere, optimierte und billigere Kameras schießen wie Pilze aus dem Boden und sind für jedermann verfügbar. Die Datenbrille von Google erregt heute vielleicht noch Aufsehen und Ärger, aber was passiert, wenn diese Technik auf unsichtbare Kontaktlinsen übertragen wird? Wie könnte man sie dann noch verbieten, und wäre das überhaupt wünschenswert? Die Elite wird diese „Überwachungsspielzeuge“ schließlich nicht aufgeben. Ein Verbot würde demnach nur die normalen Bürger betreffen und die Mächtigen noch mächtiger machen. Wer heute ein generelles Verbot fordert, wird dies in zehn oder zwanzig Jahren bereuen. Zweitens: Sicherheit oder Privatsphäre werden nicht durch Geheimnistuerei oder Vortäuschung falscher Tatsachen geschützt. Information findet stets ihren Weg zum offenen Ohr. Das perfekte Geheimnis ist eine Illusion. Wenn selbst die geheimen Machenschaften des FBI oder der NSA entlarvt werden, wer kann dann noch die Mystik des Geheimnisses aufrechterhalten? Natürlich sollte man diese Entwicklungen mit Sorge betrachten. Schließlich beruht unsere westliche Kultur auf dem Misstrauen gegenüber der Macht. Über 6.000 Jahre hinweg galt das Geheimnis als Machtwerkzeug der Starken, die dadurch ihre Position stärkten und das Volk im Dunkeln ließen. Unsere Vorfahren haben sich – und uns – ein zerbrechliches Stück Freiheit und Privatsphäre hart erkämpft, und wir klammern uns instinktiv daran. Doch auch das ist nur Illusion. Die Mächtigen lassen sich nicht blenden und werden uns immer durchschauen. Der Autor Robert Heinlein schrieb 1973 sinngemäß: Gesetze zur Stärkung der Privatsphäre machen die Wanzen einfach nur kleiner. Nicht nur der Staat, sondern auch der freundliche Nachbar von nebenan wird diese Instrumente zum Teil besitzen und benutzen. Können das Geheimnis und die Freiheit in dieser Welt überhaupt überleben?
Gegenseitige Transparenz, nicht Geheimhaltung
Ja – vorausgesetzt, wir bewahren Ruhe. Unsere Sicherheit und Freiheit beruhen nicht auf dem, was andere von uns wissen, also unseren Geheimnissen, sondern auf dem, was sie gegen uns unternehmen können. Der einzige Schutz vor ungewollten Eingriffen durch den Staat oder Nachbarn ist die gegenseitige Rechenschaft. Und dazu bedarf es mehr, nicht weniger Transparenz! Drittens: Tragische Ereignisse wie zum Beispiel terroristische Anschläge lassen sich nicht vermeiden. Im Nachhinein werden staatliche Institutionen beteuern, dass sie diese hätten verhindern können, wenn man ihnen die Befugnis und Macht dazu gegeben hätte. Im panischen Tumult wird die Gesellschaft diese Befugnis bereitwillig geben, und der Überwachungsstaat wächst munter weiter. Doch ich will Sie nicht entmutigen. Sich aus Angst zu verstecken, Technologien zu verweigern oder vor den Mächtigen zu zittern, hat noch nie geholfen. Schließlich beruhen die vier Eckpfeiler unserer modernen Gesellschaft, Demokratie, Wissenschaft, Marktwirtschaft und eine unabhängige Justiz, auf dem Wissen aller Beteiligten, die so zwischen Parteien, Theorien, Produkten oder Schuld und Unschuld entscheiden können. Im Schatten des Geheimnisses würden diese vier Eckpfeiler einfach einstürzen. Märkte brechen nicht ein, weil jeder Bescheid weiß, sondern weil nur einige Menschen das nötige Wissen haben. Ohne Transparenz wären diese vier Bereiche nicht überlebensfähig. Anstatt sich gegen den technologischen Fortschritt zu wehren, sollten wir ihn lieber begrüßen. Nutzen wir doch einfach Transparenz, um das Spielfeld wieder zu ebnen. Reagieren wir auf Überwachung doch mit Gegenüberwachung! Schauen wir unseren Machtinhabern einfach in die Augen. Nur wenn wir mit geschärftem Blick den Eliten auf die Finger schauen, können wir sicherstellen, dass diese in unserem Interesse handeln. Es mag paradox klingen, aber der Schlüssel zur Wahrung der Privatsphäre und des Geheimnisses liegt in der Transparenz. Wir müssen wissen, wer uns wann, weshalb und wie ausspäht. Letztendlich wollen wir doch alle das Gleiche, nämlich die Erhaltung unserer Freiheit, Kultur, Toleranz, Fortschritt, Wissen und ein klein wenig Privatsphäre. Diese Wünsche geraten natürlich öfter in Konflikt, aber wir sollten niemals akzeptieren, dass der Kampf um Freiheit, Sicherheit und Fortschritt ein Nullsummenspiel ist. Das wäre eine törichte Auffassung. Unsere Probleme lassen sich nicht mit mehr Geheimhaltung lösen. Die Antwort liegt im Licht, nicht im Schatten. _Übersetzung aus dem Englischen_
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