Putin umarmen
Was wir in der Ukraine erleben, ist nur ein kleiner Ausschnitt eines größeren Puzzles – wenn wir Europäer die Vogelperspektive wagen, erkennen wir, dass Russland gesamteuropäisch integriert werden muss.

Auch 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums steht das europäische Haus auf keinem stabilen Fundament. Russland, das größte Land Europas und zugleich Scharnier und Klammer zum asiatischen Kontinent, gibt sich mit dem Verlust der seiner Westgrenze vorgelagerten ehemaligen Vasallenstaaten nicht zufrieden und keine Ruhe. Die in der Europäischen Union vereinte Staatengemeinschaft hat bislang kein griffiges Konzept für eine befriedigende Lösung und eine auch Russland befriedende Integration entwickelt. Amerika ist ein übers andere Mal von der Unfähigkeit Westeuropas enttäuscht und von der Schwäche der EU überrascht. Aber auch Washington agiert weitgehend planlos und ist zunehmend daran interessiert, vornehmlich die eigenen Interessen zu sichern. Zugleich gärt es im einst roten Riesenreich. Die von der Idee der Menschenrechte und dem bürgerlichen Profil eines Andrej Sacharow inspirierten jungen Eliten in den urbanen Ballungszentren begehren auf und streben nach Demokratie, Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit. Ein neuer Mittelstand entsteht, der allerdings unter dem Mehltau des Putin’schen Oligarchensystems leidet. Dringend benötigt werden ausländische Investitionen und Know-how aus aller Welt. Zugleich erleben aber die alten Kader in Militär, Verwaltung und Justiz eine Renaissance und gehen mit den neuen Machthabern in der Großindustrie, sprich in der Gas- und Ölwirtschaft, eine willfährige Liaison ein. Wladimir Putin spielt auf Zeit; er will seinen Lebenstraum, dem russischen Weltmachtanspruch zu neuer Geltung zu verhelfen und eine Eurasische Union als Gegenstück zur EU zu etablieren, vollenden. Dafür muss er den Deckel innenpolitisch fest auf dem brodelnden Topf halten und auch die im Kaukasus, Tschetschenien und anderswo aufflammenden separatistisch-islamistischen Bewegungen niederzwingen, russische Enklaven wie in Georgien oder auch auf der Krim sichern und auf dem Klavier des Panslawismus Töne anschlagen, die eher national denn weltkommunistisch klingen.