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> Republik und Religionsfreiheit

Der Staat ist kein Tugendwächter

Religionsfreiheit darf nicht instrumentalisiert werden. Sie ist kein Gütesiegel für staatsbürgerliche Korrektheit und keine Medaille für sozial erwünschtes Verhalten. Eine Erwiderung auf Eva Quistorp.

The European

Wer gläubig ist, hat in einer liberalen Gesellschaft das Recht, seinen Glauben geradeso öffentlich zu bekennen wie der Atheist seinen Unglauben. Religion ist keine Privatsache und Religionsfreiheit kein Gnadenakt. Die Gesellschaft wiederum hat Anspruch darauf, dass dieses Recht nur in friedlicher Form wahrgenommen wird. Prozessionen und Demonstrationen, Kirchen, Konsumtempel und Synagogen sind allesamt Ausdruck jener konstitutionell garantierten Freiheit, die eine Republik erst ermöglicht.

Religionsfreiheit dient keinem Zweck
Vor diesem Hintergrund teile ich die Einschätzung Eva Quistorps, das Vordringen des Islam werde zur Nagelprobe für Religionsfreiheit, wie sie bisher in Deutschland verstanden wurde. “Die Schwachen und Friedfertigen zu schützen“ ist in der Tat eine erkennbar christlich eingefärbte Zweckbestimmung von Religionsfreiheit. Auch ich fühle mich unbehaglich, wenn mir im öffentlichen Raum ganzkörperverschleierte Frauen begegnen, Vermummte also, die mich ansehen, während ich nur einen Umriss wahrnehme. Das Gesicht ist die Sprache einer jeden Begegnung. Wer das seine ganz verbirgt, der will mir nicht von Gleich zu Gleich gegenübertreten. Der sieht mich an, wo ich nur taxieren, beobachten, spähen kann. Der bricht die grundlegende Symmetrie zwischen Menschen. Ebenso unbehaglich aber stimmt mich die Herabstufung der Religionsfreiheit zum Gütesiegel für staatsbürgerlich wertvolles Verhalten. Eva Quistorp übersieht, dass Religionsfreiheit letztlich keinem Zweck dient. Sie ist gerade nicht das Reifezeugnis für fortgeschrittene Republiktreue, ist nicht das staatliche Placet für besonders staatsfreundliche Denkweisen, nicht die Medaille für Vorstreiter dieser oder jener politischen Projekte. Sie ist schlicht der grundgesetzlich verankerte Ausdruck dafür, dass ein freiheitlich organisierter Staat kein Recht hat, den Bürgern einen bestimmten Glauben oder Unglauben vorzuschreiben.
Der freiheitliche Staat darf den Glauben nicht politisieren
Darum ist es eine unzulässige Vermengung von individuellem Freiheitsrecht und politischer Tugendlehre, wenn Eva Quistorp einen Verhaltenskodex entwirft, der der Religionsfreiheit vorgeschaltet werden soll. Religionsfreiheit braucht keine noch so noblen Gewährungsgründe. Kein anderes Bekenntnis ist ihr vorgelagert, weder zur Gleichberechtigung von Mann und Frau noch zur Meinungs-, Wissenschafts- und Kunstfreiheit. Sonst wäre Religion nichts anderes als der kultische Nachvollzug der Staatsräson, vom Staat geduldet und gewährt oder eben verworfen und verboten. Der Staat würde zum Religionswächter. Weil der freiheitliche Staat den Glauben nicht politisieren darf, sondern ihn in seiner ganzen Eigentümlichkeit respektiert, muss es dem Staat egal sein, was der Gläubige oder Ungläubige denkt. Es mag Katholiken geben, die die Schoah relativieren, antisemitische Protestanten, intolerante Muslime, verblendete Atheisten, fundamentalistische Juden und nationalistische Hindus – ebenso wie korrupte Journalisten, kriminelle Wissenschaftler und verbrecherische Künstler. Wo immer sie gegen Recht und Gesetz verstoßen, müssen sie bestraft werden. Nie und nimmer aber darf der Staat die freie Ausübung des Glaubens, des Berufs, der Wissenschaft und der Kunst prinzipiell an politische Bedingungen koppeln. Es wäre das Ende der Republik, der Abschied von der Freiheit.
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