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> Repräsentationslücken im politischen System

Mehr Kompetenz für das Wahlvolk?

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Seit längerer Zeit beklagt Werner Patzelt eine „Repräsentationslücke“ im politischen System unseres Landes. Der Professor für vergleichende Politikwissenschaft an der TU Dresden sieht die Distanz zwischen Regierenden und Regierten als eins der größten Probleme in diesem Zusammenhang. Doch was dagegen tun?

The European

Nun hat Patzelt sich in einer ausführlichen Arbeit der Frage gewidmet, ob es Verbesserungen für die repräsentative Demokratie in Deutschland geben und wenn ja, wie diese aussehen könnten. Herausgekommen sind drei Vorschläge, die das INSA-Institut (Erfurt) in einer deutschlandweiten Befragung auf ihre Mehrheitsfähigkeit abgeklopft hat. Diese Zeitung dokumentiert die Vorschläge des Politikwissenschaftlers und die Resultate der INSA-Befragung in einer vierteiligen Reihe exklusiv. Das Ergebnis ist interessant und regt zum Nachdenken an. Sinkende Zustimmung für etablierte Parteien, zurückgehende Wahlbeteiligung, steigende Wahlabstinenz oder Hinwendung zu Splitter- oder Protestparteien, Wählerwanderungen zwischen systemkritischen Parteien; Patzelt diagnostiziert, dass eine wachsende Anzahl von Bürgern sich im politischen System nicht mehr vertreten fühlt bzw. das Gefühl hat, „die da oben“ wüssten nicht so recht, was „die da unten“ eigentlich bewegt. In der Skizze seines ersten Alternativvorschlages nimmt Werner Patzelt eine Anleihe in der Schweiz. Artikel 141 der Eidgenössischen Bundesverfassung kennt das „fakultative Referendum“. Damit kann ein Quorum von Bürgern oder Kantonen eine Volksabstimmung über ein vom Bundesrat beschlossenes Gesetz verlangen. Erst die Abstimmung in der Sache (Artikel 142) ermöglicht das Inkrafttreten des Gesetzes oder eben dessen Verhinderung. Der Patzeltsche Vorschlag für Deutschland: nach dem rechtskräftigen Beschluss eines Gesetzes im Parlament können innerhalb von 100 Tagen Unterschriften für ein Referendum gesammelt werden, wobei ein Quorum von drei Prozent der Wahlberechtigten erreicht sein muss. Ist das Quorum dargestellt, findet das Referendum statt, ob das Gesetz in Kraft treten soll oder nicht. Für dieses Referendum sieht Patzelt kein Beteiligungsquorum vor um sicherzustellen, dass in der Sache und nicht systemkritisch über das Referendum entschieden wird. Er geht ergänzend noch einen Schritt weiter. Nicht nur das Bundesverfassungsgericht soll (wie bisher) der Recht haben, dem Parlament Gesetzgebungsaufträge zu erteilen, sondern auch das Volk. Hierzu muss als Initiative kein Gesetzentwurf, sondern ein klar formulierter Auftrag an das Parlament vorgelegt werden. Das hernach durch das Parlament erarbeitete Gesetz unterliegt wiederum dem „fakultativen gesetzesaufhebenden Referendum“. Das Echo in der Bevölkerung, dokumentiert durch die INSA-Befragung aus April 2018, ist zunächst durch überwiegende Zustimmung gekennzeichnet. Ihren ersten Eindruck schildern über 70 Prozent der Befragten als positiv, wobei die Jüngeren etwas unter dem Schnitt und die Generation 50 plus über dem Schnitt liegen. Immerhin noch knapp über 60 Prozent der Befragten meinen, die Einführung solcher Vorschläge würde der Politikverdrossenheit in Deutschland entgegenwirken. Ähnliche Zustimmung erfahren die Thesen, dies würde die politische Bildung der Bevölkerung positiv begleiten und die Legitimation von Entscheidungen verstärken. Der Annahme, Referendum und Volksinitiative würden zu einem verstärkten Engagement der Befragten selbst führen, teilen dann aber nur noch 50 Prozent. Deutlich skeptischer beurteilten die Befragten die Chancen auf Realisierung. Knapp über 40 Prozent meinen, das Referendum sei in den nächsten zehn Jahren zu verwirklichen; von der Volksinitiative glauben dies gut 43 Prozent. Vorläufiges Fazit: Auch wenn angesichts der Werte zu Realisierbarkeit und zum eigenen Verhalten noch etwas Zurückhaltung angebracht ist, für die meisten Deutschen scheint der Vorschlag Patzelts eine Option, über die eine substantielle Debatte lohnt.

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