Kopftuch vs. Kruzifix
Ist das Kopftuch ein politisches Statement oder Ausdruck der Religiosität? Und was suggeriert das Kruzifix im Gerichtsaal und der Behörde? Alan Posener und Alexander Görlach suchen nach Antworten.

*Görlach: Das Kreuz gehört zu unserer Kultur. Es ist das Zeichen des christlichen Glaubens und Kondensat einer christlichen Weltanschauung. Es ist von jeher präsent im öffentlichen Raum. Von daher ist es etwas anderes als das Kopftuch, das instrumentalisiert wird, um die Präsenz des Islam in westlichen Gesellschaften zu demonstrieren. Es gibt islamische Theologen, die sagen, dass es keine Pflicht gibt für muslimische Frauen, ein Kopftuch zu tragen.* Posener: Lassen Sie uns erst klären, worüber wir uns streiten. Über Kruzifixe im Klassenzimmer oder Kopftücher über den Haaren muslimischer Mädchen? Meine Haltung dazu ist diese: Kruzifixe gehören nicht ins Klassenzimmer in einer staatlichen Schule. Aber der Staat kann und soll nicht einem Mädchen verbieten, ein Kreuz am Hals zu tragen. Symbole des Islam gehören ebenso wenig an die Wand einer staatlichen Schule - und sind in der Türkei etwa dort verboten. Aber der Staat kann einem Mädchen nicht verbieten, ihre Haare zu verbergen. Wollen wir zuerst um die Frage streiten, ob Kreuze ins Klassenzimmer gehören, und anschließend um die leidige Kopftuchfrage? *Görlach: Es geht in beiden Fällen um dasselbe: Religion im öffentlichen Raum. Dabei gibt es einen Unterschied zwischen öffentlichen Gebäuden, in denen ihnen sozusagen der Staat entgegentritt - Behörden, Gerichte und in der Schule -, und Straßen und Plätzen. Reden wir über sichtbare Religion in der Schule: Die Politisierung dieser Frage geschieht durch den Islam und nicht durch das Christentum. Nehmen Sie das Kopftuch hier als Pars pro Toto: Es geht um die Forderung, auch in der Schule die islamischen Gebetszeiten einhalten zu können, es geht um die Nicht-Teilnahme am Sportunterricht, es geht um Geschlechtertrennung, Kantinenessen nach islamischen Vorschriften - und das Kopftuch. Durch das Christentum werden diese aktuellen Kontroversen weder hervorgebracht noch verschärft. Es stützt vielmehr das Wertesystem, das in unseren Schulen gelehrt wird: Deswegen kann es an der Wand in der Schule auch ein Kreuz geben.* Posener: Nein, das ist nicht dasselbe. Das Kreuz an der Wand eines Gerichts, einer Behörde, einer Schule suggeriert: Das, was hier geschieht, geschieht auch im Namen Gottes. Angesichts der Tatsache, dass die meisten Menschen mit Schulen, Behörden und Gerichten eher negative Erfahrungen machen, würde ich der Kirche dringend raten, die Kreuze dort zu entfernen. Denn Staatsferne nützt vor allem der Kirche. Wie sagte Jesus Christus: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt." Man solle dem Kaiser geben, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist. Die Trennung ist wichtig. Es gibt "islamische Republiken", was ein Widerspruch in sich ist. Eine islamische Republik ist letzten Endes eine Diktatur, weil die Wahrheit des Islam über der Freiheit der Republik steht. In der "islamischen Republik" Iran etwa entscheidet letztendlich der Wächterrat. Aber die modernen Demokratien sind keine christlichen Demokratien, auch wenn die Bevölkerung christlich geprägt ist. In den USA würde niemand auf den Gedanken kommen, ein Kreuz in einen Gerichtssaal oder ein Klassenzimmer zu stellen - ja, das wäre verboten. Dort steht vielmehr die Fahne.