Teilen
> Raumfahrt als europäischer Wachstumsfaktor
Hilfe von oben
Artikel vom
Mit politischem Klein-Klein wird die europäische Krise kaum zu einem Ende kommen. Ein Blick aus der Ferne kann jedoch Wunder wirken – das weiß niemand besser als die Raumfahrt.

Man sagt gerne: Europas Motor stottert. Um einen Vergleich aus der Raumfahrt zu bemühen: Es gibt Probleme beim Triebwerks-Schub. Doch solche Diagnosen helfen nicht weiter. Vor allem: Sie verstellen schnell den Blick auf Geleistetes. In der Erdbeobachtung sind wir es gewöhnt, uns eine gewisse Distanz zu verschaffen, indem wir hochpräzise Instrumente an Bord von Satelliten in eine Hunderte Kilometer hohe Erdumlaufbahn bringen. „Nur aus der Ferne sieht man klar“ soll schon der große Philosoph Lao-Tse gesagt haben.
Ein gelungenes Modell zwischenstaatlicher Zusammenarbeit
Von oben sehen wir die Erde als „großes Ganzes“, ein komplexes, aber entzifferbares System – die Landflächen, die Ozeane, die Atmosphäre, das Eis an den Polen, schließlich die Biosphäre, das Leben. Die Raumfahrt hat unser Selbstverständnis innerhalb eines halben Jahrhunderts auf eine neue Ebene gestellt. Und: Aus der Umlaufbahn haben wir gelernt, unser Handeln und seine Auswirkungen besser einzuschätzen. Blicken wir aus dieser Position auf Europa. Das Zusammenwachsen Europas ist ein erstaunlicher politischer und historischer Prozess. Ich bin kein Politiker, sondern Naturwissenschaftler, doch arbeite ich in einer europäischen Organisation, die seit Jahrzehnten Wissenschaft und Technik als Produkt eines politischen Kompromisses fördert. Die Europäische Raumfahrtagentur ESA wurde 1975 ins Leben gerufen. Es war dasselbe Jahr, in dem der Europäische Rat das erste Mal zusammentrat, die Schlussakte von Helsinki unterzeichnet wurde und zum ersten Mal ein amerikanisches und ein russisches Raumfahrzeug aneinander andockten; es wirkt neben Euro-Krise und Abschmelzen des arktischen See-Eises wie ferne Vergangenheit. Die ESA wurde rasch zu einem gelungenen Modell zwischenstaatlicher Zusammenarbeit – und das auf einem Gebiet, das aufgrund seiner strategischen Bedeutung nationale Egoismen befördern könnte. Mit der ESA entstand ein europäisches Raumfahrtprogramm. Und an dem partizipieren mittlerweile zwanzig Staaten – mit Erfolg.Forschung schafft Wissen, Wissen schafft Arbeitsplätze
Raumfahrt im Allgemeinen und die ESA-Programme im Speziellen bedienen etwas, das Europa heute dringend braucht: wirtschaftliches Wachstum basierend auf Hochtechnologieforschung. Die OECD hat das kürzlich prägnant auf den Punkt gebracht: „Der Weltraum-Sektor spielt eine zentrale Rolle im effizienten Funktionieren moderner Gesellschaften und deren wirtschaftlicher Entwicklung.“ Das Abheben einer europäischen Trägerrakete, das aktuelle Wetter-Satellitenbild oder die Annehmlichkeiten moderner Telekommunikation und Navigation sind also nur das sichtbarste Zeichen einer Wertschöpfungskette. Die Raumfahrtinvestitionen bilden die Grundlage für viele Mehrwertdienste, die wir alle heute nutzen und die meist in kleinen innovativen Firmen entwickelt werden. Forschung schafft Wissen. Transfer von Wissen schafft Produkte und Dienstleistungen. Vor allem aber: Alle zusammen schaffen Arbeitsplätze. Raumfahrt ist daher nicht nur nützlich – sie ist heute notwendig. Die Ziele sind uns in den vergangenen Jahrzehnten nicht ausgegangen. Mehr denn je stehen wir heute vor Herausforderungen, die zu meistern wir ein Rezept mit den folgenden Zutaten brauchen: Investitionen in Wissenschaft und Technologie, die Verknüpfung von Raumfahrt-Anwendungen und Forschung mit der politischen Agenda, eine wettbewerbsfähige Industrie, die diese Herausforderungen meistern kann, Infrastruktur, auf die sich Europa auch in einer Krise verlassen kann, und eine klare Positionierung in der Weltgemeinschaft. Die Raumfahrt in Europa, gebündelt durch die ESA, fördert diese Ziele.Auf Spitzenpositionen ruht man sich nicht aus
Und da ist noch etwas: der oft bemühte Begriff von der Notwendigkeit globaler Zusammenarbeit. Das gilt übrigens in besonderem Maß für die Erforschung des globalen Wandels. Klimaveränderungen und ihre Auswirkungen machen nicht vor Staatsgrenzen halt. Zusammenarbeit bedeutet jedoch, dass man als Partner seine eigene Verantwortung wahrnimmt! Nur wer Systeme zur Erforschung von Erde, Umwelt und Weltraum unterhält, kann auch andere daran teilhaben lassen. Nur wer neue Technologien entwickelt und ins All bringt, kann die so gewonnenen Daten mit denen anderer Partner vergleichen und verbinden. Zusammenarbeit heißt also weder, sich auf andere zu verlassen, noch, eigene Versäumnisse auf andere abzuschieben. Europa hat gerade im Bereich der Erdbeobachtung und der Umweltpolitik eine weltweite Spitzenposition inne. Darauf können wir stolz sein und es mag Europa helfen, sich auch wirtschaftlich besser auf die Herausforderungen des Klimawandels einzustellen als andere, die dies verschlafen oder aus ideologischen Gründen heute noch nicht wollen. Aber auf Spitzenpositionen ruht man sich nicht aus. Das, was Europas Staaten in der ESA bis heute erreicht haben, ist ein Auftrag. Die führende Rolle Europas in der Erdbeobachtung gehört da konsequent dazu. So wie die Raumfahrt unser Alltagsleben durchdringt und gleichzeitig noch immer den Stoff für Visionen hat, sollte eine Stärkung dieses Bereiches in Europa nicht nur eine Selbstverständlichkeit sein, sondern auch ein intelligenter Schachzug.Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden! Neuen Kommentar schreiben