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> Ramadan in Ägypten

Islamisierung statt Demokratisierung

Islamisten haben auf den Straßen von Kairo ihr Revier markiert. Moderate Kräfte und Liberale müssen jetzt clever agieren, wenn sie sich mit den Forderungen nach weiterem Wandel nicht in den eigenen Fuß schießen wollen.

The European

Nach zwanzig Tagen der Straßenproteste mussten liberale Demonstranten und Aktivisten am 29. Juli die Innenstadt von Kairo räumen. Sie wurden verdrängt von Zehntausenden Islamisten, die mit viel Elan und Krach einen islamischen Staat forderten, in dem die Scharia zu gelten habe. Das starke Auftreten der Islamisten hat Schockwellen durch die Kreise der liberalen Revolutionäre geschickt. Viele Ägypter fürchten, dass die Revolution "unter die Räder gerät":http://www.theeuropean.de/tamin-elyan/7365-aegypten-nach-der-revolution, wenn sie zur islamischen Revolution wird. Die Polarisierung der Politik begann nach dem Verfassungsreferendum im März. Die Islamisten konnten damals einen großen Sieg einfahren; 70 Prozent der Ägypter stimmten für Verfassungsänderungen bis zur Wahl eines neuen Parlamentes – ein Parlament, das wahrscheinlich stark religiös geprägt wäre. Die Liberalen forderten daher bereits im März, die Verfassung komplett und vor den Wahlen neu zu schreiben. In den Wochen und Monaten nach dem Referendum haben sich diese liberalen Kräfte dann neu organisiert und zumindest durchgesetzt, dass der Oberste Militärrat angekündigt hat, klare Richtlinien für eine Verfassungsversammlung zu erlassen. Dadurch wiederum haben sich die Islamisten provoziert gefühlt. Sie fordern eine „Achtung des Willens der Menschen“ und lassen die Muskeln spielen.

Islamismus ist nicht gleich Islamismus

Auf der einen Seite wäre es falsch, jetzt alle Islamisten in einen Topf zu werfen. Es gibt moderate Gruppen wie die Muslimbrüder, die einen religiös geprägten Zivilstaat fordern. Es gibt Predigergruppen und Bewegungen wie die Salafisten, die einen friedlichen Umbau der Gesellschaft anstreben und dabei auf die Politik setzen. Und es gibt Gruppen, die vormals auf Gewalt gesetzt haben und jetzt die eigene Vergangenheit zu verleugnen versuchen, wie etwa die Islamic Group. Die Islamisten befinden sich aktuell in einem Zustand der Erregung, der allerdings schnell in Arroganz umschlagen kann. Vor allem bei den Armen und auf dem Land kommen die starken Parolen gut an. Doch es fehlt den Islamisten an einem durchdachten politischen und wirtschaftlichen Programm, das die täglichen Sorgen der Menschen ernst nimmt und sich mit Fragen der ägyptischen Identität und der Regulierung beschäftigt. Gleichzeitig haben die Liberalen es verpasst, sich in der Öffentlichkeit vorteilhaft zu präsentieren. Sie nehmen die öffentliche Meinung nicht ernst genug und entscheiden über die Köpfe der Menschen hinweg. Das öffnet Spekulationen Tür und Tor, dass es sich bei Liberalen um Religionshasser handelt, die einen säkularen Staat gegen den Willen der Bevölkerung durchboxen wollen. An der Seitenlinie stehen dabei die einfachen Menschen: Moderat religiöse und tolerante Ägypter, die wissen, dass der Islam in seinem Kern eine liberale Religion ist, die gleiche Rechte für Muslime und Nichtmuslime garantiert. Diese Menschen sind die Hoffnung der Demokratie – doch sie sind enttäuscht vom angeblichen Konflikt, der aktuell ausgetragen wird.

Die Revolution geht weiter!

Die Islamisten müssen akzeptieren, dass Ägypten nicht zum mittelalterlich-religiösen Staat werden wird. Sie müssen den Menschen klarmachen, dass die Revolution weitergeht und die Versprechen der Menschen erfüllt werden. Und die Liberalen sehen sich gezwungen, klarzumachen, dass auch sie keine strikte Trennung von Kirche und Staat anstreben und der extreme Individualismus nach westlichem Vorbild nicht an das einfache Volk vermittelbar ist. Es ist an der Zeit für die Politik, "erwachsen zu werden":http://www.theeuropean.de/joachim-schroedel/7221-aegypten-im-schwebezustand. Die Massenbewegung muss abgelöst werden durch eine Politik des Dialogs und der Verständigung, wenn die Versprechen der Revolution nicht dem Chaos geopfert werden sollen.

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