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> Protest gegen die türkische Regierung

Im Namen des Volkes

Mit der Entschuldigung des türkischen Vize-Premiers ist es nicht getan: Die Regierung um Ministerpräsident Erdogan muss jetzt erklären, wie viele Opfer die Gewalt der Polizei bereits gekostet hat und die Verantwortlichen vor Gericht stellen.

The European

Kurz nachdem die ersten Menschen im Gezi-Park am Taksim-Platz gegen das geplante Einkaufszentrum demonstrierten, stand mein Telefon nicht mehr still. Viele türkische Freunde riefen mich an, um mir zu berichten, wie sie in Istanbul und in anderen Städten die Demonstrationen erlebten. Besonders bewegt hat mich der Anruf einer langjährigen Freundin, die Ärztin ist. Sie erzählte mir, dass sie noch nie so aggressive Polizisten erlebt hätte. Sie seien mit Knüppeln auf die Demonstranten losgegangen und hätten Menschen aus nächster Nähe mit Reizgaspatronen angeschossen. Der Protest hat längst ganz unterschiedliche Bevölkerungsgruppen erfasst: So mobilisiert jetzt eben auch die Ärztekammer ihre Mitglieder.

Demokratie ist mehr als der Gang zur Wahlurne
Das türkische Amnesty-Büro, das in unmittelbarer Nähe zum Taksim-Platz liegt, wurde zeitweise zum Lazarett umgewandelt und diente als Lager für Verbandszeug und Medikamente. Es war 24 Stunden am Tag für Schutzsuchende offen. Hier suchten immer wieder Demonstranten Schutz vor Wasserwerfern und Tränengas. Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül hat recht, wenn er sagt, dass Demokratie nicht nur der Gang an die Wahlurnen bedeutet. Der Präsident muss die Rechte aller Bürger schützen. Ministerpräsident Erdoğan kann sich eben nicht darauf berufen, dass er von der Mehrheit der Türken gewählt wurde und damit die Einschränkung der Meinungsfreiheit und Demonstrationsfreiheit rechtfertigen. Jeder Bürger hat das Recht, sich frei zu äußern – unabhängig, ob er dieser Mehrheit angehört oder nicht. Das ist ein Menschenrecht. Die Lage hat sich nach Aussage unseres Türkei-Büros zwar in Istanbul momentan beruhigt, die Polizeigewalt geht aber in Ankara und Tunceli unvermindert weiter. Wir sehen diese Entwicklungen mit Sorge: Amnesty International hat bereits in den vergangenen Jahren beobachtet und dokumentiert, dass die Meinungsfreiheit in der Türkei immer stärker beschnitten wird und Menschen strafverfolgt werden, wenn sie einfach nur ihre Meinung sagen und schreiben. In unserem aktuellen Amnesty-Report zur weltweiten Lage der Menschenrechte heißt es im Türkei-Kapitel: „Trotz einiger zögerlicher Reformen bleibt die Meinungsfreiheit stark eingeschränkt.“ Wer gewaltfrei abweichende Meinungen kundtat – zu kontroversen politischen Fragen – oder wer öffentliche Institutionen oder Amtsträger kritisierte, wurde häufig zur Zielscheibe strafrechtlicher Verfolgung, besonders wenn es um die Rechte der Kurden ging. Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass die Polizei exzessive Gewalt anwendet: Zum Beispiel wurden im Dezember vergangenen Jahres rund 50 Studenten bei Auseinandersetzungen mit der Polizei auf dem Campus der Technischen Universität in Ankara verletzt. Zuvor hatte die Polizei versucht, eine friedliche Protestkundgebung gegen den Besuch von Ministerpräsident Erdoğan aufzulösen. In diesem und auch in anderen Fällen wurden keine wirkungsvollen Untersuchungen und strafrechtlichen Ermittlungen in Fällen von mutmaßlichen Menschenrechtsverstößen durch Staatsbedienstete durchgeführt.
Mit einer Entschuldigung ist es nicht getan
"Ganz offenbar sind immer mehr Menschen in der Türkei von einer Regierungspolitik, die Meinungsfreiheit immer stärker einschränkt, enttäuscht und empören sich(Link)":http://www.theeuropean.de/cigdem-nas/6994-die-neue-tuerkische-opposition. Sie möchten nicht mehr hinnehmen, dass sie nicht mehr gehört werden, dass sie ihre Meinung nicht offen und ohne Angst auf die Straße tragen können oder im Internet schreiben dürfen. Erdoğan "bezeichnet Twitter als ein großes Übel":http://www.nytimes.com/2013/06/03/world/europe/turkey-premier-says-protests-will-not-stop-plans-to-demolish-park.html?_r=0. Mit der Entschuldigung des Vize-Regierungschefs Bülent Arinc, dass die „exzessive Gewalt unfair und falsch war“, ist es nicht getan. "Die Verantwortlichen für die brutale Gewalt gegen friedliche Demonstranten müssen vors Gericht kommen(Link)":http://www.theeuropean.de/stefano-casertano/6971-taksim-proteste-als-wendepunkt-fuer-erdogan. Amnesty International verurteilt den unverhältnismäßigen Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern, bei dem auch nicht an den Protesten beteiligte Passanten zu Schaden kamen. Die Regierung muss die Zahl der verwundeten und getöteten Demonstranten veröffentlichen und ihre Polizeieinsätze transparent machen. Friedliche Demonstrationen müssen erlaubt werden und diejenigen, die friedlich demonstriert haben, müssen sofort aus der Haft entlassen werden. Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, hat Amnesty in Deutschland "eine Online-E-Mail-Aktion gestartet, in der der türkischen Ministerpräsident direkt angeschrieben werden kann":http://action.amnesty.de/l/ger/p/dia/action3/common/public/?action_KEY=9277&d=1.
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