Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
> Polizist erschießt Mann in Berlin

Nothilfe im Neptunbrunnen?

In Berlin erschießt ein Polizist einen nackten Mann, der nur mit einem Messer bewaffnet ist. Ein kursierendes Video zeigt, dass es offensichtlich eine Überreaktion war. Also alles klar, oder? Mitnichten.

The European

Am Freitag, dem 28.6.2013 wurde im Neptunbrunnen in Berlin ein nackter, mit einem Messer bewaffneter Mann von einem Polizeibeamten durch einen "Schuss in den Oberkörper getötet":http://www.spiegel.de/panorama/justiz/polizeieinsatz-in-berlin-polizeigewerkschaft-verteidigt-todesschuetzen-a-908511.html. Das Geschehen wurde von einem Passanten gefilmt und ins Internet gestellt. Unmittelbar nach den ersten Meldungen erfolgten die erwarteten, reflexartigen Kommentare. Während auf der einen Seite gegen Polizeigewalt gewütet wurde, wurde auf der anderen Seite von Notwehr gesprochen. Jetzt muss erst einmal die Staatsanwaltschaft ermitteln. Dabei wird das Video eine wichtige Rolle spielen. Notwehr bzw. Nothilfe, oder eher doch nicht?

Was ist das eigentlich, Notwehr?
Systematisch betrachtet, ist Notwehr ein Rechtfertigungsgrund, d.h. wer in einer Notwehrsituation eine Straftat begeht, macht sich nicht strafbar, weil seine Tat gerechtfertigt ist. Im Gesetz steht das so: *§ 32 Notwehr* # Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. # Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. Das klingt ja erst einmal ganz einfach und nachvollziehbar, ist es aber leider nicht. Schon die alten Römer kannten den Grundsatz "„vim vi repellere licet“":http://de.wikipedia.org/wiki/Vim_vi_repellere_licet#Vim, also Gewalt darf mit Gewalt abgewehrt werden. Das ist nichts Neues. Heute sagt man dazu auch gerne, das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen. Wer angegriffen wird, darf grundsätzlich zurückschlagen. Niemand muss vor einem Angriff fliehen. Im Grundsatz ja. Aber eben nicht immer.
War es Notwehr in Berlin?
Basis einer rechtfertigenden Notwehr ist zunächst einmal eine Notwehrlage in Form eines gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriffs. Das wird man hier erst einmal zwanglos annehmen können, da der Mann sich mit dem Messer auf den Polizeibeamten zubewegte. Das reicht erst mal. Der Polizist muss nicht warten, bis er verletzt worden ist. Da könnte man allenfalls noch darüber spekulieren, ob der angegriffene Beamte die Situation nicht auch selbst mit herbeibeschworen hat, indem er in den Brunnen stieg. Zur Sicherung der öffentlichen Sicherheit, also zum Schutz von Passanten, war das wohl nicht nötig. Aber sei’s drum. Er hat’s nun mal gemacht und sicher nicht in böser Absicht. Also alles gut? Wenn’s mal so einfach wäre. Das Notwehrrecht erlaubt nämlich nur die „erforderliche“ Abwehrhandlung, nicht jede. Der BGH hat das einmal so ausgedrückt: bq. „Erforderlich ist diejenige Verteidigungshandlung, die geeignet ist, den Angriff sofort sicher und endgültig zu beenden und dabei das relativ mildeste der in Betracht kommenden Verteidigungsmittel ist.“ _(BGHSt. 3, 217)_ Und ein tödlicher Schuss kann nur als Ultima Ratio eingesetzt werden. Den Angegriffenen trifft eine besondere Pflicht. Er kann nicht einfach jedes Mittel einsetzen, sondern muss sich schon auch überlegen, welche Mittel er zur Abwehr des Angriffs einsetzt. Das gilt für den normalen Bürger nicht anders als für einen Polizeibeamten, der darüber hinaus auch noch den nervlichen Vorteil haben sollte, für derartige Situationen an der Waffe geschult worden zu sein. Die eingesetzten Abwehrmaßnahmen müssen im „gebotenen“ Verhältnis zum Angriff stehen. Ein Beispiel, das jedem einleuchten wird: Sie können nicht einfach den Nachbarjungen mit der Flinte aus ihrem Apfelbaum knallen, nur weil er da ihr Eigentum in Form von ein paar Äpfeln angreift. Es gibt allerdings Situationen, wo das letzte Mittel auch das einzige sichere Mittel ist. Man kann deshalb nicht grundsätzlich sagen, dass nicht geschossen werden darf.
Der Unterschied zwischen Nothilfe und Notwehr
Ob eine Abwehrhandlung erforderlich war, ist häufig in Verfahren eine schwierige Frage. Es ist letztlich eine Bewertungsfrage, die erst die Staatsanwaltschaft und, falls es zu einer Anklage kommt, das Gericht entscheiden muss. Und die Bewertung muss natürlich aus der Sicht des Täters zur Tatzeit getroffen werden. Wir kennen das vom Fußball. Wenn wir uns 100 Mal die Zeitlupe angesehen haben, sind wir immer schlauer als der Schiedsrichter, der in Sekundenbruchteilen pfeifen muss. Im speziellen Fall des Toten vom Neptunbrunnen kommen schließlich noch ein paar andere Aspekte hinzu. Hier hat nicht der Angegriffene selbst geschossen, sondern sein außerhalb des Brunnens stehender Kollege. Das nennt man dann Nothilfe, es ist aber im Prinzip nichts anderes als Notwehr für einen anderen. Die Voraussetzungen sind dieselben. Warum der Beamte meinte, er müsse auf den Nackten schießen, obwohl sein im Brunnen befindlicher Kollege ebenfalls mit gezückter Waffe vor diesem stand und nicht schoss, ist eine interessante Frage. Wenn der angegriffene Beamte nicht schoss, fühlte der sich da selbst noch nicht in einer Notwehrlage? Oder glaubte der Angegriffene, er könne vor dem Angriff fliehen? Er ging ja rückwärts. Das alles wird zu ermitteln sein, bevor man sich ein abschließendes Urteil bilden kann. Wenn Sie jetzt die Frage stellen, warum er hätte fliehen sollen oder gar müssen, wo ich doch oben erst erzählt habe, dass das Recht dem Unrecht nicht weichen müsse, dann haben Sie schon ein weiteres Problem des Notwehrrechts erkannt.
War es ein Notwehrexzess?
Grundsätzlich hat man im Rahmen der Notwehr das Recht zur Trutzwehr. Das klingt jetzt zwar nach alten Rittersleuten, bedeutet aber nur, dass man einen Angriff mit einem Gegenangriff beenden darf. Im Fußball würde man von einem Konter sprechen. Wo es aber einen Grundsatz gibt, da gibt es immer auch mindestens eine Ausnahme. Und die drängt sich hier geradezu auf. Gegenüber Kindern und anderen offenkundig schuldlos handelnden Menschen, also zum Beispiel Vollgesoffenen oder psychisch Kranken, ist die Trutzwehr nur selten zulässig. Nämlich nur dann, wenn anders gar nichts mehr geht. Wenn der dreijährige Amerikaner mit seinem Kindergewehr auf andere Kinder schießt, dann darf man ihn erschießen. Aber ansonsten muss man eben zur reinen Schutzwehr übergehen. Das bedeutet auf Deutsch, man muss sich dem Angriff auch durch Ausweichen oder sogar Flucht entziehen. Das hat der angegriffene Beamte offenbar auch erkannt, weil er vor dem Nackten mit dem Messer zurückweicht. Vielleicht war es dieser Sekundenbruchteil des Zögerns am Beckenrand, der den Kollegen denken ließ, die Flucht würde misslingen. Ein richtiges Stolpern oder Hinfallen war es ja nicht. Vielleicht war es Stress, Überforderung, schlechte Ausbildung, vielleicht „löste“ der Schuss sich auch nur – wie das ja häufiger mal behauptet wird, vielleicht war es Adrenalin. Wenn eine Notwehrlage vorlag, kann auch noch ein sogenannter „intensiver Notwehrexzess“ vorgelegen haben. Das ist so, wenn jemand bei einer bestehenden Notwehrlage das Maß der Notwehr überschreitet. Da spricht einiges für. Auch dann könnte der Beamte straffrei bleiben, wenn er aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken handelte. Alles drin. Auch Polizisten sind nicht frei von Verwirrung, Furcht und Schrecken, auch wenn sie gerne mal so tun. In einer Diskussion vor ein paar Tagen ging es um die Frage, ob es sichere Urteile gäbe. Ein kluger Diskutant schrieb Folgendes: bq. „Na ja, wenn einer vor laufender Überwachungskamera bei einem Raub jemanden erschießt und DNA-Spuren hinterlässt, ich weiß nicht, ob man sich dann lange mit Schuldfragen aufhalten muss.“ Meine direkte Antwort lautete: bq. „Doch. Die Kamera zeigt nur das äußere Bild. Zu Fragen des Vorsatzes, der Schuldfähigkeit etc. kann ein Video nur wenig beitragen. DNA-Spuren lassen sich auch bewusst legen, oder verbrennt man seine Tempos immer?“
Keine vorschnellen Urteile
Das ist hier nicht anders. Das Video zeigt das äußere Bild aus der Position des Filmenden. Es zeigt die Situation nicht aus der Sicht des Schützen und vor allem sieht es nicht in dessen Kopf hinein. Wir sollten uns immer hüten, ein vorschnelles Urteil zu fällen, egal in welche Richtung. Und auch wenn ich mich wiederhole, "die Unschuldsvermutung gilt nicht nur für „Schweine“":http://www.theeuropean.de/heinrich-schmitz/6717-der-nsu-prozess-und-die-unschuldsvermutung, sondern auch für Polizisten. _Nachtrag (30.6.): Bei meinem Artikel hatte ich mich auf die zu diesem Zeitpunkt aktuelle Berichterstattung von SPIEGEL-Online und die Aussage des Sprechers der Polizei gestützt. Nach mehrfachem Ansehen des Videos vermute ich auch, dass der Polizist im Brunnen geschossen hat. Für die Ausführungen zu den Voraussetzungen der Notwehr spielt das aber keine Rolle_
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!
Neuen Kommentar schreiben