„Das Experiment Ratzinger ist beendet“
Die Blicke richten sich erwartungsvoll nach Rom: Was ist vom neuen Papst zu halten? Im Gespräch mit Max Tholl erklärt der Vatikan-Experte Marco Politi, wieso ein argentinischer Papst die richtige Wahl ist und weshalb er sich vor Benedikts Vertrauten hüten sollte.

*The European: Wie schätzen Sie die Wahl des neuen Papstes ein?* Politi: Es war eine große Überraschung, denn man wusste, dass am Anfang des Konklave Kardinal Scola aus Mailand gute Chancen hatte – was auch für Kardinal Ouellet aus Kanada galt. Aber das Konklave hat in einem sehr kurzen Wahlverfahren eine strategische Entscheidung getroffen und sich gegen einen Italiener entschieden. Man hat den Sprung außerhalb Europas gewagt. Es ist auch eine Öffnung und eine Botschaft an die dritte Welt. Obwohl Argentinien kein Entwicklungsland ist, hat diese Wahl einen sehr starken Symbolcharakter. *The European: "Wieso hat das Konklave diese strategische Wahl getroffen?(Link)":http://www.theeuropean.de/alexander-goerlach/6589-beginn-des-papst-konklave-in-rom* Politi: Wegen dem starken Druck der Scola-Anhänger hier in Italien wurden die ersten Wahlgänge zu einem Referendum für, beziehungsweise gegen, Kardinal Scola. Wahrscheinlich hat das einen Teil der Kardinäle irritiert. Man sollte nicht das Sprichwort vergessen: „Wer als Papst in das Konklave geht, kommt als Kardinal wieder raus.“ Wahrscheinlich haben es viele nordeuropäische Kardinäle als Last empfunden, dass Kardinal Scola der Berlusconi-nahen und umstrittenen „Comunione e Liberazione“-Bewegung, die ja in diverse Skandale verwickelt ist, nahesteht. Obwohl Kardinal Scola selbst nichts mit diesen Skandalen zu tun hat. Die Vatileaks-Affäre des vergangenen Jahres hat ebenfalls zu einer starken Überzeugung unter den Bischöfen geführt, sich gegen einen italienischen Papst auszusprechen. *The European: … und stattdessen einen Argentinier zu wählen?* Politi: Man hat gesehen, dass Scola in den ersten Wahlgängen nicht den Lawineneffekt erzeugen konnte, den viele erwartet haben. Man hat stattdessen auf einen Kandidaten wie Kardinal Bergoglio gesetzt, der aus der Mitte kommt und eine gemäßigte Haltung vertritt. Auch wenn er 2005 an der Speerspitze der kleinen Reformgruppe um Kardinal Martini stand. Es ist sehr symbolisch, dass gerade er als Kompromisskandidat gewählt wurde. Er, der doch 2005 der Widersacher von Benedikt war. Daran sieht man, dass man das Experiment Ratzinger, samt der starken konservativen Lobby, die ihn zum Papst machte, und dem Fokus auf Tradition, Identität und Misstrauen gegenüber der modernen Gesellschaft als beendet betrachtet.