„Die radikale Linke ist ein absterbendes Projekt“
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In Deutschland herrscht ein neues Nationalgefühl. Die Euphorie um die Nationalmannschaft ist ein Spiegelbild dieses entspannten Gemeinschaftsgefühls. Erstmals in der Geschichte Deutschlands, entspringt es keinem Mangel an Selbstbewusstsein, und nimmt damit Rechts- wie Linksradikalen den Wind aus den Segeln. Das Interview führte Alexander Görlach.

*The European: Wie stehen die Deutschen zu Ihrem Land; wie deuten Sie den Deutschlandtaumel, den die WM ausgelöst hat?* Aly: Wir sind dabei, uns von dem alten muffigen Nationalismus zu entfernen. Wir finden ihn nur noch in finsteren Nischen, wir beginnen das, was wir an nationalen Symbolen noch haben – im Wesentlichen die Fahne und den Rest unserer Nationalhymne, nämlich die dritte Strophe “Einigkeit, Recht und Freiheit…” - mit einem neuen, von Überheblichkeit freien Inhalt zu füllen. Wir haben während der WM einen sportlichen Gelegenheitsnationalismus kennen gelernt, der nichts mehr mit jenem Nationalismus zu tun hat, der noch Erbfeinde kannte, Kriege und Eroberungen ins Kalkül gezogen hat und die eigene eingebildete Überlegenheit in den Mittelpunkt gestellt hat. *The European: Kann man dann überhaupt noch von Nationalismus sprechen?* Aly: Der historische Begriff vom deutschen Nationalismus ist offenbar auf dem Misthaufen der Geschichte gelandet. Gott sei Dank. Während der Fußballweltmeisterschaft sahen wir freudigen, gemeinschaftlichen Stolz, der nach der Niederlage gegen Spanien sofort verschwand. Wir erlebten gemeinsame Augenblicksgefühle, sonst nichts. Selbst wenn wir Weltmeister geworden wären, wäre das so geblieben. *The European: Ist das eine Entwicklung, die in anderen europäischen Ländern ähnlich verläuft oder eine rein deutsche Entwicklung?* Aly: Historisch betrachtet ist der deutsche Nationalismus deswegen ja über 150 Jahr lang so besonders unangenehm gewesen, weil er mit zu wenig Selbstbewusstsein verbunden war. Dieses Deutschtumsgetue – das etwas deutsch und nur deutsch zu sein habe oder eine Sache deutsch ist – war immer Ausdruck von mangelndem Selbstbewusstsein gewesen. Die Möglichkeit, das grundlegend zu ändern, wurde den Deutschen erst gegeben, als die “nationale Frage” am Ende des Kalten Krieges mit der Wiedervereinigung beantwortet wurde.