Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
> Nachwehen des EU-Gipfels

Schlechter Rat ist teuer

Artikel vom

Den Europäischen Rat und das Europäische Parlament verbindet die Namensgebung und das politische Aktionsgebiet. Ansonsten trennen sie Welten.

The European

Mehr als zehn Tage ist es nun her, dass sich die europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel trafen, um wieder einmal über Europas Zukunft zu entscheiden. Zehn Tage, an denen sich der aufgewühlte Staub des Gipfel-Ergebnisses nun legen konnte. Zehn Tage, in denen sich die einen als Sieger feiern ließen und sich die anderen bereits den Kopf darüber zerbrachen, wie angesichts des Ergebnisses das Schlimmste noch zu verhindern ist.

Ohne gemeinsame Ziele
Beschlossen wurde der sogenannte Mehrjährige Finanzrahmen für die Jahre 2014 bis 2020 – ein siebenjähriger Finanzplan, der die Finanzierung der gemeinschaftlichen Projekte klären und die Grundpfeiler gemeinsamer Politik setzen soll. Erstmals in der Geschichte des EU-Haushalts wurden die Mittel für die Europäische Union gekürzt (von 994 Milliarden Euro auf 960 Milliarden Euro; oder: von 1,12 Prozent auf ein Prozent (!) des Bruttonationaleinkommens der EU). Alte Nachlässe der Nettozahler wurden teilweise aufgebessert, neue wurden geschaffen. Die „Gewinner” ließen sich entsprechend feiern. Anders hingegen war die Reaktion des französischen Staatspräsidenten François Hollande. Er zeigte sich mit dem Ergebnis nur mäßig zufrieden und gab offen zu, dass bei den Verhandlungen „ein Weg gefunden werden musste, dass jedes Land Sieger sein kann”. Diese Aussage ist beachtlich, zeigt sie doch wie der Europäische Rat funktioniert. Sie offenbart die gute alte diplomatische Schule, der sich die Staats- und Regierungschefs in der gemeinsamen Entscheidungsfindung noch immer verpflichtet fühlen: Lösungen finden, bei denen alle Beteiligten das Gesicht wahren können. Allen Berichten zufolge ist man auch bei den letzten Verhandlungen diesem Gebot gerecht geworden. Der Gipfel sollte mit einem Kompromissvorschlag von Ratspräsident Herman van Rompuy beginnen und in der großen Runde verhandelt werden. Gekommen ist es aber, wie es kommen musste: Die Staats- und Regierungschefs trafen ein und zogen sich zuerst zu bilateralen Gesprächen zurück. Erst spät abends konnten die gemeinsamen Verhandlungen beginnen. Dieser rücksichtsvoll-zwischenstaatliche Weg führt zwangsweise dazu, dass die Interessenabwegung der Verhandlungspartner zur entscheidenden Triebfeder wird – und eben nicht die gemeinsamen Ziele und die Art und Weise, ihnen entsprechend zu folgen. Die gegenseitige Rücksichtnahme rückt ins Zentrum der Aufmerksamkeit und verdrängt die eigentlichen Ziele. Auch zu dieser Einsicht bekannte sich Präsident Hollande, indem er seinem Geständnis zurückhaltend hinzufügte: „Europa hat dadurch nicht notwendigerweise soviel gewonnen, wie es gewinnen hätte können.”
Das Europäische Parlament ist da schon weiter
Der Lichtblick in der ganzen Budget-Debatte bleibt aber das Europäische Parlament. Nicht nur wegen der ungebundenen Art und dem Niveau, auf dem diskutiert wird, und nicht nur, weil die Probleme beim Namen genannt und mögliche Lösungen gleich mitgeliefert werden – sondern schlichtweg deswegen, weil im Europäischen Parlament in gesamteuropäischen Zusammenhängen gedacht wird. So auch beim EU-Budget: Gestern, Montag, wurde es im Parlament in Anwesenheit des Rats- und des Kommissionspräsidenten diskutiert. Glaubt man den leidenschaftlich und virtuos vorgetragenen Stellungnahmen der Fraktionschefs der vier großen Parteien, wird der vorgeschlagene Finanzrahmen des Europäischen Rates im März keine Mehrheit finden. Im Parlament sieht man das Gipfel-Papier höchstens als Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen. Der bilaterale Zugang der Staats- und Regierungschefs und die Rücksichtnahme darauf, dass sich alle Beteiligten als Sieger präsentieren können, führt die gemeinsame Politik zwangsweise in die Sackgasse. Dieser Weg war vielleicht noch für Nikita Chruschtschow und John F. Kennedy bei der Bewältigung der Kuba-Krise hilfreich. Er ist vielleicht auch noch heute ein notwendiges Mittel zur internationalen Konfliktlösung. Aber ein gemeinsames Europa ist damit nicht zu machen. Gemeinschaftliche Politik ist mehr als die Summe aller bilateralen Beziehungen unter den Mitgliedstaaten. Gemeinschaftliche Politik basiert oft auf komplizierten, aber weitreichenden Entscheidungen. Sie muss also Gegenstand ständiger Diskussionen und Entscheidungen sein. Sie ist Tagesgeschäft – zwei Tage Interessenverteidigung im Monat sind dafür zu wenig. Das Europäische Parlament ist da schon weiter. Und mit den zusätzlichen Kompetenzen durch den Vertrag von Lissabon wird es zunehmend zum entscheidenen Machtfaktor. Die Ablehnung des Gipfel-Haushalts wird die erste wesentliche Demonstration dieser neuen Macht sein – und mehr wird folgen.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!
Neuen Kommentar schreiben