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> Missbrauch und Buße

Erster unter den Letzten

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Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode legte ein Schuldbekenntnis ab und warf sich im Dom zu Boden. Das starke Bild wird bleiben – und dessen theologische wie politische Ambivalenz.

The European

Die Letzten aber werden die Ersten sein, und wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt: zwei Sätze, wie in Stein gemeißelt, geläufig auch dem, der keine Bibel sein Eigen nennt. Sie stammen von Jesus Christus und sind sehr ernsthafte Ermahnungen, die irdische Ruhmsucht nicht zu übertreiben. Im Angesicht der Ewigkeit, besagt die strenge Mahnung, haben menschliche Ränge nichts zu bedeuten, ja, wird jedes nur menschliche Prestige umgekehrt.

Öffentliche Unterwerfung kann einen Machtanspruch begründen
Schon den Ersten, die dem Nazarener sich anschlossen, war demnach das Trachten nach Ansehen, der Kampf ums Renommee nicht unbekannt. Man wollte durchaus die anderen übertreffen, sei es an Frömmigkeit, sei es an Einfluss. Das Lob der Letzten und Erniedrigten hat indes eine Unwucht, die bis heute fortwirkt. "Diener der Diener Gottes“ nennt sich seit Gregor dem Großen der regierende Papst. Herrschen darf, herrschen soll der Untertänigste von allen. Öffentliche Unterwerfung kann einen Machtanspruch begründen. Von dieser Ambivalenz nicht ausgenommen ist das Bild der zurückliegenden Woche. Es zeigt Bischof Bode buchstäblich am Boden. Der Osnabrücker Oberhirte vollzog die Prostration – jedoch nicht, wie liturgisch vorgesehen, im Rahmen der Karfreitagsliturgie oder bei der Priesterweihe. Dort markiert das Zubodenwerfen des gesamten Körpers, mit Brust und Wange im Staub, die völlige Unterwerfung unter Gott, die Selbsthingabe. Zur Todesstunde Christi wie zum endgültigen Abschied vom ungeweihten Dasein macht der Gottesmann sich klein und schwach. Sein Leib hat eine theologische Botschaft: Zertritt mich nicht, du immer Größerer, wende dich nicht ab.
Das Bild wird bleiben, wenn die meisten Bilder des Jahres 2010 schon vergessen sind
Franz-Josef Bode wählte nun die Prostration, um stellvertretend Sühne zu leisten für die sexuellen Missbräuche im Raum der Kirche. Da sollte also nicht nur der Mensch und Bischof, da sollte die ganze Kirche von Osnabrück im Staub liegen aus Scham und aus Schuld. "Wir bekennen“, sprach Bode, "die gleichsam strukturelle Sünde in der Kirche, die auch hier bei uns Taten des Missbrauchs begünstigt und deren Aufdeckung erschwert oder behindert hat.“ So hätten sich die "Dunkelheiten und Schattenseiten einer Kirche“ gezeigt, "in der eine Atmosphäre herrschte, die oft die Verschleierung der Taten möglich machte“. Augenzeugen berichten von der sichtbaren, echten Ergriffenheit des Bischofs bei dieser Aktion, die bisher keinen Nachahmer fand. Das Bild aus dem Osnabrücker Dom wird bleiben, wenn die meisten Bilder des Jahres 2010 schon vergessen sind. Der liegende Bischof, seine Entschuldigung, sein Bekenntnis, seine Reue. Bleiben wird auch die unauslotbare Ambivalenz. Trieb ihn nur die Scham auf den Boden? Oder auch ein wenig der Ehrgeiz, Erster zu sein in der öffentlichen Demut, um als Erster zu gelten im Kreis der Gleichen? Wir wissen es nicht, wir ahnen aber: Die Zukunft wird es weisen.
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