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> Militäreinsatz in Mali öffnet Büchse der Pandora

Afrikas Hindukusch

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Die militärische Intervention im Sahel-Staat drängt die Terroristen nicht zurück. Im Gegenteil. Militärisch wird der Dschihadismus nicht besiegt werden.

The European

Seit dem 11. Januar kämpfen französische Soldaten gegen die islamistischen Milizen in Mali. Es gibt gute Gründe für ein Eingreifen in dem westafrikanischen Land: Erstens gilt es zu verhindern, dass in Reichweite des Mittelmeerraumes ein islamisches Emirat entsteht, das als Rückzugsort für Terroristen dient. Zweitens muss die territoriale Integrität Malis wiederhergestellt werden. Drittens gilt es, die französischen Staatsbürger im Süden des Landes zu schützen. Und viertens steht Frankreich als ehemalige Kolonialmacht in der Pflicht, Mali militärisch beizustehen. Präsident Hollande verkündete vollmundig, die Terroristen „zerstören“ zu wollen. Das sind markige Worte eines Präsidenten, der noch im Wahlkampf als „candidat mou“, als Weichei verspottet wurde. Nun kann sich der Oberbefehlshaber der Armee als zupackender Feldherr inszenieren. Innenpolitisch mag dieser Habitus kurzfristig verfangen. Langfristig braucht die Regierung aber eine Exit-Strategie, sonst könnte sich die Operation als böser Fehler erweisen.

Religiöse Eiferer haben leichtes Spiel
Die Taktik „reingehen, löschen, rausgehen“ funktioniert in den Brandherden der Welt nicht mehr. Die Intervention in einem _failed state_ muss von einer Post-Konflikt-Strategie flankiert werden. Konkret: Die staatlichen Institutionen (Polizei, Justiz, Parlament, Schulen usw.) müssen wiederhergestellt werden. In einem Land mit einer tribalen und heterogenen Gesellschaft bedeutet State Building eine äußerst komplexe Aufgabe. Das Wohlfahrts- und Sicherheitssystem steht auf tönernen Füßen. Die Staaten vom Maghreb bis zum Golf von Guinea sind seit ihrer Unabhängigkeit – aus demografischen, ethnischen, klimatischen und ökonomischen Gründen – in einer „vulnerablen Situation“, wie Eric de La Maisonneuve, General und Präsident der „Société de Stratégie“, in einem Beitrag für die Tageszeitung „Le Figaro“ schreibt. Unter diesen Rahmenbedingungen haben korrumpierte Clans und religiöse Eiferer leichtes Spiel – sie torpedieren Demokratisierungsprozesse und unterminieren das staatliche Gewaltmonopol. Mali liegt im Zangengriff der Kriminalität. Die französische Regierung ist nolens volens in einen Konflikt geraten, der unkalkulierbare Risiken birgt. Ein „Kriegseinsatz“, von dem in Paris ganz offen die Rede ist, impliziert, dass man einen Gegner definiert. Doch wen bekämpft Frankreich eigentlich? Rebellen? Terroristen? Islamisten? "Die Fronten sind schon jetzt unübersichtlich.(Link)":http://www.theeuropean.de/rolf-muetzenich/5820-deutsche-beteiligung-bei-mali-intervention Da ist zum einen al-Qaida im Maghreb (Aqmi), ein Ableger des internationalen Terrornetzwerks, deren Mitglieder (u.a. ein Franzose) bereits im algerischen Bürgerkrieg kämpften. Dann gibt es die dschihadistische Mujao, die in Gao operiert und ihr Geld mit Kokain verdient. Daneben existiert Ansar Dine, eine Gruppe salafistischer Kämpfer, die in Kidal ihre Hochburg hat und die Scharia einführen will. Und schließlich die Tuareg-Bewegung MNLA, die 2010 gegründet wurde und die Unabhängigkeit des Nordens („Azawad“) fordert. Die extreme Heterogenität der Fraktionen – Separatisten hier, Fundamentalisten dort – macht deutlich, wie verworren die Lage in Mali ist. Wer heute verbündet ist, kann morgen verfeindet sein. Für das französische Militär ist es extrem schwierig, Kombattanten zu erkennen. Hinzu kommt, dass sich die malische Armee seit dem Staatsstreich vom März vorigen Jahres in einem desolaten Zustand befindet. Ohne die Hilfe Frankreichs wäre das malische Militär außerstande, die Usurpatoren zurückzudrängen. Die französischen Einheiten preschen voran und attackieren Stellungen der Islamisten, wie zuletzt in Gao. Fernsehaufnahmen zeigten Bilder einer verwaisten Stadt – die Kämpfer räumten das Feld, bevor der französische Truppenverband überhaupt einrücken konnte. Richtige Gefechte fanden gar nicht statt. Es ist die Logik des asymmetrischen Krieges: Eine hoch gerüstete Armee sieht sich mit einer versprengten Partisanentruppe konfrontiert. Im Kampf wären die Milizen hoffnungslos unterlegen. Sie sind aber flexibler und können die Feinde, die mit dem Terrain nicht vertraut sind, in Hinterhalte locken. So geschah es etwa bei der Geiselnahme auf einem Gasfeld im Süden Algeriens. Die Kidnapper kamen pikanterweise aus Mali. Zwischen Bamako und In Amenas liegen wohlgemerkt 2.500 Kilometer. Das entspricht der Distanz Paris-Moskau. Was zeigt: Die Terroristen sind hochmobil.
Gefahr gesellschaftlicher Fragmentierung
Die französische Armee wird die Islamisten einstweilen vertreiben können. Das fragile Staatsgebilde Mali wird sie aber nicht festigen können. Im Gegenteil: Durch die Intervention besteht die reelle Gefahr einer gesellschaftlichen Fragmentierung (zwischen Arabern und Afrikanern) und Destabilisierung der Region. Die Dschihadisten werden sich ins Bergmassiv der Ifoghas zurückziehen und dort weiter ihr Unwesen treiben. Dem Sahel droht ein ähnliches Szenario wie im Hindukusch. Auch hier gelang es der internationalen Staatengemeinschaft nicht, den Terroristen den entscheidenden Schlag zu versetzen. Die Al-Qaida-Kämpfer haben sich trotz US-amerikanischer Drohnenangriffe in den Stammesgebieten Pakistans festgesetzt. All das legt nahe, dass sich der Terrorismus militärisch nicht besiegen lässt. Es bedarf der Stärkung zivilgesellschaftlicher Akteure, um den Gotteskriegern den Garaus zu machen. Die 40 Militärausbilder, die Berlin im März nach Mali schicken will, reichen für eine Friedenssicherung freilich nicht aus. Deutschland sollte zusammen mit den europäischen Partnern sein Engagement durch die Entsendung von Wahlbeobachtern und Polizeibeamten (wie etwa im Rahmen der EULEX-Mission im Kosovo) verstärken.
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