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Politik > Michael Kellner - Er machte Baerbock groß

Michael Kellner: Diese zwei Fehler machte er zuletzt

Die Grünen haben sich nach anfänglichen Höhenflügen im Wahlkampf verbrannt. Von den guten Umfragewerten ist zwei Wochen vor der Bundestagswahl nicht mehr viel geblieben. Dennoch hat die Partei in den vergangenen Jahren in der Wählergunst deutlich gewonnen. Ein Mann, der eher im Hintergrund die Fäden zieht, ist maßgeblich für den grünen Erfolg verantwortlich – Michael Kellner. Von Stefan Groß-Lobkowicz.

Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer und Brandenburger Spitzenkandidat der Grünen, Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Soeren Stache
Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer und Brandenburger Spitzenkandidat der Grünen, Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Soeren Stache

Die neuen Grünen sind anders als die alten Revoluzzer um Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit und Jutta Ditfurth, die als Enfant terribles für Schrecken im bürgerlichen Deutschland der Nachkriegszeit sorgten. Die neue Generation mag es bescheidener, verpackt ihre Wahlprogramme in geschickt inszenierte Erzählungen, setzt auf Neuanfang und Gewissensappelle. Und hinter jeder Kampagne steckt nicht mehr die Wildheit und Unbefangenheit der Gründungsjahre, die Happenings, Straßenkämpfe und der pure Protest, sondern Annalena Baerbock und Robert Habeck können auf professionelle Hilfe im Wahlkampf zurückgreifen. Bei ihren hegemonialen Bestrebungen an die Spitze des Landes zu treten, setzt die Partei immer mehr auf Kalkül und Taktik, auf eine komplexe Machtmaschine von Aufpassern und Strippenziehern.

Der unprätentiöse Mann aus Gera

Einer der neuen Generation ist der gebürtige Geraer Michael Kellner, der Kampagnenorganisator und Geschäftsführer. „Habecks Mastermind“ nennen sie ihn. Das Herz des 43-Jährigen schlägt einerseits im urbanen Schicki-Micki- und Insiderviertel Prenzlauer Berg als auch der beschaulichen und naturbelassenen Uckermark. Kellner, der nach außen hin den bodenständigen Macher gibt, den nahbaren Erklärbär, agiert innenparteilich knallhart auf der Klaviatur der Macht. Er hat nicht nur die Idee der hauseigenen PR-Agentur in der Grünenzentrale durchgesetzt, sondern ohne die Arkusaugen des studierten Politikwissenschaftlers verlässt kein Plakat und Slogan die Schaltzentrale. Dass Kellner, Sohn eines Schuldirektors und aufgewachsen in der ehemaligen DDR, im Wahljahr 2021 deutlich höher pokern und die Wahlkampfmaschinerie auf Hochtour laufen lassen kann, verdankt sich nicht nur hohen Parteispenden und der deutlich angestiegenen Zahl an Mitgliedern, sondern einem Wahlkampfetat, der in der Geschichte der Grünen fast rekordverdächtig ist. Waren es 2017 noch sechs Millionen Euro, die Kellner in die Wahlkampf-Arena werfen mochte, lässt sich mit den zehn Millionen Euro 2021 solide wirtschaften und ein Wahlkampffeuer geradezu entfachen.

Kellner setzt die Messlatte hoch an

Ob Europa oder Landtagswahl – Kellner kann einen Sieg nach dem anderen für die Partei einfahren. Der digitale Grüne, der die strategische Bedeutung des Internet für die politische Kommunikation und die Wirkmechanismen der sozialen Netzwerke als neuer Plattformen des Wahlkampfes geschickt bespielt, ist mit seinen zwei Metern ein Riese. Mit seiner Partei will er noch höher und legt die Messlatte weit oben an. Doch schon jetzt liegt die Erfolgsquote des Partei-Modernisierers bei 100 Prozent. Dem Mann, der drei Jobs als Entwickler, Controller und Vertriebler in Personalunion auf sich vereinigt, ist es zu verdanken, dass die Grünen bei den Landtagswahlen in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg Rekordergebnisse einfuhren. Kellner, der gern im Hintergrund die Strippen zieht, baut die Erfolgsbühne, auf der das grüne Chefduo Robert Habeck und Annalena Baerbock steht. Der ehemalige Büroleiter von Claudia Roth hat mit seiner Taktik nicht nur bei der SPD indirekt für einen beispiellosen Absturz gesorgt, sondern seine eigene Partei nach dem Abgang des Übervaters Joschka Fischer 2005 aus der inhaltlichen Sklerose befreit. Aus einer Spießerpartei formte er kurzerhand eine neue Avantgarde.

Der Bundesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, der während des Politikstudiums in Potsdam zur Partei kam und dort zum linken Parteiflügel zählt, spricht im Superwahljahr schon von einer „Zeitenwende in der deutschen Politiklandschaft.“ Und auch dass man im Wahljahr nicht an den Grünen vorbeikommt, daran lässt er keinen Zweifel. „Deutschland erlebt nicht nur erstmals einen Wahlkampf ohne amtierende Kanzler*in, sondern auch mit den Grünen als führende progressive Kraft eine neue Form der Auseinandersetzung fernab der alten Denkmuster von Volksparteien und Lagerdenken.“ Und gerade deshalb zielt das Programm der Grünen auf eine breite Zielgruppe. Die Parole heißt nun Einigkeit: „Wir sind dafür vorbereitet, wir ziehen alle an einem Strang.“

Schaltzentrale der Macht – Die Agentur „Neues Tor 1“

Um den Dampf im politischen Kessel richtig anzuheizen, war es wiederum Kellner, der zur strategischen Unterstützung der Parteigranden die neue Agentur „Neues Tor 1“ aus der Taufe hob. Der Agenturname steht nicht nur programmatisch für die Adresse der Parteizentrale in Berlin-Mitte, sondern fungiert auch als Kampfansage an die Union um Platz eins im Rennen um das Bundeskanzleramt. „Vom zweiten Platz aus kämpft man klar um das entscheidende Tor zum Sieg“, so Kellner. Mit der Projektagentur, die allein für die Kampagnenaktivitäten für den Bundestagswahlkampf 2021 gegründet wurde, steht Kellner ein kampferprobtes achtköpfige Kernteam zu Seite, in dem erfahrene Campaigner und Beraterinnen sowie Digitalexperten und Kreative aus den verschiedensten Agentur- und Organisationshintergründen arbeiten. Mit im Team ist Kurt Georg Dieckert, Chef der Berliner Agentur Dieckertschmidt, der bereits die Europawahlkampfkampagne erfolgreich verantwortete. Mit Matthias Riegel ist einer der strategisch einflussreichsten PR-Berater mit an Bord, der Winfried Kretschmann zum wiederholten Sieg in Baden-Württemberg verholfen hatte. Der Bundeswahlkampf 2017 war ohne Riegel nicht denkbar. Unter dem Label „Ziemlich beste Antworten“ rekrutierten die Grünen bereits damals ein Team aus der Partei nahestehenden Werbefachleuten. Nun ist es 2021 wieder an Riegel, den Bundesvorstand der Grünen strategisch zu beraten und zugleich die „dramaturgische Leitung“ im Wahlkampf zu übernehmen. Mit Theresa Reis (zuletzt beim WWF), die sich im Berliner Wahlkampf 2020 profilieren konnte und Berit Leune, einer erfahrenden Marketing-Expertin, die sich ihre Meriten in den Kommunikationsabteilungen von Coca-Cola und BMW verdiente, ist Kellner grüne Zukunftsschmiede bestens aufgestellt.

Bei Baerbock und bei der Neuaufstellung des Landesverbandes an der Saar machte er erste Fehler

Als Baerbock dann Mitte 2021 durch ihre Schummeleien bei Vita, Studium und Buchpublikation einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit verlor und am Politikhimmel buchstäblich verglühte, war es Kellner, der die fragwürdigen Aktionen der Grünen-Chefin zuerst verharmloste: „Bagatellen werden aufgebauscht,“ um vom Klimawandel abzulenken, betonte er noch Anfang Juli. „Das lassen wir uns nicht gefallen,“ sagte der Strippenzieher. Er sprach von einer gezielten Verleumdungskation. Der Plagiatsvorwurf sei haltlos, „Rufmord“ das Ganze. „Manöverkritik machen wir intern“, hieß es. Dem allzu kritischen Umgang mit Baerbock wollte er gar ein Stoppschild vorsetzen und der von der Partei eingesetzte Star-Medienanwalt Christian Schertz sollte es richten. Doch die Beweislast gegen die Baerbock-Täuschungen war zu schwer, hier konnte selbst Kellner nichts mehr beschönigen. Eine Woche später kam dann prompt die Kehrtwende: Der grüne Macher gab Mängel im bisherigen Wahlkampf zu. „Es wurden Fehler gemacht, das ist offensichtlich.“ Auch am Debakel der Saar-Grünen, die nach einem bizarren Wahlkampf vom Bundeswahlausschusses nicht für die Bundestagswahl zugelassen wurden, war Kellner nicht ganz unbeteiligt, der unbedingt eine Quotenfrau mit durchsetzen wollte. Er hatte sich gegen den gewählten Grünen-Landeschef Hubert Ulrich und für die neue Spitzenkandidatin Jeanne Dillschneider ausgesprochen. Ulrich sah die Schuld für das Debakel beim Bundesvorstand und dem Bundesschiedsgericht der Partei. „Sie haben die Entscheidung [...] zu verantworten“ und eine „neue Liste erzwungen“, die durch die Entscheidung des Bundeswahlausschusses „in der Luft zerrissen“ wurde. Die Grünen im Saarland hatten Ulrich auf Listenplatz eins gewählt – obwohl der eigentlich einer Frau vorbehalten war. Der Imageschaden des Landesverbandes trifft jetzt letztendlich auch die Bundespartei, die nun auf die wichtigen Stimmen aus dem Saarland verzichten muss.

Fazit: Michael Kellner bleibt auf Konfrontationskurs – und er ist einer mit dem die Parteienlandschaft in Deutschland weiter rechnen muss. Der größte Fehler wäre es, den Wahlkampfmanager zu unterschätzen. Wohin er seine Partei in den letzten Jahren geführt hat, dokumentieren anschaulich die Umfragewerte der Grünen. Immerhin scheint eine rot-grüne oder gar rot-rot-grüne Koalition acht Tage vor der Wahl denkbar. Baerbock wird jetzt gar als Außenministerin gehandelt – verdanken tut sie dies auch Kellner.

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