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> Merkel und Europa

Europäerin im Anlassfall

Angela Merkel redet sehr viel über Europa, leider sagt sie aber nur wenig – am wenigsten vor wichtigen Wahlen.

The European

„Was will das Weib?”, fragt Sigmund Freud bekanntlich mit Blick auf die weibliche Seele. So wirklich herausfinden konnte er es, trotz langer und aufmerksamer Beobachtung, nie. Ein ähnliches Schicksal wird wohl auch Europa ereilen, mit Blick auf die Politik der deutschen Regierungschefin und der Frage, was sie denn nun wirklich will, die Kanzlerin.

Sie hat was gesagt?
Wenig aufschlussreich waren auch die Antworten über ihre europapolitischen Vorstellungen in der "Diskussionssendung „Forum Politik“()":http://www.phoenix.de/content/phoenix/die_sendungen/diskussionen/727804 am vergangenen Dienstag auf Phoenix. Sie hatte zwar einiges zu sagen, doch leider nur im herkömmlichen Merkel-Europa-Sprech, in dem jeder Satz alles und nichts gleichzeitig bedeuten kann. Aber weil es die Kanzlerin gewohnt ist, dass jedes ihrer Wörter auf die Goldwaage gelegt wird und sie sich deswegen auch nicht von etwaigen Launen zu unüberlegten Aussagen verleiten lässt, hören wir doch einmal genauer hin. „Mehr Europa lässt sich nicht nur durch eine Stärkung der Brüsseler Institutionen zulasten der Nationalstaaten erreichen, sondern auch durch bessere Absprachen zwischen den Mitgliedsländern“, erklärt Frau Merkel. Das hört sich nett an, hat nur mit der Realität leider nicht wirklich viel zu tun. Denn führt man sich vor Augen, in welcher Weise die Nationalstaaten und ihre Regierungen die Union momentan, innerhalb des EU-Rechts und der gültigen Verträge, für ihre eigenen kurzfristigen Interessen missbrauchen, lässt sich doch nur schwer annehmen, dass „mehr Europa“ besser zu erreichen ist, wenn der EU-rechtliche Rahmen erst einmal gelockert ist. Im Übrigen: Niemand – und am allerwenigsten die EU selbst – hindert die Mitgliedsländer daran, sich besser abzusprechen. In der Bewältigung der Finanzkrise hat sich doch gezeigt, wie leicht und angenehm es sich für die Mitgliedstaaten an den europäischen Verträgen vorbeiregieren lässt. "Institutionen wie ESM, EFSF oder die sagenumwobene Troika haben mit der EU und seinen Institutionen wenig bis gar nichts zu tun()":http://www.theeuropean.de/bernhard-schinwald/6998-demokratiedefizit-der-eu. Dass man also die Rücknahme von Kompetenzen auf die nationale Ebene braucht, um verstärkt bilateral zu arbeiten, ist schlichter Unsinn.
Bitte nicht ernst nehmen
Der Hinweis der Kanzlerin, dass diese Debatte auch in den Niederlanden geführt wird, ist ebenso irritierend wie bedenklich. Die niederländische Regierung lässt sich, wie so viele andere europäische Regierungen, vom Rechtspopulismus hertreiben – eine Plage, die Deutschland glücklicherweise erspart bleibt. Ist es also notwenig, Grundsatzdebatten aufzunehmen, nur weil sie in anderen Ländern von populistischen Kräften vorangetrieben werden? Ein neues Spiel: Wenn man schon keine eigenen Rechtspopulisten hat, bediene man sich doch in den Nachbarländern, um sich vom Pfad der Vernunft abbringen zu lassen? Deutschland hat diesbezüglich doch immer den positiven Unterschied gemacht. Dass das alles nicht so ist, wie sie es sagt, weiß sie selbst wohl besser als ich. Was also will uns Frau Merkel mit all dem sagen? Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich sage nicht, dass diese Positionen – wenn es denn die ihren sind – es nicht wert sind, diskutiert zu werden. Im Gegenteil: Ich will, dass sie diskutiert werden, aber bitte ehrlich und mit den Karten auf dem Tisch. Die deutsche Bundesregierung und ihre Kanzlerin betreiben seit 2009 ein falsches Spiel, indem sie einerseits keine Mühen scheuen, sich als _die_ Europäer zu präsentieren, aber anderseits auch keine Skrupel haben, den europäischen Einigungsprozess kurzfristigen politischen Zwecken zu opfern. ("Jürgen Habermas sieht das übrigens ähnlich.()":http://www.spiegel.de/international/germany/juergen-habermas-merkel-needs-to-confront-real-european-reform-a-915244.html) Das Bild zieht sich durch: Hier ein mehr als überfälliges Rettungspaket für Griechenland, das noch eine Landtagswahl abwarten muss, da ein Vizekanzler, der am Höhepunkt der Finanzkrise, unter akutester Bedrohung der Finanzmärkte, seinen Schrecken vor einer griechischen Staatspleite verliert, nur um die erhitzten Gemüter in seiner Partei zu beruhigen. Und dazwischen die altbekannten Sonntagsreden, vom Lebenstraum Vereinigte Staaten von Europa und so weiter.
Was will die Kanzlerin?
Anfangs sollte Griechenland übrigens gar kein Geld bekommen. Danach durfte es mal keinen Schuldenschnitt geben. Bankenunion und Finanztransaktionssteuer sollten auch einmal eingeführt. Irgendwie scheint es doch immer anders zu kommen, als die Kanzlerin verspricht. Wenn sie also jetzt davon spricht, dass es keinen weiteren Schuldenschnitt für Griechenland oder irgendein anderes Land geben wird, tun Sie sich bitte selbst und allen anderen einen Gefallen und nehmen Sie das nicht ernst. Nicht, weil es eine wachsende Mehrheit der Experten (auch von IWF, EZB und der Kommission) für unausweichlich hält und am Ende recht behalten wird – nein, schlicht deshalb, weil es Angela Merkel fünf Wochen vor einer entscheidenden Wahl sagt. Angela Merkel ist seit acht Jahren Bundeskanzlerin. Sie kennt die politischen Verhältnisse in Brüssel und im Rest des Kontinents. Sie weiß um die Stärken und Schwächen dieser Union. Sie ist die mächtigste Politikerin in Europa. Sie muss doch Ideen und Vorstellungen über die Weiterentwicklung der Union haben – egal, in welche Richtung diese auch gehen mögen. „Diese Diskussion werden wir nach der Bundestagswahl führen“, gab sie uns zum Abschluss noch mit auf den Weg. Wer weiß, vielleicht ist das ihre Art, zu sagen: „Macht euch keine Sorgen, nach der Wahl werde ich das niemals gesagt haben.“ Es bleibt also – um das Wort von Freud zu variieren – die große Frage, die nie beantwortet worden ist und die wir vermutlich selbst nach dreißig Jahren langem Forschen in der Merkel’schen Seele nicht beantworten werden können: „Was will die Kanzlerin?“
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