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> Meissener Porzellan

Bis alles in Scherben fällt

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"Moralischer Kapitalismus", nächste Folge: warum man kaputt machen muss, was den Profit kaputt macht.

The European

Auf der ersten Seite der Süddeutschen Zeitung, in der Seitenmitte, findet sich stets eine Nachricht, die sich zu den sog. weichen rechnet und den Leser mit der harten Wirklichkeit aus Haushaltsdebatten, Parteitagen und Facebook-Doofmist nicht allein lässt. "Meissener Scherbenhaufen“ lesen wir da. "Die Manufaktur zerschlägt stapelweise teures Porzellan. – Es war nachmittags gegen 17 Uhr, als in Meißen plötzlich das große Scheppern und Klirren begann. Anwohner der weltberühmten Porzellanmanufaktur mit den blauen Schwertern im Firmenemblem horchten auf ob des ohrenbetäubenden Lärms, der aus dem Fabrikhof drang: Hinter den Mauern des traditionsreichen Unternehmens wurde ganz offensichtlich Porzellan zerschlagen. Feinstes Meissener, versteht sich.“ Ein Vorgehen, das der Aufsichtsratsvorsitzende Kurt Biedenkopf (CDU) so begründete: "Die Manufaktur hat sich von unverkäuflichen Produkten getrennt.“

"Markenwert gesichert“
Womit lt. Presse allerdings nicht alle einverstanden waren: "Dass wertvollste Porzellanbestände, für deren Herstellung unendlich viel Mühe und Kunstfertigkeit aufgewandt worden waren, nun einfach so zerschmettert wurden, schien für die Bürger schwer verständlich zu sein. Und so fragte sich mancher, warum man das Porzellan, wenn es denn wirklich schwer verkäuflich war, nicht einfach hätte etwas preisgünstiger verscherbeln können“ – das sind so Fragen; aber immerhin lassen sie sich leicht beantworten: "In der Welt der Luxusgüter gehört der Schutz der Marke zur Geschäftspolitik … 'Auf den ersten Blick wird so zwar Wert vernichtet', sagt der Münchner Markenexperte Alexander Biesalksi, 'tatsächlich wird damit jedoch deutlich mehr Wert gesichert – nämlich der Markenwert.'“ Und der, versteht sich, geht über alles. Denn es soll nicht jeder kaufen können, was sich nur verkauft, wenn es nicht jeder kaufen kann. "Der Geschäftsführer der Meissener-Porzellanmanufaktur, Christian Kurtzke, hat früher schon gewarnt: 'Wenn Sie einmal in den Billigstrudel geraten, ist es schon vorbei.'“ Man kann es sich nun leicht machen und derlei für eine Perversion halten, für etwas, das diesem sog. moralischen Kapitalismus, der nach der letzten Großkrise für allerhand Leitartikel und Buchbestseller gesorgt hat, diametral zuwiderläuft bzw. die Notwendigkeit, einen solchen einzurichten, zweifelsfrei beweist. Man kann es sich aber auch ein bisschen schwerer machen (nicht viel, keine Bange) und sich überlegen, ob es nicht streng in der Logik des Systems liegt, der Scherbenhaufen nicht zu achten, solange die Quartalszahlen stimmen.
Ideell ist der Spätkapitalismus am Ende
Denn (und ich entschuldige mich dafür, wenn ich wieder einmal mit Banalitäten komme, aber mit Brecht gelte: "Keine Angst vor der platten Wahrheit, wenn sie nur wahr ist!“): Es geht im Kapitalismus nicht um Moral, es geht um Geld, und wo es mal um Moral geht, ist todsicher Geld im Spiel. Moralisch wäre ein Wirtschaftssystem, das die Bedürfnisse aller befriedigt, unmoralisch ist eines, das Energie darauf verwendet, Bedürfnisse (wie das nach Porzellan, dessen Besitz einen als Geldinhaber ausweist) zu formen, um von deren Befriedigung zu profitieren, ganz egal, wie viele Bedürfnisse, die, weil elementar, keine Werbeabteilung zu wecken braucht, nebenher unbefriedigt bleiben und wie viel Porzellan dabei zerschlagen wird, ökonomisches und ökologisches. Und ohne die gezielte Vernichtung von Gebrauchswerten – sei's direkt mit dem Hammer (oder einem Panzer, es gibt keinen besseren Konjunkturbeschleuniger als Krieg), sei's indirekt über eine Werbung, die als alt qualifiziert, was dem Verkauf von Neuem im Wege steht – würde der ganze Laden in sich zusammenfallen. Über die massenweise, streng marktgerechte Vernichtung von Lebensmitteln (während Suppenküchen für Bedürftige immer mehr Zulauf haben) ist an dieser Stelle schon berichtet worden, und aller Kampf ums Abwenden kommenden Klimaunglücks (oder auch nur um Ressourcenschonung) ist vergebens, solange an jeder Bushaltestelle Plakate großformatig dafür einstehen, dass um des Fliegens willen geflogen, um des Fressens willen gefressen und um des Quatschens willen telefoniert wird. Bis alles in Scherben fällt. Man kann sagen, ideell ist der Spätkapitalismus am Ende.
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