Nachdenken über Syrien
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Wieder mal ist Krieg im Nahen Osten. Wieder mal können wir nicht glauben, was wir sehen. Weil wir wissen, dass der Augenschein nicht die Wahrheit sein muss – und unsere Medien versagen.

Wer erinnert sich nicht? 2003 hatte Colin Powell in seinem liederlichen Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat, einem der höchsten weltlichen Gremien, erklärt: ja, im Irak gibt es Massenvernichtungswaffen. Und damit einen Krieg und eine Kettenreaktion ausgelöst, die bis heute anhält. Die aktuell in Syrien angekommen ist. Und die aller Wahrscheinlichkeit nach Damaskus in eine dieser Höllen aus Blut, Bomben und Elend verwandeln wird. Längst weiß jeder: rückwirkend hat sich diese Powell’sche Wahrheit als „Verschwörungstheorie“ herausgestellt. Genauer als Verschwörung, denn was sich als Lüge herausgestellt hat, das kann ja keine Theorie mehr sein. Nur was ist nach Powell noch ein Beweis und was nicht? Ein großes Dilemma. Und es wurde zur mächtigen Zäsur. Powells Lüge ist zum Sündenfall geworden. Zur Werte-Kernschmelze. Jahre später sprach Powell in der „FAZ“ christlich-demütig, oder heuchlerisch – wie man mag – vom Schandfleck seiner Karriere. Und dass er „enorm enttäuscht“ wurde. Das ist seltsam. Denn „getäuscht“ wäre das treffendere Wort gewesen, wenn er, wie er sagt, nicht im Bilde war. Aber dann hätte er noch dringender benennen müssen, was seine persönliche Schuld war. Die „Bush-Administration“ (längst Synonym für etwas sehr, sehr Schmutziges) hat der Weltgemeinschaft – die zu retten sie offiziell mit dieser „Neuen Weltordnung“ angetreten war – einen Bärendienst erwiesen. Denn wenn die Wahrheit keine mehr ist, ist auch ihr Gegenpart, die Verschwörungstheorie, als solche wieder ergebnisoffen. Die positive Seite: Nicht jede geäußerte Wahrheit kann jetzt noch zur Verschwörungstheorie runtervergewaltigt werden. Klar, der Vorwurf „Verschwörungstheoretiker“ greift zwar noch, aber seine inflationäre Nutzung weist darauf hin, dass er als perfekte Massenmeinungsvernichtungswaffe zum Auslaufmodell geworden ist.