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> Mauern dieser Welt

Die Angst vor den Ideen

Die Berliner Mauer ist gefallen, der Geist in dem sie errichtet wurde, lebt weiter. Mauern sollen schützen: vor anderen Menschen und vor ihren Ideen. Nur politischer Mut kann diese Schutzwälle niederreissen.

The European

Mauern rund um Siedlungen, egal ob groß oder klein, gehören zu Siedlungen seit die Menschen ihre nomadische Lebensweise aufgaben. Menschen verteidigen schon immer ihre Gebiete; Essen wurde immer gehortet und das Obdach immer geschützt. Es ist also ganz natürlich, dass Menschen Gebiete kontrollieren. Angst liegt als Motiv dabei immer zugrunde; Angst vor denen, die uns unsere Besitztümer nehmen oder sie verändern. Das treibt die Menschen an. Das DDR-Regime versuchte, „schlechte“ Ideen aus dem Land herauszuhalten und schürte gleichzeitig die Angst vor Ideen von außen; diese seien staatsfeindlich und schlecht für die Bürger. Denn Bürger, die mit Ideen von außen „infiziert“ waren, stellten eine Bedrohung für das Regime dar. Für ihre Erbauer war die Mauer also in jeder Beziehung ein rechtschaffener, vertretbarer Akt. Wie sollten sie einen besseren Staat erschaffen, ohne ihre Bürger vor den Ideen, den Werten und dem menschlichen Kontakt, die ihr Anliegen gefährden würden, zu beschützen?

Moderne Mauern
Geschlossene Wohnanlagen (Gated Communities) in ihrer extremsten Ausprägung machen dasselbe. Die der Wohnanlage zugrunde liegenden Tugenden werden im Clubhaus aufrechterhalten. Natürlich braucht man keine Tore, um die zentralen Ideen rein zu halten, aber praktisch alle dieser geschlossenen sozialen Gemeinschaften haben einen Tempel oder einen Schrein, wo sie ihre Ideen kontrollieren können. Viele haben geschlossene spirituelle Zentren. Das heißt nicht, dass das alles schlecht und falsch ist. Es soll lediglich untermalen, dass das Abschließen von Räumen (sozial und physisch) eine zentrale Veranlagung des Menschen ist. Menschen wollen keine Freiheit. Der berühmte Psychologe Erich Fromm behauptete, dass wir Menschen die Kontrolle über jeden und alles haben wollen, mit dem wir in irgendeiner Beziehung stehen. Die Regierung der DDR war sich der verstärkten Ängste der Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg bewusst. Die Menschen waren beschämt; ihre Regierung war zum zweiten Mal nach einem Krieg zusammengebrochen. In dieser Hinsicht war die Mauer ein Symbol der Hoffnung und nicht der Unterdrückung. Die Bewohner der westlichen Seite der Mauer waren von der Mauer entsetzt. Ich vermute aber, dass viele Menschen in Westdeutschland und in anderen Teilen des Westens die Mauer als Grenze, die sie von der Tyrannei der Ostseite fernhielt, empfanden. Insofern diente die Mauer beiden Seiten. Sie war ein wunderbares Propagandawerkzeug für beide Seiten, weil sie ein sichtbarer Ausdruck für die Paranoia beider politischer Systeme war. Die Berliner Mauer zerbröckelte, als die Unterstützung für sie zusammenbrach. Sie wurde weder vom Osten noch vom Westen noch gebraucht. Neue Kräfte und Risiken gab es auf der Welt im Überfluss.
Wir mauern weiter
Von Staaten vorangetriebene Mauern bleiben auf der ganzen Welt sichtbar – in Nordkorea, dem Iran und anderen Regimen, die ihre Grenzen und ihre Völker kontrollieren. Die Mechanismen bleiben dabei dieselben – Kontrolle von Raum und Ideen. Die USA errichten eine gewaltige Mauer an ihrer südlichen Grenze, um Drogenschmuggel ungewollte Einwanderung und Terrorismus zu verhindern. Diese Mauer wird versagen. Die Berliner Mauer fiel, weil die Konzepte, die die Ängste trugen, keinen Bestand hatten. Geschlossene Wohnanlagen werden scheitern, weil sie die Probleme, die sie bekämpfen wollen, lediglich offenbaren aber nicht verringern; das heißt, es gibt in geschlossenen Wohnanlagen genauso viele Mordfälle auf 1.000 Menschen wie in nichtgeschlossenen Wohnanlagen, weil die meisten Morde im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt geschehen. Die Berliner Mauer gibt es noch, aber nicht mehr in Berlin. Ideen und Ängste einmauern – das gibt es weiterhin auf der ganzen Welt. Mauern sind die Versinnbildlichung unseres grundlegenden menschlichen Antriebs, andere davon abzuhalten, unseren sozialen, intellektuellen und physischen Raum zu okkupieren. Zu erlauben, dass sich menschliche Ideen und Bewegungen frei bewegen können – dazu bedarf es eines enormen politischen Mutes aller politischen Systeme in der Welt. Wir leben jetzt in der „Schönen neuen Welt“, in der sich Angst leichter verkaufen lässt als Hoffnung.
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